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OVG NRW: Bundesnetzagentur darf bei Bußgeldverfahren nicht namentlich über betroffene Firmen berichten

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Berichterstattung Bußgeldverfahren Bundesnetzagentur
Tobias Arhelger – stock.adobe.com

Wann darf eine Behörde in einem Bußgeldverfahren ein Unternehmen namentlich nennen?

Diese Frage hat nun das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in einem Fall, entschieden (OVG NRW, Beschluss v. 17.05.2021, Az. 13 B 331/21).

Die Antragstellerin, ein Unternehmen, wollte vorläufig untersagt wissen, dass die Bundesnetzagentur eine Pressemitteilung vom 4. Januar 2021 über deren Internetseite verbreitet. In der Pressemitteilung wurde über die Verhängung eines Bußgeldes gegen die Antragstellerin wegen unerlaubter Call-Center-Anrufe gem. §§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 7, Abs. 2 Nr. 2 UWG berichtet. Die Netzagentur verschickte die Pressemitteilung über einen Mailverteiler an im Telekommunikationsbereich tätige Journalisten. Zudem wies sie über einen Tweet auf den Erlass eines Bußgeldbescheides gegenüber einem Call-Center-Betreiber hin und verlinkte darin die Pressemitteilung. Die Antragstellerin erwirkte erfolgreich eine entsprechende einstweilige Verfügung vor dem Verwaltungsgericht Köln, welche das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster abänderte.

Informationsarbeit grundsätzlich erlaubt

Das OVG Münster entschied, dass öffentliche Stellen grundsätzlich ohne besondere Ermächtigung dazu berechtigt seien, im Zusammenhang mit ihren Sachaufgaben Presse-, Öffentlichkeits- und Informationsarbeit zu betreiben. Amtliche Äußerungen, die einen unmittelbaren Grundrechtseingriff darstellen oder einem solchen Grundrechtseingriff als funktionales Äquivalent gleichkommen, bedürften jedoch regelmäßig der Rechtfertigung durch eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.

Pressemitteilung als Generalprävention

Für eine namentliche Nennung der Antragstellerin spreche, dass sie sich die Einleitung des Bußgeldverfahrens nicht habe zur Warnung dienen lassen, sondern auch während des Verfahrens weitere Anzeigen zu unerlaubter Werbung eingegangen seien. Die Bundesnetzagentur erläuterte in dem Verfahren, dass die Gefahr weiterer Rechtsverletzungen bestanden habe, vor denen die Verbraucher gewarnt werden sollten. Zugleich habe die Pressemitteilung eine Warnfunktion gegenüber den Geschäftspartnern der Antragstellerin dargestellt. Schließlich sei die namentliche Nennung aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt.

Die Bundesnetzagentur, so das OVG Münster, habe den Rahmen einer grundsätzlich zulässigen Presse-, Öffentlichkeits- und Informationsarbeit, die ohne besondere Ermächtigung aufgrund einer Annexkompetenz zur Sachaufgabenzuständigkeit zulässig sei, überschritten. Die Pressemitteilung sei „vielmehr ziel- und zweckgerichtet als funktionales Äquivalent für die teils präventiven, teils repressiven Aufsichtsmaßnahmen“ eingesetzt worden, welche die Bundesnetzagentur nach näherer Maßgabe von § 67 TKG und § 20 Abs. 3 UWG bei der ihr zugewiesenen Sachaufgabe der sogenannten Nummernverwaltung wahrnimmt.

Im Rahmen der Zuständigkeit

Bei der Wahrnehmung einer Annexkompetenz zur Sachaufgabenzuständigkeit müsse sich die öffentliche Stelle allerdings auf den ihr zugewiesenen Aufgabenbereich beschränken. Außerdem hätten sich auch amtliche Äußerungen an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten zu orientieren, die sich insbesondere aus dem Willkürverbot und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergäben.

Eingriff in die Berufsfreiheit

Die Verbreitung der Pressemitteilung stelle, so das OVG, einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Antragstellerin dar, „weil sie als administrative Maßnahme direkt auf die Marktbedingungen eines individualisierten Unternehmens zielt, das Verhalten der Geschäftspartner der Antragstellerin und das Verhalten der von ihr adressierten Endnutzer beeinflussen und auf diese Weise mittelbar-faktisch die Markt- und Wettbewerbssituation zum wirtschaftlichen Nachteil der Antragstellerin verändern kann“.

Bisherige Geschäftspartner der Antragstellerin könnten aus Sorge vor einer eigenen Rufschädigung von einer weiteren Zusammenarbeit mit der Antragstellerin Abstand zu nehmen. Potentielle neue Geschäftspartner könnten durch die mitgeteilten Informationen verschreckt werden.

Ebenso könne die Tätigkeit der Antragstellerin im Bereich des Telemarketings dadurch erschwert werden, dass ihr Ruf im Kreis der Verbraucher in Mitleidenschaft gezogen wird und Anrufe ihrer Mitarbeiter wegen der gemäß § 312a Abs. 1 BGB gebotenen Offenlegung der Identität der Antragstellerin als Unternehmerin per se als unseriös bewertet und abgewehrt werden.
Zwar liege kein unmittelbarer Grundrechtseingriff vor, die weitere Verbreitung der Pressemitteilung komme jedoch in ihrer Zielgerichtetheit und Wirkung einem solchem Eingriff gleich.

Auskunft nur an Pressevertreter

Die Veröffentlichung der Informationen zu dem Bußgeldverfahren sei auch nicht durch den presserechtlichen Auskunftsanspruch gedeckt, so das Gericht weiter. Eine Ermächtigung zur Auskunftserteilung gegenüber der Presse rechtfertige keine Weitergabe von Informationen an Dritte über den Kreis anspruchsberechtigter Pressevertreter hinaus.

Das Oberverwaltungsgericht geht in seinem Beschluss schließlich auf die Vorschrift des § 45n Abs. 8 Satz 1 Telekommunikationsgesetz (TKG) ein. Dieser ermächtigt die Bundesnetzagentur zur Veröffentlichung von Informationen in ihrem Amtsblatt oder auf ihrer Internetseite, wenn und soweit diese Informationen sicherstellen, dass Endnutzer bei der Wahl eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes oder Kommunikationsdienstes über volle Sachkenntnis verfügen. Es spreche „Überwiegendes dafür, dass diese Regelung keine Ermächtigungsgrundlage für die öffentliche Bekanntmachung bußgeldbewehrter Rechtsverstöße darstellt“.

Die Bundesnetzagentur könne die Verbreitung auch nicht auf § 67 Abs. 1 S. 1 TKG stützen, da die Norm eine konkrete Gefahr der Verletzung gesetzlicher Vorschriften oder von Netzagentur-Bedingungen voraussetze. Nach der Generalklausel kann die Bundesnetzagentur im Rahmen der Nummernverwaltung Anordnungen und Maßnahmen treffen, um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und der von ihr erteilten Bedingungen über die Zuteilung von Nummern sicherzustellen.

Datenschutzbehörden haben in jüngerer Zeit wiederholt öffentlich vielrezipiert über Bußgelder berichtet, die wegen Verstößen gegen die DSGVO an Unternehmen verhängt wurden. Der neue Beschluss könnte zu einer Neubewertung der Informationspolitik in Pressestellen von Behörden führen und gibt diesen Leitlinien an die Hand, wann die namentliche Nennung von Unternehmen zulässig sind und wann nicht.

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