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OLG Frankfurt: Anspruch auf Schadensersatz wegen unberechtigter Marken-Abmahnung

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unberechtigte Abmahnung Schadensersatz
prima91 – stock.adobe.com

Das OLG Frankfurt hat in einem aktuellen Urteil vom 15.02.2022 entschieden, dass ein Anspruch auf Schadensersatz wegen unberechtigter Abmahnung aufgrund angeblicher Markenrechtsverletzung durch Google Adwords besteht. ( OLG Frankfurt, Urteil v. 10.02.2022 Az.6 U 126/21). 

Google Ads (vormals AdWords; Abkürzung Englisch „adverts“, Anzeigen, Werbungen) ist ein Werbesystem des US-amerikanischen Unternehmens Google LLC. Werbetreibende können damit Anzeigen schalten, die sich vor allem an den Suchergebnissen bei Nutzung der unternehmenseigenen Dienste orientieren.

Grundsätzlich gilt, dass auch bei einer Werbeanzeige, die bei Google in einem vom generischen Suchergebnis abgetrennten Bereich angezeigt und mit „Anzeige“ gekennzeichnet ist, ausnahmsweise ein Hinweis auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber erforderlich sein kann. Verfügt der Markeninhaber über ein Vertriebsnetz, zu dem die Beklagte durch eine Adwords-Anzeige Zugehörigkeit suggerieren könnte, gilt dies allerdings nur, wenn der Verkehr auch Kenntnis von einem derartigen Vertriebssystem hat. Beschränkt sich die Anzeige auf eine allgemeine Bewerbung liegt keine kennzeichenmäßige Benutzung vor.

Klage auf Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten- teilweise erfolgreich

In dem Rechtsstreit ging es um die Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit einer Abmahnung. Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich kieferorthopädischer Leistungen und bieten u.a. die Versorgung mit sog. „Invisalign“- Zahnschienen an. Zu einem nicht genau benannten Zeitpunkt vor dem 11.10.2019 war bei Eingabe des Suchwortes „X“ (Name des Beklagten) in der Internet-Suchmaschine Google eine bestimmte Bildschirmansicht mit u.a. folgenden Inhalten zu sehen: 

„Anzeige

Keramik Zahnspange | Lingualtechnik die Alternative

Die linguale Zahnspange ist festsitzende, …“

„Anzeige

Unsichtbare Zahnspange

Ein Lächeln kann die Welt verzaubern. …“

Der Beklagte ließ daraufhin die Klägerin mit zwei inhaltsgleichen Schreiben im Oktober 2019 abmahnen und sie zur Abgabe einer Unterlassungserklärung wegen Verletzung der Rechte aus seinem Unternehmenskennzeichen „Polzar“ auffordern. 

Mit Schreiben von November 2019 ließ die Klägerin die Ansprüche zurückweisen. Mit weiterem Schreiben von April 2020 ließ die Klägerin den Beklagten zum Verzicht auf die geltend gemachten Ansprüche auffordern. Hinsichtlich dieser beiden anwaltlichen Tätigkeiten forderte die Klägerin den Ersatz der Rechtsanwaltsgebühren aus einem Streitwert von jeweils 50.000 €.

Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von rd. 3.600 €. Auf die Berufung des Beklagten reduzierte das OLG die Zahlung auf rd. 2.300 €. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

Das OLG Frankfurt entschied, dass die Klägerin gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB habe, da die unberechtigte Abmahnung des Beklagten vom 11.10.2019 einen Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstelle. 

Dabei könne sowohl dahinstehen, ob die Klägerin zu Unrecht als Täterin in Anspruch genommen worden ist, obwohl insoweit davon auszugehen ist, dass Google die Zuordnung zwischen dem Suchwort „Polzar“ und der Anzeige der Klägerin autonom hergestellt hat, als auch ob Google als Beauftragte nach § 15 Abs. 6 MarkenG haften würde, da sich die Abmahnung des Beklagten schon allein deshalb als rechtswidrig erweist, weil es der Anzeige an einer kennzeichenmäßigen Verwendung i.S.v. § 15 Abs. 2 MarkenG fehlt.

Neben einer unberechtigten Schutzrechtsverletzung die für einen Schadensersatzanspruch vorliegen muss, ist die Rechtswidrigkeit des Eingriffs aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung festzustellen. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist ein offener Tatbestand, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben. Diese ging vorliegend zu Lasten des Beklagten aus.

