Mehrfach ausgezeichnet.

Focus Markenrecht
en

LG Frankfurt: YouTube muss Influencer-Video mit Sprachnachricht löschen

Ihr Ansprechpartner
© gustavofrazao – Adobe Stock

Das Landgericht Frankfurt hat YouTube im Wege einer einstweiligen Verfügung verboten, ein Video öffentlich zugänglich zu machen, das eine persönliche Sprachnachricht enthielt.

Das Verfahren ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Nicht nur wegen der merkwürdigen Rechtsansichten und des rücksichtslosen Prozessverhaltens des Google-Konzerns.

Mehr dazu und was der ehemalige Bundespräsident Wulff und die BILD-Zeitung damit zu tun haben und weshalb YouTube trotz „Sperrung“ des Videos wahrscheinlich ein Ordnungsgeld bezahlen muss, erfahren Sie in diesem Beitrag.

YouTuber ohne Impressum veröffentlicht Sprachnachricht

Der Antragsteller wehrte sich dagegen, dass in einem Video eine vertrauliche Sprachnachricht enthalten war, die er an den Betreiber eines YouTube-Kanals gesandt hatte.

Ein typischer Fall, in dem sich ein „aufstrebender“ YouTuber auf Kosten einer bekannten Persönlichkeit nicht nur mit einem herabsetzenden Video („reaction video“?) Aufmerksamkeit verschaffen wollte. Er machte später auch die Aufforderung, bestimmte Rechtsverletzungen zu unterlassen, mit höhnischen Kommentaren öffentlich. Da der Antragsteller kein weiteres Unterhaltungsmaterial liefern wollte und der YouTube-Kanal des Täters – wen wunderte es – kein Impressum hatte, wandte er sich direkt an YouTube mit der Bitte, das Video zu entfernen.

YouTube verweigert die Löschung des Videos…

Nachdem von YouTube lediglich ein – leider von dort häufig versandter – Textbaustein kam, der neben der Sache lag, wurde ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Landgericht Frankfurt notwendig.

In Beachtung der strengen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur prozessualen Waffengleichheit, hörte das Landgericht YouTube schriftlich an. Bemerkenswert ist, dass YouTube sich nicht nur in der Sache verteidigte, sondern zusätzlich umfängliche Recherchen angestellt, Einzelheiten schlicht erfunden hatte und nun versuchte, den Antragsteller in einem schlechten Licht dastehen zu lassen.

…erfindet Sachverhalt…

YouTube konnte trotz der ständigen – aus anderen Verfahren bekannte – Klage des Unternehmens darüber, dass es als als bloßer Plattformbetreiber die zur Kenntnis gebrachten Sachverhalte nicht auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen könne, dies nach einer gerichtlichen Inanspruchnahme nicht nur auf einmal doch, sondern meinte darüber hinaus, dem Verfahren einen eigenen Sachverhalt zugrundelegen zu können, den es aus Wikipedia und anderen unverifizierten Quellen zusammenfantasiert hatte.

…und stellt Antragsteller als unersiös hin

Zudem wurde der Antragsteller ohne Not als „so genannter“ Finanz- und Erfolgscoach bezeichnet, der mit seinem geschäftlichen Auftritt in der Öffentlichkeit „polarisiere“. Er präsentiere sich in der Öffentlichkeit als „nahezu heroisch“ und verwende dabei „dramatische Musik“ und verbreite „phrasenhafte Tipps“. Ihren Höhepunkt fanden die Schmähungen in der Einschätzung, dass die Geschäftsmodelle des Antragstellers insgesamt „dubios“ erschienen.

Abgesehen davon, dass diese Art von Vortrag neben der Sache lag, offenbart das Verhalten der vollständig von fremden Inhalten abhängigen Plattform YouTube ein interessantes Weltbild: Die Vorteile der von Nutzern erstellten Inhalte, die bei ihr hochgeladen werden, nimmt man gerne mit. Möchte einer der Contentlieferanten dann jedoch gegen zu seinen Lasten auf der Plattform begangene Rechtsverletzungen vorgehen, stellt man ihn und seine Inhalte als „unseriös“ dar.

BGH: Veröffentlichung von Sprachnachrichten ist per se unzulässig

Dankenswerterweise ist die Rechtslage in Bezug auf die Veröffentlichung von Sprachaufzeichnungen in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eindeutig geklärt. Ihre Veröffentlichung verletzt den Betroffenen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Bestimmungsrecht des Autors über die Veröffentlichung einer von ihm verfassten Äußerung. Und dies unabhängig von ihrem Inhalt allein bereits aufgrund des konkreten Ausdrucks.

Zum Schutz der Aufzeichnung des gesprochenen Worts führt der BGH das Folgende aus:

Anerkannt ist als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts das Recht der Person zur Selbstbestimmung über das gesprochene Wort. Wird dieses – auch mit ihrer Einwilligung – aufgezeichnet, darf über ihren Kopf hinweg nicht über derartige Aufnahmen verfügt werden. Das Festhalten der Stimme auf einem Tonträger, durch das nicht nur die Äußerungen ihrem Inhalt nach, sondern in allen Einzelheiten auch des Ausdrucks fixiert und aus der Sphäre einer von der Flüchtigkeit des Worts geprägten Unterhaltung herausgehoben sowie für eine jederzeitige Reproduzierbarkeit in einem gänzlich anderen Kreis und einer anderen Situation objektiviert und konserviert werden, stellt eine derart intensive „Verdinglichung“ der Persönlichkeit dar, dass über ihren Kopf hinweg nicht über derartige Aufzeichnungen verfügt werden darf. Insoweit bedarf die Person eines entsprechenden Schutzes wie gegen die ungenehmigte Veröffentlichung ihres Bildnisses, vor der sie auch dann geschützt ist, wenn sie gegen dessen Anfertigung selbst keine Einwände erhoben hat.

