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Massenhafte unlautere Werbung mit Stiftung-Warentest-Logos hat kaum Konsequenzen

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Der Spiegel berichtet über die „Trickserei“ vieler Firmen mit dem Gütesiegel der Stiftung Warentest. Mal werde ein Detail verschwiegen, mal ein Urteil erfunden.

Der Grund dafür:

„Die Stiftung Warentest hat einen extrem guten Ruf, 96 Prozent der Deutschen kennen sie, keiner Institution vertrauen die Verbraucher mehr, laut einer Forsa-Umfrage genießt sie sogar höhere Wertschätzung als Polizei und Rotes Kreuz. Für Firmen sind gute Noten daher höchst lukrativ – um bis zu 30 Prozent steigern sie laut Studien den Marktwert eines Produkts.“

Nachdem Unternehmen früher unterlassen hätten, in der Werbung das Veröffentlichungsdatum eines Tests anzugeben und die Verbraucher so nicht überprüfen konnten, ob Konkurrenzprodukte mittlerweile besser getestet wurden, habe diese Form der Trickserei nachgelassen.

„Doch nach wie vor benutzen Firmen gute Ergebnisse, obwohl diese aufgrund eines aktuelleren Tests überholt sind – und damit laut den Bedingungen der Stiftung nicht mehr für Werbezwecke benutzt werden dürfen. Ein neues Phänomen sei zudem, dass die Firmen die Note für ein einzelnes Produkt auf eine komplette Serie übertragen – ohne dass diese je getestet wurde.“

Der Autor des Artikels bemängelt vor allem, dass Unternehmen, die bei diese „Tricksereien“ ertappt werden, keine wirklichen Konsequenzen zu befürchten haben, da die Verbraucherzentralen aus Angst vor einer Niederlage die Streitwerte absichtlich niedrig ansetzten, da die Prozesskosten sie im Verlustfalle finanziell überfordern könnten.

Merkwürdig.

Dabei legitimiert das deutsche Wettbewerbsrecht doch nicht nur Verbraucherverbände, gegen solche Machenschaften vorzugehen, sondern auch explizit den einzelnen Wettbewerber gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Warum werden solche massenhaften eklatanten Rechtsverstöße dann nicht häufiger geahndet?

Das könnte daran liegen, dass die Rechtsprechung eine konsequente Rechtsverfolgung dieser massenhaften Verstöße für die Wettbewerber mittlerweile oft faktisch unmöglich macht.

Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 27.04.2010, Az. I-4 U 150/09, abrufbar bei den Kollegen von Dr. Damm & Partner zum Beispiel Abmahnungen eines Konkurrenten im Matratzensegment für rechtsmissbräuchlich erachtet, da sich die Zahl von 156 Abmahnungen in einem Jahr wegen irreführender Werbung „nicht sinnvoll in den Geschäftsbetrieb einordnen“ ließen. Im konkreten Fall ging es um eben die irreführenden Angaben in Bezug auf Testergebnisse, die der Spiegel anprangert. Das Verhalten sei jedoch angesichts der schwachen wirtschaftlichen Situation der Klägerin in der Gesamtschau als rechtsmissbräuchlich einzuordnen. Dies, obgleich das Gericht betont, dass es sich bei den abgemahnten Sachverhalten nicht um Bagatellfälle gehandelt habe.

Andererseits weist das OLG Hamm kurioserweise daraufhin, dass auch zu wenige Abmahnungen zu einem bestimmten Zeitpunkt für einen Rechtsmissbrauch sprechen können, da ein solches Verhalten dann für Willkür spreche:

„Auch eine Abmahntätigkeit in sog. “Wellen” geben als Indiz für einen Abmahnmissbrauch noch nicht unbedingt etwas her. Dazu muss hinzukommen, dass die beanstandete Werbung auch nach Abebben der jeweiligen Abmahnwellen noch fortgesetzt worden ist. Nur ein solches Abmahnverhalten spricht für eine willkürliche Abmahnauswahl, die gegen ein Interesse an der Sache spricht. Im vorliegenden Fall zieht sich die Abmahnung von falschen Testergebnissen aber von Anfang bis zum Ende durch (vgl. Anlage A 11 bis Anlage A 144). Insgesamt erweckt die Liste der abgemahnten Verstöße noch nicht den Eindruck, als wären sie willkürlich ausgewählt worden, was als Indiz für einen Missbrauch hätte gewertet werden können.“

Um den Anforderungen der Rechtsprechung des OLG Hamm zur Rechtsmissbräuchlichkeit gerecht zu werden, darf der Unternehmer vor dem Hintergrund seines Umsatzes bzw. Gewinns somit nicht zu viele Abmahnungen aussprechen. Gleichzeitig darf er aber nicht plötzlich mit der „Abmahnerei“ aufhören, da dies für Willkür sprechen könnte, die wiederum ebenfalls ein Indiz für rechtmissbräuchliches Verhalten wäre.

