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Kanzleialltag aus Sicht unserer juristischen Praktikantin – Folge 4: Achtung, Irrtum vorprogrammiert? Das Anti-Abzocke-Gesetz

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scam„Neue Abmahnwelle überrollt Deutschland“, riefen die Schlagzeilen im Juli 2014. Die gefälschten Abmahnungen stießen bei mehr als 10.000 besorgten Internetnutzern auf Alarmbereitschaft. Zu oft hatte man schon von unberechtigten, überteuerten Abmahnungen gehört. Dabei sollte ein neues Gesetz seit 2013 den besorgten Nutzern ihre Sorgen nehmen: Das „Anti-Abzocke-Gesetz“, das vor überteuerten Abmahnungen schützen sollte. Sollte. Doch zunächst die Grundlagen.

Die Abmahnung – Während meines Praktikums in der Kanzlei höre ich diesen Begriff täglich, fällt er doch besonders oft im Marken-, Wettbewerbs- oder Urheberrecht. Auch vielen Internetnutzern dürfte der Begriff nicht fremd sein. Eine Umfrage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen zeigt: In den vergangenen Jahren sind bereits rund 4,3 Millionen Deutsche schon einmal abgemahnt worden. Nach Erhebungen der „Interessengemeinschaft gegen den Abmahnwahn“ wurden 2013 fast 110.000 Abmahnungen mit Forderungen in einer Gesamthöhe von über 86 Millionen Euro verschickt. Kein Wunder, dass die meisten mit einer Abmahnung nur Negatives verbinden.

Was ist eine Abmahnung?

Eine Abmahnung ist eine formale Aufforderung an eine Person, ein bestimmtes Verhalten oder Handeln einzustellen und zu unterlassen. Beispielsweise kann der Rechteinhaber eines Films einen privaten Internetnutzer in einem juristischen Schriftsatz dazu auffordern, das illegale Bereitstellen eines Musiktitels im Internet einzustellen. Üblicherweise ist eine vorformulierte Unterlassungserklärung Teil der Abmahnung. Wenn der Abgemahnte bis zu einer bestimmten Frist diese nicht unterschrieben hat, drohen ihm weitere rechtliche Schritte. Mit der Unterschrift einer Unterlassungserklärung dagegen verpflichtet er sich, das ihm vorgeworfene unrechtmäßige Verhalten in Zukunft zu unterlassen. Die größten Streitfragen entbrennen jedoch an den Kosten, die vom Abgemahnten verlangt werden:

Wie setzen sich die Kosten in einer Abmahnung zusammen?

Die Kosten in einer Abmahnung setzen sich aus zwei Teilen zusammen, der Abmahnungsgebühr und dem Schadenersatz. Die Abmahnungsgebühr entsteht durch die Anwaltskosten und die Auslagenpauschale – also wenn der Verletzte einen Anwalt mit der Abmahnung beauftragt. Dieser Anwalt muss entsprechend bezahlt werden. Wenn die Abmahnung berechtigt ist oder akzeptiert wird und die weiteren formale Voraussetzungen nach § 97a im Urhebergesetz erfüllt sind, kann der Verletzte vom Abgemahnten die Ersetzung der Abmahnungsgebühr verlangen. Der Schadenersatz zum Beispiel im Urheberrecht wird anhand der sogenannten „Lizenzanalogie“ berechnet, nämlich laut § 97 Abs. 2 Satz 3 UrhG:

„auf der Grundlage des Betrages (…), den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte“.

Die Höhe des Schadensersatzes ist also nicht auf einen konkreten Wert festgelegt.
Im Durchschnitt mehr als 800 Euro konnten bisher auf diese Weise von vielen Abgemahnten – meist privaten Internetnutzern – eingefordert werden. Kein Wunder, dass bei vielen Verbrauchern oft der Eindruck entstand, dass es den Rechteinhabern und deren Anwälten weniger um den eigentlichen Zweck der Abmahnung, nämlich die Unterlassung der Rechtsverletzung ging. Vielmehr schienen die geforderten Zahlungen im Vordergrund zu stehen. In nicht wenigen Fällen wurden diese und die Anzahl von Abmahnungen von den Abmahnenden wohl bewusst in die Höhe getrieben – daher der Begriff des „Abmahnwahns“ oder der „Abmahnindustrie“. Seit dem 9. Oktober 2013 schreibt das „Anti-Abzocke-Gesetz“ für die Kosten der Abmahnung allerdings neue Regeln vor.

Was ist das „Anti-Abzocke-Gesetz“?

Das „Anti-Abzocke-Gesetz“, offiziell das „Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken“ sollte gegen drei Probleme vorgehen, zu denen neben der unerwünschten Telefonwerbung und den fragwürdigen Methoden von Inkasso-Unternehmen auch der „Abmahnwahn“ zählt. Im Sinne der Verbraucher sollte es unter anderem dem Geschäft mit überzogenen Abmahnungen ein Ende setzen. Demnach sollten die Abmahngebühren im Regelfall maximal 124 Euro zzgl. Mwst. betragen dürfen. Der sogenannte außergerichtliche Streitwert, nach dem sich diese Abmahngebühr richtet, wurde auf 1000 Euro begrenzt. Diese Regelungen gelten für private Verbraucher beim ersten Abmahnfall. Außerdem muss das Verfahren, wenn überhaupt, laut Gesetz am Wohnsitz des abgemahnten Nutzers stattfinden. Der Rechteinhaber kann sich für seine Klage nicht wie vorher ein beliebiges Gericht in Deutschland aussuchen.

