Mehrfach ausgezeichnet.

Focus Markenrecht
en

LG Nürnberg zu unberechtigter Löschung eines Social-Media-Beitrags

Ihr Ansprechpartner
Löschung eines Social-Media-Beitrags
Foto von Ujesh Krishnan auf Unsplash

Wenn eine Social-Media-Plattform einen Beitrag zu Unrecht löscht und sich ein Nutzer dagegen wendet, ist bei einem mehrdeutigen Beitrag für das Verständnis des Beitrags die Deutung zugrunde zu legen, die für den Nutzer günstiger ist. So hat das Landgericht Nürnberg-Fürth geurteilt (LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 22.08.2023, Az. 11 O 6693/21).

In dem entschiedenen Fall ging es um einen mehrdeutigen Beitrag und eine Sanktion des Betreibers einer Social-Media-Plattform wegen eines behaupteten Verstoßes gegen die Gemeinschaftsstandards der Plattform, im Bereich der sogenannten Hassrede. Das LG Nürnberg-Fürth urteilte, dass für das Verständnis des betroffenen Beitrags die Deutung zugrunde zu legen ist, die für den Nutzer günstiger ist. Seien mehrere sich nicht gegenseitig ausschließende Deutungen des Inhalts einer Äußerung möglich, so sei bei der rechtlichen Beurteilung hinsichtlich von Sanktionen diejenige zugrunde zu legen, die für den in Anspruch Genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger beeinträchtigt. Der Betreiber einer Social-Media-Plattform kann also einen mehrdeutigen Beitrag nicht in fernliegender Weise auslegen und darauf die Löschung eines Social-Media-Beitrags stützen.

Löschung eines mehrdeutigen Beitrags wegen angeblichem Verstoß gegen Plattformregeln

Laut dem Urteil des LG Nürnberg-Fürth geht das Verbot einer Äußerung ohne Bezugnahme auf ihren jeweiligen Kontext geht grundsätzlich zu weit. Das LG Nürnberg-Fürth zitiert hier die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach eine Untersagung stets eine Abwägung zwischen dem Recht des von der Äußerung Betroffenen, insbesondere auf Schutz seiner Persönlichkeit, und dem Recht des sich Äußernden auf Meinungs- und Medienfreiheit unter Berücksichtigung des Kontextes, in dem die Äußerung gefallen ist, voraussetzt. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung sei die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums.

Durchschnittsleser und Gesamtkontext entscheidend

Im konkreten Fall ging es um die Äußerung „verblödete Deutsche“. Zwar könne die Äußerung von einem Durchschnittsleser im Gesamtkontext als eine Aussage über die Minderwertigkeit der deutschen Bevölkerung oder als Ausdruck der Verachtung gegenüber der deutschen Bevölkerung ausgelegt und verstanden werden. Die Äußerung könne auch dahingehend verstanden werden, dass die deutsche Bevölkerung insgesamt oder jedenfalls ein repräsentativer, „typischer“ Deutscher“ „verblödet“ sei. Damit würden allen Menschen deutscher Nationalität verallgemeinernd verminderte intellektuelle Fähigkeiten zugeschrieben. Auch sei in den Gemeinschaftsstandards definiert, dass es sich bei dem Wort „blöd“ um eine verbotene Verallgemeinerung handle, die Minderwertigkeit aufgrund geistiger Einschränkungen der intellektuellen Fähigkeit zum Ausdruck bringe.

„Verblödete Deutsche“ keine Hassrede

Die Äußerung stelle jedoch „keinen direkten Angriff auf Personen dar, auch wenn durch die Äußerung eine bestimmte Personengruppe aufgrund ihrer nationalen Herkunft identifizierbar ist“. Ausgehend vom objektiven Wortlaut und unter Berücksichtigung des Kontexts liege in der Äußerung keine gewalttätige oder menschenverachtende Sprache und auch kein Aufruf, Personen auszugrenzen oder zu isolieren.
Die Äußerung könne von einem Durchschnittsleser auch als Selbstkritik bzw. Selbstironie im Rahmen einer aktuellen politischen Diskussion über den Klimawandel verstanden werden. Die Äußerung könne auch im Gesamtkontext aufgrund der weiteren Aussagen „Autofahrer schröpfen“, „Industrie knebeln“ sowie einer Aussage zur Verlagerung von Produktionsstandorten ins Ausland dahingehend verstanden werden, dass der Kläger die Deutschen kritisiere, dass diese einem „grünen Ökowahn“ unterlägen, der mit Nachteilen für die Deutschen und die deutsche Wirtschaft verbunden sei.
Es handle sich weder um Hassrede im Sinne der Gemeinschaftsstandards der Social-Media-Plattform noch um eine „als Hassrede definierte Aussage über Minderwertigkeit, schädliche Stereotypisierung oder einen Ausdruck der Verachtung, der Abscheu oder Ablehnung oder Beschimpfung“, so das LG Nürnberg-Fürth. Die Aussage sei mehrdeutig und die Plattform habe bei der Prüfung der Löschung des Social-Media-Beitrags „die für den Kläger günstigere Auslegung zugrunde zu legen“.

Daten zu Löschungen und Sperrungen sind keine unrichtigen Daten

Das LG Nürnberg-Fürth entschied daneben, dass die im Datenbestand einer Social-Media-Plattform vermerkten Löschungen und Sperrungen eines Kontos keine unrichtigen personenbezogenen Daten im Sinne von Art. 16 Satz 1 DSGVO darstellen. Es handle sich bei Daten dieser Art nämlich nicht um dem Wahrheitsbeweis zugängliche Tatsachen, sondern um „rechtliche Bewertungen“, die schon wegen des Schutzes der Meinungsfreiheit aus dem Anwendungsbereich der Berichtigungspflicht ausgenommen seien, soweit sie keine Tatsachenbestandteile enthalten. Der Kläger habe deshalb keinen Anspruch auf Löschung der Daten nach Art. 17 Abs. 1 lit. a DSGVO.

Praxishandbuch Anspruchsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht

2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage

Chronologisch aufgebaut, differenzierte Gliederung, zahlreiche Querverweise und, ganz neu: Umfangreiche Praxishinweise zu jeder Prozesssituation.

Mehr erfahren

Praxishandbuch Anspruchsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht