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LG Wuppertal: Deliktunfähige Person haftet nicht als Handlungsstörer auf Unterlassung rechtswidriger Äußerungen

Störerhaftung Deliktsunfähigkeit
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Eine deliktsunfähige Person  gem. § 827  S.1  kann kein Handlungsstörer gem. § 1004 BGB sein.  Der Entfall der Deliktsfähigkeit beseitigt gleichzeitig auch die Störereigenschaft.

Eine deliktsunfähige Person ist nicht in der Lage ihr Verhalten adäquat zu steuern und dem Urteil entsprechend ihr Verhalten für die Zukunft zu ändern. Das hat das LG Wuppertal in einem Urteil vom 28.9.2021 festgestellt. (LG Wuppertal, Urteil v. 28.9. 2021, Az. 1 O 91/18).

Kein Unterlassungsanspruch gegen deliktsunfähige Person

Anlass für den Rechtsstreit waren Unterlassungsansprüche wegen Äußerungen der Beklagten in Bezug auf die Pferdepension der Kläger. Die Parteien sind Nachbarn. In der Vergangenheit hatte sich die Beklagte bereits potentiell rufschädigend und rechtswidrig über den Hof der Kläger geäußert – sowohl gegenüber den Nachbarn als auch gegenüber den Reitgästen und dem Veterinäramt. Gegenüber dem Veterinäramt erstattete die Beklagte Anzeige gegen die Kläger. Nach einer Betriebskontrolle des Veterinäramts waren der Ernährungs- und Pflegezustand der Tiere aber nicht zu bemängeln.

Folglich erörterten die Kläger in einem anwaltlichen Schreiben die Ergebnisse des Amtstierarztes und forderten die Beklagte zu einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Eine solche gab die Beklagte jedoch nicht ab. Daraufhin wurde Klage erhoben. Ohne Erfolg: Das LG Wuppertal wies die zulässige Klage als unbegründet ab. Ein Unterlassungsanspruch stehe den Klägern bereits bei Klageerhebung nicht zu. Dabei könne dahinstehen, ob die Beklagte die Aussage genauso getätigt habe. Der Anspruch scheitere bereits aus rechtlichen Gründen.

Das LG hat entschieden, dass die Beklagte nicht in Anspruch genommen werden könne, da sie sich in einem Zustand krankhafter seelischer Störung befinde, der nicht nur vorübergehender Natur sei. Dazu wurde im Verfahren ein psychiatrisches Gutachten einer Sachverständigen verwertet, welches bereits in einem weiteren anhängigen Amtsgerichtverfahren eingeholt wurde. Die Beklagte sei demnach nicht in der Lage ihre Wahrnehmung mit der Realität abzugleichen. Die Sachverständige diagnostizierte bei der Beklagten eine anhaltende wahnhafte Störung mit sensitivparanoidem Erleben.

Quasi- negatorischer Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch als ein Gebot der Gerechtigkeit

Die Kläger waren der Ansicht, dass die Beklagte mit ihren Äußerungen nachhaltig ihren Ruf schädige. Sie machten geltend, die Äußerungen würden ausschließlich zur Persönlichkeitsdiskreditierung erfolgen. Von der Meinungsfreiheit seien die Äußerungen nicht mehr gedeckt. Insbesondere sei durch die erfolgten Äußerungen ein signifikanter Schaden am Hof zu erwarten.  Die Kläger stützten den Antrag auf Unterlassung,  auf den durch die Rechtsprechung aus einer Gesamtanalogie der §§ 12, 823, 1004 BGB als ein „Gebot der Gerechtigkeit“ entwickelten quasinegatorischen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch.

Demnach obliegt der quasinegatorische Schutz gegen sämtlich drohende Beeinträchtigungen allen deliktisch geschützten und absoluten Rechten und Interessen. Darunter fallen auch das hier geltend gemachte Allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

Grundlage des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts, das als „sonstiges Recht“ wie Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum (§ 823 Abs. 1, § 1004) anerkannt ist, ist der verfassungsrechtliche Schutzauftrag der Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG sowie der menschenrechtliche Schutzauftrag des Art. 8 EMRK. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährt dem Betriebsinhaber das Recht, sein bestehendes gewerbliches Unternehmen ungehindert weiterzuführen und dieses vor unmittelbaren Beeinträchtigungen zu bewahren.

Insbesondere sollen Rechte und Rechtsgüter nicht nur nach vollendeter Verletzung durch Schadensersatzansprüche geschützt werden, sondern schon präventiv gegen drohende Verletzung durch Unterlassungsansprüche.

Entfall der Deliktsfähigkeit beseitigt gleichzeitig auch die Störereigenschaft

Das LG entschied : Die durch die Sachverständige dargelegten Umstände begründen jedenfalls eine partielle Geschäftsunfähigkeit gem. § 104 Nr. 2 BGB und eine Deliktsunfähigkeit gem. § 827 S.1 BGB. Problematisch und streitentscheidend war damit die Frage, inwieweit die fehlende Deliktsfähigkeit der Beklagten den Unterlassungsanspruch betreffen kann. Das Gericht war dabei der Ansicht, dass der Entfall der Deliktsfähigkeit auch gleichzeitig die Störereigenschaft beseitige.