(BGH, Urteil v. 26.11.2019, Az. VI ZR 12/19, NJW 2020, 770, 773, Rn. 36, bezugnehmend auf BGH, Urteil v. 10.3.1987, Az. VI ZR 244/85, NJW 1987, 2667, 2668, Rn. 17).

Nach diesen Vorgaben wird eine sogar mit Einverständnis des Betroffenen aufgenommene Sprachnachricht unabhängig von ihrem Inhalt als solche vor der Weitergabe aufgrund der damit verbundenen „Verdinglichung“ der Persönlichkeit absolut geschützt.

BILD sprach Sprachnachricht des damaligen Bundespräsidenten Wulff nur nach

Selbst die BILD-Zeitung traute sich damals daher nicht, die verzweifelte Sprachnachricht des damaligen Bundespräsidenten Wulff, die er im Jahr 2011 auf der Mailbox von Kai Dieckmann hinterlassen hatte, zu veröffentlichen, sondern sprach sie lediglich wie folgt nach: 

VON EINEM REDAKTEUR NACHGESPROCHEN: Das sprach Christian Wulff dem BILD-Chef auf die Mailbox

LG Frankfurt erlässt einstweilige Verfügung gegen YouTube

Das Landgericht Frankfurt war mit dem Antragsteller der Auffassung, dass die Veröffentlichung der Sprachnachricht eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellte und erließ eine Verbotsverfügung (LG Frankfurt, Beschluss v. 6.6.2023, Az. 2-03 O 181/23). Im Falle der Zuwiderhandlung droht ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 € oder bis zu sechs Monate Ordnungshaft. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Weshalb YouTube ein Ordnungsgeld zahlen muss

Es steht zu vermuten, dass YouTube ein Ordnungsgeld zahlen muss, sobald die einstweilige Verfügung vollzogen ist. Die Plattform hatte sich im einstweiligen Verfügungsverfahren unter anderem damit verteidigt, das betreffende Video ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zwischenzeitlich für den Abruf in Deutschland „gesperrt“ zu haben. Man ist dort offenbar der Meinung, damit der Unterlassungsverpflichtung genüge getan zu haben.

Das ist aber nicht der Fall. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Sperrung des gegenständlichen Videos in dem Sinne, dass das Video in Deutschland ober über deutsche Server nicht mehr abrufbar wäre. So kann das gegenständliche Video problemlos über eine Veränderung des angegebenen „Standorts“ über die Webseite auf dem Desktop und in der mobilen Version weiterhin abgerufen werden:

 

Dies dürfte einen Verstoß gegen die einstweilige Verfügung darstellen. Wir sind gespannt, was das Landgericht Frankfurt davon hält.

UPDATE 8.7.2023 – Abschlusserklärung und Geoblocking

YouTube hat eine Abschlusserklärung abgegeben und die einstweilige Verfügung als endgültige Regelung anerkannt. Darüber hinaus ist das Video nun durch ein sogenanntes Geoblocking für Abrufe gesperrt worden, die systemseitig als aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stammend erkannt werden. Obwohl dies die Gefahr eines Ordnungsgelds minimieren dürfte, bleibt fraglich, ob das tatsächlich ausreicht.

Selbst die Europäische Kommission erkennt an, dass das Geoblocking in Grenzregionen nicht exakt funktioniert. In einem Bericht über die Ergebnisse des per EU-Verordnung eingeführten Verbots des Geoblockings führt sie an, dass Menschen, die in Grenzregionen leben, besonders von den Auswirkungen des Geoblockings betroffen waren und es deren Nachfrage durch die Verordnung gerecht zu werden galt. Menschen, die in Deutschland in Grenzregionen leben, können mitunter das Video sogar ohne Änderung ihres Standorts bei der Plattform YouTube ansehen.

Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 28.4.2016 – I ZR 23/15; GRUR 2016, 1073, Rn. 32) ist der sog. „Streuverlust“, der auch bei Anwendung von Geoblocking bzw. dem der Entscheidung zugrunde liegenden umgekehrten Fall des Geotargetings zu berücksichtigen und der verantwortlichen Partei zuzurechnen. Er führt dazu aus:

Der lauterkeitsrechtlichen Erheblichkeit der Irreführung steht nicht entgegen, dass die Bekl. nach ihrer vom BerGer. als richtig unterstellten Behauptung ein Geo-Targeting-Verfahren verwendet, durch das mit einer Genauigkeit von 95 % Verbraucher aus Baden-Württemberg erreicht werden, die allein die Bekl. als Kunden für ihre Leistungen gewinnen will. Die von der Bekl. grundsätzlich unerwünschte Ausstrahlung ihrer Werbung in Gebiete, in denen sie ihre Leis-tung nicht anbietet, ist kein unter Umständen unerheblicher „Ausreißer“, son-dern ein Streuverlust, der von der Bekl. bewusst in Kauf genommen wird, ob-wohl sie eine Irreführung durch einen Hinweis auf die räumliche Verfügbarkeit ihres Angebots ohne Weiteres ausschließen könnte.

Die Gefahr eines Ordnungsmittels ist damit für YouTube alles andere als gebannt.

(Offenlegung: LHR vertritt den Antragsteller.)

Praxishandbuch Anspruchsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht

2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage

Chronologisch aufgebaut, differenzierte Gliederung, zahlreiche Querverweise und, ganz neu: Umfangreiche Praxishinweise zu jeder Prozesssituation.

Mehr erfahren

Praxishandbuch Anspruchsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht