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Zwischen „Zensur“ und „Pranger“

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Spiegel Pharma Berichterstattung
Photo by Utsav Srestha on Unsplash

Manchmal hat ein Gericht nur die Wahl, wessen Recht es empfindlich beschneiden will. Dass es mit einer Entscheidung erheblich in die für rechtens erachtete Praxis einer der Parteien eingreift, steht von vorneherein fest. So ist es regelmäßig bei Entscheidungen, die Grundrechte gegeneinander abwägen.

Einen solchen Fall hatte das LG Hamburg zu entscheiden: Ist die Berichterstattung des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ über die Zuwendung einer Pharmafirma an einen Arzt zulässig? Oder liegt dabei ein so schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor, dass die grundgesetzlich geschützte Meinungs- und Pressefreiheit dahinter zurücktreten muss? „Zensur“ oder „Pranger“? Das LG Hamburg hat sich gegen „Zensur“ entschieden (LG Hamburg, Urteil v. 20.09.2019, Az. 324 O 305/18).

Klassische Grundrechtsabwägung

Es geht dabei nicht darum, dass eine bestimmte Berichterstattung überhaupt unangenehm für die betreffenden Personen sein kann, sondern darum, ob dies hingenommen werden muss. Mit anderen Worten, ob der faktische Eingriff in das Persönlichkeitsrecht rechtswidrig ist. Das ist der Fall, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite – in dem Fall der Medien und der Öffentlichkeit – überwiegt.

Im Streitfall hatte dazu eine Abwägung zwischen dem Recht des Klägers (eines Arztes) auf Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG resp. Art. 8 Abs. 1 EMRK auf der einen Seite und dem Recht der Beklagten (des Magazins „Der Spiegel„) auf Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG resp. Art. 10 Abs. 1 EMRK auf der anderen Seite zu erfolgen.

Unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte kam das Gericht zu dem Schluss, dass die streitgegenständlichen Veröffentlichungen (Datenbank-Einträge über Zuwendungen der Pharmaindustrie an den Arzt) den Kläger nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen.

Entscheidungsgründe

Was führte zu dieser Entscheidung? Zunächst sei nicht davon auszugehen, dass die Datenbank-Einträge dem Rezipienten ein unwahres Verständnis des Sachverhalts vermitteln, umgekehrt: Das, was „Der Spiegel“ über die Zuwendungen schreibt, ist nach Ansicht des Gerichts wahr. Der klagende Arzt hat nichts vorgetragen, was dieser Annahme widerspricht. Es handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Eintrag um eine wahre Tatsachenbehauptung.

Damit ist aber noch lange nicht gesagt, dass es sich nicht dennoch um eine Persönlichkeitsverletzung handeln könnte, denn auch das Veröffentlichen der Wahrheit ist nicht immer und überall von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt, etwa dann nicht, wenn etwa Stigmatisierung oder Prangerwirkung droht.

Das aber sei aufgrund der veröffentlichten Datenbank-Einträge nicht der Fall. Der Argumentation des Klägers, ihm werde durch die Berichterstattung insgesamt vorgeworfen, er sei korrumpierbar, habe sich grundlos bereichert und sei ein Spielball der Pharmaindustrie, wollte das Gericht nicht folgen.

Eine Prangerwirkung sei, so das Gericht weiter, schon deshalb zu verneinen, weil der Kläger von der Beklagten gar nicht aus der Masse derjenigen, die Zuwendungen von der Pharmaindustrie erhalten haben, herausgehoben wird. Als einem unter vielen wird an dem Arzt tatsächlich nicht das Exempel statuiert, nicht die überzogene Kritik außer der Reihe vorgenommen, die für einen Pranger charakteristisch ist. Insoweit eine nachvollziehbare Argumentation des Gerichts.

Offene Fragen

Es ist gleichwohl insgesamt zu fragen, was derart umfangreiche Datenbanken in der Berichterstattung eines Nachrichtenmagazins zu suchen haben, worin der Mehrwert für die Meinungsbildung der Rezipienten genau besteht, wenn Reisekosten- und Spesenabrechnungen centgenau zugänglich gemacht werden, ob es also tatsächlich dem Recht der Öffentlichkeit, umfassend informiert zu werden, notwendig korrespondiert, eine derartige Datenbank zur Einsicht aller zu publizieren.

Auch die Logik, mit der die Prangerwirkung verneint wird, erscheint auf den zweiten Blick fragwürdig: Werden nur genügend andere Personen innerhalb der Vergleichsgruppe ebenso unvorteilhaft dargestellt, gibt es im Einzelfall nicht mehr den erforderlichen Unterschied in der Behandlung. Das ist richtig. Ein solcher Begriff des „Prangers“, der allein auf die Binnenverhältnisse in einer geschlossenen Gruppe abstellt, übersieht jedoch, dass eine ungünstige Presse für das ganze Kollektiv – im Verhältnis zu anderen Branchen oder Gemeinschaften – ebenfalls jene diskriminierende Dimension erreichen kann, die am Ende persönlichkeitsverletzende Prangerwirkung entfaltet. Es kann eine ganze Berufsgruppe in Misskredit bringen – mit dramatischen Folgen für alle, gerade, wenn es dabei um den Gesundheitssektor geht, der ganz besonders auf das Vertrauen der Öffentlichkeit angewiesen ist.

Die Diskussion um das Gebaren des „Spiegel“ dürfte also weitergehen.

Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.

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