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Klage auf 78 Millionen Euro Schadensersatz gegen die Süddeutsche Zeitung gescheitert

Schadensersatz Süddeutsche Verdachtsberichterstattung
Photo by Roman Kraft on Unsplash

Die Vorbereitungen für geschäftliche Investitionen sind spannend. Presseartikel können den Gang der Verhandlungen in nicht zu unterschätzenderweise beeinflussen.

Interessant wird es insbesondere dann, wenn diese zum Zeitpunkt von Investitionsverhandlungen veröffentlicht werden. Mit der möglichen Folge, dass der Geschäftspartner aufgrund eines Artikels die Verhandlungen abbricht und somit einen Millionen-Deal zum Platzen bringt.

Das Oberlandesgericht Nürnberg hat mit einem Beschluss vom 03.02.2021 (OLG Nürnberg, Beschluss v. 3.2.2021, Az. 3 U 2445/18) die Berufung des Klägers gegen ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückgewiesen. Der Kläger hatte Schadensersatz wegen falscher Berichterstattung in Höhe von ca. 78 Millionen Euro verlangt.

Berichterstattungen im Rahmen von Investitionsverhandlungen

Der Kläger war unter anderem Mitbegründer der Solar Millennium AG. Der damalige Vorstandsvorsitze Prof. C trat nach Optionsgeschäften mit einer Schweizer Bank zurück. Die Folge? Erst Aktiensturz, dann Insolvenz der Solar Millennium AG.

Zwei Jahre später veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift „Wetten auf den Absturz“ einen Artikel und stellte die Frage in den Raum, ob der Kläger möglicherweise Insiderwissen zu Gunsten seinerseits genutzt haben könnte. Nur einen Tag später erschien in dem Schweizer Tages-Anzeiger unter der Überschrift „Spur in deutschem Insiderfall führt zu Bank Vontobel“ ein Artikel, in dem inhaltlich auf den Bericht in der Süddeutschen Zeitung Bezug genommen wurde.

Der Kläger behauptete, dass aufgrund dieser Berichte eine fortgeschrittene Vereinbarung über die Durchführung eines Projekts in Indien und weiterer Projekte in Indonesien geplatzt seien. Dem Kläger und den beteiligten Gesellschaften, sie ihre Ansprüche an den Kläger abgetreten hatten, sei dadurch erheblicher Gewinn entgangen. Genauer gesagt 78.242.500 Euro

Millionendeal geplatzt – wer zahlt? 

Der Kläger verlangte von der Beklagten dementsprechend 78.242.500 Euro. Nicht gerade wenig. Die Beklagte – hier die Süddeutsche Zeitung – wäre dann zur Schadensersatzzahlung verpflichtet, wenn sie durch die Veröffentlichung des Artikels pflichtwidrig und rechtswidrig gehandelt hätte. Eine pflichtwidrige und rechtswidrige Berichterstattung lehnte der Senat allerdings ab.

Verdachtsberichterstattung der Süddeutschen Zeitung zulässig

Zum einen argumentiert der Senat damit, dass eine zulässige Verdachtsberichterstattung zu Gunsten der Beklagten vorliege.

Nach Auffassung des Senats lagen im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die getätigten Optionsgeschäfte im Jahre 2010 auf „exklusives Wissen“ aufgrund der Aufsichtsratssitzung vom 4. März zurückgehen. Die Beklagten legten ferner eine E-Mail von einem anonymen Aktionär vor, aus dieser hervorging, dass sie von Personen, die Missstände innerhalb der Solar Millennium AG wähnten, mit Anhaltspunkten und Informationen versorgt worden waren.

Die Rolle der anonymen Informanten im Rahmen der Berichterstattung

In diesem Zusammenhang beschäftigte sich der Senat ebenso mit der Rolle der Anonymität von Informanten. Der Senat hat in diesem Kontext klargestellt, dass zur verfassungsrechtlich „verbürgten Freiheit“ der Presse auch der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten gehöre. Dies ergebe sich unter anderem daraus, dass beispielsweise in den Verfahrensordnungen entsprechende Zeugnis-/Auskunftsverweigerungsrechte vorgesehen seien, unter anderem in § 383 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 ZPO.

Fordere man in einem Zivilprozess – hier gegen einen Verlag – indirekt die Offenbarung der Namen von Informanten, so liefen die verfassungsrechtlichen Wertungen ins Leere. Die Beklagten seien auch nicht verpflichtet gewesen, die Informationen der Informanten schriftlich einzuholen oder sogar ihre Richtigkeit an Eides statt versichern zu lassen.

Schweizer Tages-Anzeiger Artikel der Süddeutschen Zeitung nicht zurechenbar

Darüber hinaus fehle es an einer Zurechnungszusammenhang zwischen dem Artikel der Süddeutschen Zeitung und dem in der Tages-Anzeiger erschienenen Artikel.

Nach dem der – vom Senat als zulässig eingestufte – Artikel der Süddeutschen veröffentlicht wurde, erschien einen Tag später in dem Schweizer Tages-Anzeiger unter der Überschrift „Spur in deutschem Insiderfall führt zu Bank Vontobel“ ein Artikel, in welchem inhaltlich auf den Bericht in der Süddeutschen Zeitung Bezug genommen wurde. Zwar müsse ein Schadensersatzpflichtiger auch für Folgeschäden einstehen, die erst durch das nachfolgende Verhalten Dritter ausgelöst wurde. Jedoch entfalle die Schadensersatzpflicht wegen Unterbrechung des Kausalverlaufs, wenn der Schaden durch ein völlig ungewöhnliches und unsachgemäßes Verhalten des Dritten ausgelöst wurde.

Der Senat stellt fest, dass der im Tages-Anzeiger erschienene Artikel „Spur in deutschem Insiderfall…“ sich wesentlich und in relevanter Weise von dem Artikel „Wetten auf den Absturz“ der Süddeutschen Zeitung unterschied. In dem Tages-Anzeiger Artikel wurde der Kläger als den Verantwortlichen für die Optionsgeschäfte und somit als denjenigen benannt, der Insiderwissen ausgenutzt habe. Dafür könne die Süddeutsche Zeitung haftungsrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden.

Der Artikel des Tages-Anzeiger stelle – anders als der der Süddeutschen Zeitung – keine zulässige Verdachtsberichterstattung dar. Es liege ein „neuer Fehler“ vor, für den allein der Tages-Anzeiger verantwortlich sei, dem Beklagten aber nicht zugerechnet werden könne, da eine pflichtwidrige und völlig unprofessionelle Veränderung vorliege.

Abbruch des Geschäftsverhandlungen aufgrund eines Presseartikels?

Zwar könne der Senat nachvollziehen, dass ein Geschäftspartner aufgrund der damals gegen den Kläger im Raum stehenden Vorwürfe nachteilige Folgen für die Reputation des Geschäfts befürchte und dieser daher die Geschäftsbeziehung abbreche. Dennoch ließ sich der Senat nicht davon überzeugen, dass gerade die im Artikel möglicherweise missverständlich dargestellten Ausführungen zu den Optionsgeschäften für den Abbruch der Geschäftsbeziehung ausschlaggebend gewesen waren.

Praxishinweis

Die Verdachtsberichterstattung stellt eine wichtige Säule der Pressearbeit dar. Zugleich ist sie ein „Dauerbrenner“ in deutschen Gerichtssälen. Klicken Sie hierfür auf unseren Beitrag: „5 Tipps für Blogger & Journalisten“.

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