Nach vorherrschender Ansicht ist Störer derjenige, der einen Störungszustand entweder durch seine eigene Handlung adäquat herbeigeführt hat (Handlungsstörer) oder ihn aufrechterhält (Zustandsstörer), soweit die Beseitigung des Zustands zumindest mittelbar von seinem Willen abhängt und er zur Abhilfe in der Lage ist. Voraussetzung des negatorischen Anspruchs ist demnach lediglich das gegenwärtige objektive Bestehen eines durch den Willen einer anderen Person aufrechterhaltenen Zustandes. Die Haftung ergibt sich also nicht aus einer der Vergangenheit angehörenden einzelnen Handlung des Beklagten. Der Anspruch ist nicht nur auf die Unterlassung einer identischen Handlungsweise gerichtet, sondern umfasst auch solche Beeinträchtigungsformen, die den Kern der Störung inhaltsgleich wiederholen. Für den Unterlassungsanspruch ist nach dem Gesetzeswortlaut die „Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen“ materielle Voraussetzung. Danach muss es in der Vergangenheit bereits zu einer Beeinträchtigung gekommen sein, wie sie auch für den Beseitigungsanspruch notwendig ist und sie muss in der Zukunft erneut drohen.

Grundsätzlich kann auch eine delikts- oder geschäftsunfähige Person Handlungsstörer sein. Denn da es sich bei dem Anspruch aus § 1004 BGB um keinen Schadensersatzanspruch handelt, ist dementsprechend auch kein Verschulden des Störers erforderlich.

Daher wird in der Literatur überwiegend dafür plädiert, einen Anspruch auf Unterlassen auch gegen delikts- und geschäftsunfähige Personen zuzusprechen. Dies würde jedoch dazu führen, dass etwa auch geistig schwerbehinderte Menschen oder Kleinkinder, welche beispielsweise ihre Lautstärke  nicht kontrollieren können, auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könnten. Gelöst wird dieser Umstand von der Literatur dadurch, indem darauf gerichteten Klagen das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen wird, da der Titel an einem Vollstreckungshindernis leidet (§ 890 ZPO). Denn eine Durchsetzung bzw. Sanktionierung der Verletzung des Unterlassungsgebotes durch Vollstreckung von Ordnungsmitteln setzt voraus, dass es zu einer Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Unterlassungsgebot durch ein zusätzliches schuldhaftes Handeln oder Unterlassen kommt. Diese Verletzung ermöglicht erst eine strafrechtsähnliche Sanktion.

Vorbeugender Rechtsschutz beinhaltet Warnfunktion

Diese Ansicht hat die Kammer jedoch als nicht überzeugend erachtet.  Der Literaturansicht zustimmend betont das LG, dass die Störereigenschaft des § 1004 BGB zwar ein Verschulden dem Grundsatz nach nicht voraussetze. Allerdings lasse diese Betrachtung außer Acht, dass die delikts- oder geschäftsunfähige Person gar nicht in der Lage sei, sein Verhalten adäquat zu steuern. Ein Urteil, durch welches diese Person zu einem Unterlassen eines bestimmten Verhaltens verurteilt wird, könne damit gar nicht den erhofften verhaltenssteuernden Effekt entfalten, welcher der Verurteilung als Sinn und Zweck zugrunde liege. Denn der Verurteilte sei aufgrund des Geisteszustands nicht in der Lage, dem Urteil entsprechend sein Verhalten für die Zukunft zu ändern.

Zu beachten gilt nach Auffassung des LG Folgendes:  Der vorbeugende Rechtsschutz diene gerade der Motivation künftigen veränderten Verhaltens und beinhalte insoweit eine Warnfunktion. Wenn aber dieses Ziel durch das Urteil gar nicht erreicht werden kann, müsse der allgemeine Grundsatz gelten, dass von niemandem etwas verlangt werden kann, was dieser unmöglich erfüllen kann. Es könne dementsprechend auch von niemandem eine Unterlassung verlangt werden, deren Einhaltung dieser nicht garantieren kann, da er sein Verhalten nicht entsprechend anpassen kann. Dieser Grundsatz finde sich ebenfalls in § 275 Abs. 1 BGB.

Eigenständiger Willensentschluss unverzichtbare Voraussetzung einer Verurteilung zur Unterlassung

Ein eigenständiger Willensentschluss sowie eine eigene Entscheidungsmöglichkeit seien damit eine unverzichtbare Voraussetzung einer Verurteilung zur Unterlassung. Eine solche Möglichkeit der freien Willensbetätigung habe die Beklagte nach den Feststellungen der Sachverständigen aufgrund der wahnhaften Erkrankung jedoch nicht. Für das Erfordernis der eigenen Willensbetätigung als elementare Voraussetzung der Verurteilung, spreche zudem der Vergleich mit einem weisungsgebundenen Arbeitnehmer. Weisungsgebundene Arbeitnehmer sind als Handlungsstörer anzusehen, wenn sie eine hinreichend selbstständige und eigenverantwortliche Stellung innehaben.  Eine Einordnung als Handlungsstörer ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn der Handelnde keinerlei Entschlussfreiheit hat. In einem solchen Fall ist der Weisungsgeber, der den Weisungsunterworfenen zu der störenden Handlung angewiesen hat, als unmittelbarer Handlungsstörer anzusehen.

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