Das Gericht betonte, dass zugunsten des Abgemahnten grundsätzlich sein Interesse zu berücksichtigen sei, davor geschützt zu werden, zur Vermeidung von Schadenersatzansprüchen wegen der vermeintlichen Verletzung der Schutzrechte bedeutende unternehmerische Entscheidungen zu treffen, wie etwa die Einstellung oder Modifizierung von Herstellung und Vertrieb.

Strenger Sorgfaltsmaßstab für unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen

Zu beachten sei insbesondere, dass für unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen wegen der damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen ein strenger Verschuldensmaßstab gelte. (BGH, Urteil v. 19.01.2006 , Az. I ZR 98/02).  Darin liege der Ausgleich für den strengen Sorgfaltsmaßstab, dem Dritte zur Vermeidung von Schutzrechtsverletzungen unterliegen. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Verwarners dürften andererseits aber nicht so groß sein, dass er wegen des drohenden Haftungsrisikos von der Geltendmachung berechtigter Ansprüche abgehalten werde, so das Gericht. 

Nach ständiger Rechtsprechung werden Art und Umfang der Sorgfaltspflichten eines Verwarners  maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit er auf den Bestand und die Tragfähigkeit seines Schutzrechts vertrauen darf. Bei geprüften wie ungeprüften Rechten handelt danach schuldhaft, wer bei sorgfältiger Prüfung zu der Erkenntnis gelangen muss, dass kein Eingriff in sein Schutzecht vorliegt. (BGH, Urteil v. 19.01.2006, Az. I ZR 98/02)

Das OLG Frankfurt schlussfolgerte anhand dieses Maßstabs, dass hier ein Verschulden nicht verneint werden könne. Die fehlende Berechtigung der Abmahnung ergebe sich zwar nicht aus einem fehlenden Bestand des Schutzrechts, allerdings aus der fehlenden markenmäßigen Benutzung.

Keine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion

Das OLG Frankfurt stellte heraus, dass in der Regel keine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion vorliege, wenn die Werbeanzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheine und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthalte.

Denn der verständige Internetnutzer erwarte in einem von der Trefferliste deutlich abgesetzten und mit dem Begriff „Anzeigen“ gekennzeichneten Werbeblock nicht ausschließlich Angebote des Markeninhabers oder mit ihm verbundener Unternehmen. Ihm sei klar, dass eine notwendige Bedingung für das Erscheinen der Anzeige vor allem deren Bezahlung durch den Werbenden ist. Rechnet der Internetnutzer mit Angeboten, die nicht vom Markeninhaber oder von mit ihm verbundenen Unternehmen stammen, bedürfe es daher keines Hinweises auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber, um eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion auszuschließen. Für geschäftliche Bezeichnungen könne insoweit nichts Anderes gelten, so das OLG Frankfurt.

Vom Sucherergebnis abgetrennter Bereich und Kennzeichnung als Anzeige

Diese Voraussetzungen seien bei der streitgegenständlichen Anzeige erfüllt. Sie befand sich in einem vom generischen Suchergebnis abgetrennten Bereich und war mit „Anzeige“ gekennzeichnet. 

Soweit nach gefestigter BGH-Rechtsprechung bei Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise auch für den Fall, dass die Werbeanzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheint und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthält, ein Hinweis auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion der Marke auszuschließen, liegen diese Umstände hier nicht vor, betonte das OLG Frankfurt in seiner Entscheidung.

Der EuGH hat dazu ausgeführt, es könne in Fällen, in denen das Vertriebsnetz des Markeninhabers aus zahlreichen Einzelhändlern zusammengesetzt sei, für den normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer besonders schwer sein, ohne Hinweis des Werbenden zu erkennen, ob dieser zu diesem Vertriebsnetz gehöre oder nicht.

 Deshalb habe das nationale Gericht unter Berücksichtigung dieses Umstands und anderer Faktoren, die es als relevant erachte, zu beurteilen, ob ein solcher Internetnutzer, der in seinem Suchbegriff die Marke verwende, auf Grund der in der Werbeanzeige verwendeten Formulierungen erkennen könne, dass der Einzelhändler nicht zum Vertriebsnetz des Markeninhabers gehöre. Die Rechtsprechung des EuGH ist zwar für das rein nationale Recht des Unternehmenskennzeichens nicht bindend.  Jedoch verlangt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kennzeichenrechte bei der Anwendung originär dem Schutz geschäftlicher Bezeichnungen gewidmeter Normen die Berücksichtigung originär markenrechtlicher Wertungen. Beschränkt sich die Anzeige allerdings auf eine allgemeine Bewerbung (hier von „unsichtbaren Zahnspangen“) liegt keine kennzeichenmäßige Benutzung vor.

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