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OLG Dresden: Bezeichnung von Seenotrettern als Schlepper ist keine Schmähkritik

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Seenotretter als Schlepper
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Wer die Beiträge eines anderen auf Social-Media, mit einem zustimmenden Kommentar versehen, teilt, macht sich diese zu Eigen. Die Bezeichnung von Seenotrettern als „Schlepper“ sei jedoch keine Schmähkritik. Die Meinungsfreiheit überwiege in diesem Fall das Persönlichkeitsrecht der Hilfsorganisation, so das Oberlandesgericht Dresden.

„Mission Lifeline“ als „Schlepper“?

Auslöser für das Verfahren war, dass der „Pegida-Förderverein“ und ein Vorsitzender des Vereins auf Facebook einen Artikel der „Identitären Bewegung Dresden“ geteilt hatten. In diesem Beitrag wurde die Hilfsorganisation „Mission Lifeline“ als „Schlepper“, „Schlepperorganisation“ und Schlepper-NGO“ bezeichnet. Ihre Posts versahen beide mit der Aussage „wichtige und richtige Aktion“. Über das Urteil des Landgerichts Dresden in diesem Fall haben wir bereits berichtet. Jetzt hat das Oberlandesgericht die erlassenen Unterlassungsurteile aufgehoben (OLG Dresden, Urteile v. 1.6.2018, Az. 4 U 217/18 und 4 U 218/18).

Seenotretter gegen Pegida

Die einstweilige Verfügung gegen Pegida wiesen die Richter bereits als unzulässig zurück. Es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, da bereits ein Unterlassungstitel vorliege. Dieser beruhe auf einem, in einem früheren Verfahren geschlossenen, Vergleich zwischen den Parteien. In diesem Vergleich hatte sich Pegida verpflichtet die „Mission Lifeline“ nicht als „kriminell agierende, private Schlepperorganisation“ zu bezeichnen.

Nach Auffassung der Richter stelle die hier getroffene Aussage einen kerngleichen Verstoß dar. Die Worte „Schlepper“ und „Schlepperorganisation“ seien für den angesprochenen Personenkreis ohnehin mit einem Strafbarkeitsvorwurf versehen. Durch diese Tatsache sei der Zusatz „kriminell agierend“ entbehrlich um einen Verstoß zu bejahen.

Im Ergebnis hätte ein Vollstreckungsverfahren nach § 890 ZPO angestrengt werden müssen und keine einstweilige Verfügung.

Seenotretter gegen Siegfried Däbritz

Die einstweilige Verfügung gegen den Pegida-Vize-Vorsitzenden Siegfried Däbritz sei hingegen zwar zulässig, jedoch unbegründet.

Däbritz habe sich die Äußerung der Identitären Bewegung durch das Teilen mit dem Kommentar zu eigen gemacht. Zwar sei das Teilen von Beiträgen auf Social-Media-Plattformen generell eine wertungsfreie Handlung, durch den Kommentar „wichtige und richtige Aktion“ werde allerdings die inhaltliche Übernahme des Artikelinhalts eindeutig ersichtlich.

Der Post sei als eine Meinungsäußerung zu qualifizieren, wodurch der Anwendungsbereich der Meinungsfreiheit Art. 5 GG eröffnet ist. Bei der Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung stellten die Richter nur auf den Facebook-Post ab, nicht aber auf den gesamten Artikel. Es sei dem Post kein ausreichender Tatsachenkern für eine Tatsachenbehauptung zu entnehmen. „Mission Lifeline“ werde keine Straftat – im Sinne des § 96 Abs. 2 AufenthG dem „gewerbsmäßigen Einschleusen“ – unterstellt. Es handle sich vielmehr um Bewertungen und Meinungen zu dem Handeln der Hilfsorganisation. Alle anderen Äußerungen bezögen sich nicht nur auf die Klägerin, sondern auf alle Seenotorganisationen. Insgesamt sei der tatsächliche Gehalt zu inhaltsleer und substanzarm für eine Beweisaufnahme. Der Einordnung als Meinungsäußerung stehe auch die laienhafte Einordnung als strafbares Verhalten nicht entgegen.

Schmähkritik oder noch Meinung?

Der Bundesgerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung, dass nicht jede Meinungsäußerung, die überspitzt, geschmackslos oder ausfällig ist Schmähkritik darstellt. Dies setze vielmehr voraus, dass der Betroffene in einer Weise angeprangert wird, dass der sachliche Inhalt der Aussage vollkommen hinter die Diffamierung der Person zurücktritt. Dies sei aber vorliegenden nicht der Fall, da nicht die Mitarbeiter, sondern die Hilfsorganisation als solche angesprochen werde, so die Richter. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer juristischen Person fuße nicht auf der Menschenwürde und diese habe weder eine Intim-, noch eine Privatsphäre. Jegliche Äußerung könne daher höchstens ein Eingriff in die Sozialsphäre darstellen.

Ein solcher Eingriff könne nur dann als Schmähkritik gewertet werden, wenn die juristische Person in ihrer sozialen oder wirtschaftlichen Existenz bedroht sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Ergänzend legten die Richter dar, dass in diesem Fall die Annahme von Schmähkritik auch in Bezug auf eine natürliche Person ausscheide. Die Diffamierung der Seenotretter stehe nicht im Vordergrund, sondern die ablehnende Haltung zur Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer.

Bei der Grundrechtsabwägung überwiege daher die Meinungsfreiheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Es sei keine Prangerwirkung über den Personenkreis, der die Ansicht Pegidas teile, hinaus zu erwarten. Außerdem sei nur die Sozialsphäre durch die im übrigen substanzarme Äußerung betroffen. Die Meinungsfreiheit sei allerdings in ihrem Kern betroffen und jeder Eingriff in diese auf das unbedingt Erforderliche zu begrenzen.

Fazit

Einerseits lässt sich sagen, dass sich die Substanzarmut des Beitrages in diesem Fall gelohnt hat. Ab und zu ist es wohl besser, keine Tatsachenbehauptungen aufzustellen, wenn man die Grenzen der Meinungsfreiheit ausreizen will. Bezüglich der einstweiligen Verfügung gegen Pegida selbst liegt bereits ein Fehler in der Prozesstaktik vor, da der kerngleiche Verstoß hier relativ offensichtlich war. Jetzt muss ein weiteres Verfahren angestrengt werden um zumindest ein Ziel – das Ordnungsgeld gegen Pegida – zu erreichen.

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