Abgesehen davon, dass es die absolute Ausnahme sein sollte, einem grundsätzlich Anspruchsberechtigten das ihm zustehende Recht wegen Missbrauchs abzusprechen, erinnert die Entscheidung des OLG Hamm stellenweise an eine Art der Prozessführung aus dem frühen Mittelalter. Interessant auch, dass Zivilgerichte neuerdings neben der Rechtsanwendung sogar dazu berufen zu sein scheinen, unternehmerische Entscheidungen nach deren Sinnhaftigkeit zu beurteilen. Die – gelinde gesagt – abenteuerliche Auffassung, dass eine Kontrolle des geschlossenen Unterlassungsvertrags (wohlgemerkt ohne Aufbrauchsfrist) nach 4 bzw. 5 Tagen ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch darstellen soll, wird dabei fast zur Nebensache:

„Mit Schreiben vom 23. Januar 2009 unterwarf sich der Schuldner. Mit Schreiben vom 27. Januar 2009 wurde bereits die Vertragsstrafe geltend gemacht. Berücksichtigt man, dass der 25. Januar ein Sonntag war, ist hier die Forderung der Vertragsstrafe zu kurzfristig, so dass man hinsichtlich dieser Abmahnung von einem Rechtsmissbrauch ausgehen kann. Gleiches gilt für den Vorfall gemäß Anlage A 117. Die Unterwerfungserklärung datiert vom 18. Februar 2009. Die Vertragsstrafe wurde bereits am 23. Februar 2009 gefordert. Der 22. Februar 2009 war wiederum ein Sonntag.“

Eine seriöse anwaltliche Beratung ist vor diesem Hintergrund kaum noch möglich. Wozu soll man dem (wohlgemerkt durch erhebliche massenhafte unlautere Werbung durch Konkurrenten) Verletzten raten? Zu vielen Abmahnungen? Zu hohes wirtschaftliches Risiko = Rechtsmissbrauch. Zu wenigen (ausgewählten) Abmahnungen? Willkür = Rechtsmissbrauch. Gleiches gilt bei der Beratung von Abgemahnten. Muss der Anwalt nun in jedem Fall zu einem Widerspruch gegen eine einstweilige Verfügung raten? Im Verlaufe des Verfahrens bis zum OLG werden sich schon (nicht zuletzt durch die zahlreich erreichbaren „Gegnerlisten“ im Internet) weitere „Abmahnopfer“ und dann auch ein Richter auftreiben lassen, der sachfremde Motive findet.

Es ist an der Zeit, die Entscheidung des OLG Hamm zum Anlass nehmen, den „Abmahnwahn“ einiger Gerichte vom Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen, was bekanntlich leider nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren, sondern nur im Hauptsacheverfahren geht, wenn man das System der Abmahnung nicht abschaffen und durch eine reine staatliche Kontrolle ersetzen will.  Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Wie es gemacht wird, hat jedoch alleine der Gesetzgeber zu entscheiden und daran haben sich dann auch alle zu halten. Der jetzige Zustand, in dem Verfahren trotz unstreitigen Sachverhalts und klarer Rechtslage immer häufiger zu Indzienprozessen verkommen, deren Ausgang nicht mehr prognostiziert werden kann, ist jedenfalls unerträglich.

Ich gehe davon aus, dass der Bundesgerichtshof  früher oder später ein Machtwort sprechen wird. Dieser hat seine Überlegungen zum Rechtsmissbrauch in neuerer Zeit entgegen früherer Entscheidungen aus den Jahren 2000 bis 2005 offenbar jedenfalls in Bezug auf die „Mehrfachverfolgung“ gleicher Verstöße schon relativiert (BGH, Urteil vom 22.04.2009, Az. I ZR 14/07).  (la)

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