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EuGH: Gericht am Sitz des Geschädigten bleibt zuständig – trotz Gerichtsstandklausel

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Gerichtsstand deliktische Ansprüche
Photo by Rhema Kallianpur on Unsplash

Bevor es in einem Rechtsstreit zwischen einem Hotel in Kropp (Schleswig-Holstein) und der Plattform Booking.com aus den Niederlanden um die Sache gehen kann, musste zunächst entschieden werden, vor welchem Gericht das Hotel seine Ansprüche einzuklagen berechtigt ist: vor einem Gericht in Amsterdam (wie es in den AGB von Booking.com steht) oder vor dem Landgericht Kiel. 

Hotel wehrt sich gegen dubiose Geschäftspraktiken 

Dort hatte das Hotel die Klage eingereicht, die sich gegen die aus Sicht des Hoteliers unbilligen und wettbewerbswidrigen Geschäftspraktiken der Online-Plattform richtete. Damit sollte erreicht werden, dass Booking.com es unterlässt, Zimmerpreise ohne Zustimmung des Hotels als vergünstigt oder rabattiert auszuweisen, Kontaktdaten zurückzuhalten und die Platzierung des Hotels bei Suchanfragen von einer hohen Provision abhängig zu machen.

Ansprüche vertraglicher oder deliktischer Art?

Das dazu angerufene LG Kiel erklärte sich jedoch für nicht zuständig, was das OLG Schleswig-Holstein bestätigte. Der Fall landete beim BGH.

Dieser legte das Verfahren dem EuGH vor, der nun entschied: Das Hotel darf in Kiel klagen (EuGH, Urteil v. 24.11.2020, Az. C-59/19). Entscheidend sei, so die Luxemburger Richter, welche Ansprüche eingeklagt werden: Ansprüche vertraglicher oder deliktischer Art.

Hier gehe es um eine deliktische Handlung, die der zivilrechtlichen Haftungsklage zugrundeliege, denn diese stütze sich auf wettbewerbsrechtliche Vorschriften. Daher sei Art. 7 Nr. 2 der sogenannten Brüssel Ia Verordnung (EU/1215/2012) bei der Frage nach der Zuständigkeit des Gerichts maßgebend, also die Gerichtsstandsklausel in den Booking.com-AGB nicht zwingend anwendbar.

Über den Fall hinaus

Über den konkreten Fall hinaus bedeutet das: Bei deliktische Ansprüchen ist der in den zum Vertrag gehörenden AGB genannte Gerichtsstand nicht bindend. Klage kann dort erhoben werden, wo der Geschädigte seinen Sitz hat, nicht der Schädiger.

Die unscheinbare Entscheidung hat es in sich: Viele international agierende Unternehmen versuchen, sich mit entsprechenden AGB-Klauseln der deutschen Gerichtsbarkeit zu entziehen, auch wenn sie erhebliche Umsätze dort machen, zB Amazon. Für von unberechtigten Amazon-Sperrungen betroffenen Händlern wurde so bisher die gerichtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche erschwert. Das könnte nun der Vergangenheit anhören.

Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.

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