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Gestohlene EC-Karte: Berufung auf Anscheinsbeweis ist keine Irreführung

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EC Karte Irreführung
markus thoenen – stock.adobe.com

Ein Zahlungsdienstleister verstößt nicht gegen notwendigen Nachweis der Authentifizierung, wenn er einen Anscheinsbeweises erbringt, indem er darlegt, dass die Sicherheitsmerkmale einer Bankkarte praktisch unüberwindbar sind (OLG Frankfurt, Urteil v. 30.09.2021, Az. 6 U 68/20).

Nach § 675w S. 1 BGB hat der Zahlungsdienstleister nachzuweisen, dass eine Authentifizierung erfolgt ist und der Zahlungsvorgang nicht durch eine Störung beeinträchtigt wurde, wenn die Autorisierung eines ausgeführten Zahlungsvorgangs streitig ist. In dem vom Oberlandesgericht ausgeurteilten Fall wurde mit der EC-Karte einer Kundin Geld abgehoben. Die Kundin ließ die Karte mit der Begründung sperren, die Karte sei ihr gestohlen worden. Eine Erstattung der abgebuchten Beträge lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass die Bargeldabhebung mit der Original-Debitkarte unter Eingabe der PIN erfolgt sei. Aufgrund des Anscheinsbeweises sei davon auszugehen, dass der Verwender der Karte Kenntnis von der PIN gehabt habe und diese demgemäß nicht ausreichend geheim gehalten worden sei.

Berufung auf Anscheinsbeweis keine unlautere Irreführung

Die Klägerin sah in dem Umstand, dass sich die Beklagte auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft, eine wissentliche unlautere Irreführung. Das OLG Frankfurt entschied, dass eine irreführende geschäftliche Handlung im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) jedoch nicht vorliege, wenn sich eine Bank zur Abwehr von Ansprüchen eines Kunden auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft.

Der Kläger war der Ansicht, die Beklagte sei gemäß § 675w S. 4 BGB verpflichtet, unterstützende Beweismittel vorzulegen, wenn sie dem Kunden grobe Fahrlässigkeit nachweisen will. Nach der Norm muss der Zahlungsdienstleister „unterstützende Beweismittel vorlegen, um Betrug, Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Zahlungsdienstnutzers nachzuweisen“. Satz 4 wurde mit Wirkung ab dem 13. Januar 2018 in § 675w BGB eingefügt. Er setzt Art. 72 der Zweiten Zahlungsdienstrichtlinie, auch PSD abgekürzt, um.

Nachweis erbracht durch Hinweis auf neueste Technologie

Das OLG entschied, dass die Beklagte nicht gegen § 675w verstoßen habe. Die Bedeutung von § 675w S. 3 und S. 4 BGB sei zwar „nicht ganz klar“. Doch indem die Beklagte in einem Schriftsatz unwidersprochen auf den Einsatz der neuesten Chip-Technologie hingewiesen habe, habe sie die praktische Unüberwindbarkeit der Sicherheitsmerkmale der Zahlungskarte dargelegt. Damit habe sie den Nachweis der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises erbracht und somit den Anforderungen des § 675w S. 4 BGB genügt.

Frühere Rechtsprechung: Berechtigt, falls mit Karte und PIN

Vor Einführung des § 675w BGB galt nach Rechtsprechung und überwiegender Lehre bei Zahlungen, bei denen eine ordnungsgemäße Verwendung der Originalkarte und PIN nachgewiesen werden konnte, ein Beweis des ersten Anscheins, dass die Kartenverfügung durch den Kunden selbst vorgenommen oder von ihm zumindest begünstigt wurde, da nur er die Geheimzahl kennt. Es war nicht möglich, den Nachweis zu erschüttern durch den Hinweis, man habe nicht selbst verfügt oder die Karte sei abhandengekommen.

Weitere Anwendung des Anscheinsbeweises?

Nach Einführung der Beweisregel in § 675w S. 3 BGB war streitig, ob die Vorschrift der Anwendung des Anscheinsbeweises entgegensteht. Nach der neuen Norm reicht nämlich, wenn die Zahlung mittels eines Zahlungsinstruments ausgelöst wurde, die Verwendung von Karte und PIN „allein nicht notwendigerweise aus“, um nachzuweisen, dass der Zahler „vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen die Bedingungen für die Nutzung der Karte verstoßen hat“. Der BGH hat entschieden (BGH, Urteil v. 26.01.2016, Az. XI ZR 91/14), dass Satz 3 der Anwendung des Anscheinsbeweises nicht entgegensteht, sondern vielmehr besondere Anforderungen an dessen Ausgestaltung stellt. Die korrekte Aufzeichnung der Kartennutzung allein reicht danach nicht mehr aus. Stattdessen muss die allgemeine praktische Sicherheit und die Einhaltung des Sicherheitsverfahrens im konkreten Einzelfall feststehen.

Einsatz neuester Chip-Technologie

Im Streitfall hat die Beklagte bereits in Schreiben an Kunden darauf hingewiesen, dass die PIN weder aus dem Magnetstreifen herausgelesen noch durch eine Manipulation der Karte ermittelt werden könne. Die gestohlene „V PAY“-Karte, so das OLG-Urteil, sei mit der neuesten Chip-Technologie ausgestattet. V-PAY sei ein Verfahren, bei dem alle Transaktionen über einen EMV-Chip abgewickelt würden, welcher Kartenfälschung und Manipulationen wirksam verhindere.

Ein Diplom-Informatiker des vom Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie kam in einem Gutachten ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass es praktisch nicht möglich sei, eine Bankkarte mit EMV-Chip zu kopieren. Dies beruhe auf den physischen Sicherheitseigenschaften, die direkt auf dem Chip eingesetzt würden und das zerstörungsfreie Öffnen und Nachvollziehen der Schaltungslogik des Chips stark erschweren würde. Selbst unter Laborbedingungen sei dies bislang nicht gelungen. Bleibt zu hoffen, dass dies so bleibt. Denn sollte es – zu 100 Prozent sicher ist keine Sicherheitstechnologie – doch jemandem gelingen, die EMV-Technologie zu knacken, dürfte ein bloßer Verweis auf die eingesetzte Technologie nicht mehr unbedingt ausreichen, um als Bank § 675w S. 4 BGB zu genügen.

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