Auszug aus § 97a Urhebergesetz nach dem Anti-Abzocke-Gesetz:

„(3) Soweit die Abmahnung berechtigt ist und Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 4 entspricht, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden. Für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen beschränkt sich der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen hinsichtlich der gesetzlichen Gebühren auf Gebühren nach einem Gegenstandswert für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von 1 000 Euro, wenn der Abgemahnte
1.
eine natürliche Person ist, die nach diesem Gesetz geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Schutzgegenstände nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet, und
2. nicht bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet ist.
Der in Satz 2 genannte Wert ist auch maßgeblich, wenn ein Unterlassungs- und ein Beseitigungsanspruch nebeneinander geltend gemacht werden. Satz 2 gilt nicht, wenn der genannte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist.“

Was hat das „Anti-Abzocke-Gesetz“ gebracht?

Genau diese Frage stellt sich Rechtsanwalt Biesterfeld-Kuhn von LHR im „Gesetzes-Check“ der ARD-Sendung „Ratgeber Recht“ vom 9. August 2014.

In der Bewertung des Gesetzes geht Rechtsanwalt Biesterfeld-Kuhn von LHR auf alle drei Probleme ein, die das Anti-Abzocke-Gesetz eigentlich hätte lösen sollen – und kommt zu dem ernüchternden Schluss, dass lediglich den unseriösen Methoden von Inkasso-Unternehmen feste Schranken vorgeschoben wurden. Sowohl vor unerwünschten Werbeanrufen als auch vor überteuerten Abmahnungen schützt das Anti-Abzocke-Gesetz nicht in dem Umfang, den der Name verspricht.

Während sich viele Verbraucher in vermeintlich sicherer Rechtslage wiegen, wissen sie nicht, dass die 124 Euro zzgl. Mwst. lediglich die Abmahnungsgebühren deckeln. Doch neben diesen Abmahnungsgebühren fällt auch noch der Schadensersatz an. Und seine Höhe ist laut Gesetz nicht zwangsweise festgelegt. Ein weiterer Haken an der Sache: Zwar beträgt der Höchststreitwert, nach dem sich die Abmahnungsgebühr richtet, wie erwähnt 1000 Euro. Doch die letzte Klausel aus dem § 97a Urhebergesetz erlaubt Ausnahmen, nämlich:

„wenn der genannte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist.“

Das Gesetz erlaubt also im Einzelfall auch höhere Gebühren – und was als Ausnahme gilt, ist nicht klar bestimmt. Damit kann der Abmahnende die zusätzlichen Kosten zu den 124 Euro zzgl. Mwst. weiterhin selbst höher setzen, solange er eine Begründung dafür findet. Ob die Begründung ausreicht, entscheiden die einzelnen Gerichte. So forderte der Rechteinhaber für die vierte Staffel der Serie „The Walking Dead“ Abmahnungsgebühren aus einem Streitwert von 15.000 Euro. Seine Begründung: Die Gebührendeckelung treffe nicht auf diesen Fall zu, weil die Serie brandaktuell sei. Die Entscheidung, ob erhöhte Abmahnungsgebühren aus „Billigkeitsgründen“ gestattet sind, treffen am Ende die einzelnen Gerichte.

Dabei ist die Problematik um die unbestimmten Rechtsbegriffe bei der Abmahnungsregelung schon länger bekannt, ebenso wie die Diskussion um die Deckelung der Anwaltsgebühren. Bereits im Jahr 2008 trat die Gebührendeckelungsvorschrift des § 97a Abs. 2 Urheberrechtsgesetz in Kraft, nach dem sich der Ersatz der Anwaltskosten für die erstmalige Abmahnung „in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs“ auf 100 Euro beschränken sollte.

Was sind die Folgen des „Anti-Abzocke-Gesetzes“?

Seit Einführung des Gesetzes scheinen Einzel-Abmahnungen häufiger geworden zu sein, schreibt die Kölnische Rundschau. Statt beispielsweise für das illegale Teilen einer gesamten Fernsehserie im Internet Schadensersatzansprüche zu erheben, würden manche Rechteinhaber dazu neigen, für jede einzelne Folge der Serie Kostenansprüche anzurechnen.

Statt der Abmahnungsgebühren selbst, die ja höchstens 124 Euro zzgl. Mwst. betragen dürfen, sind nach dem Inkrafttreten des Anti-Abzocke-Gesetzes die Schadenersatzansprüche bei einer Abmahnung in die Höhe gestiegen. Ihre Bemessung ist nicht vom Gesetz festgeschrieben, sondern bleibt den einzelnen Gerichten überlassen. Für den Verbraucher bedeutet das: Die Gesamtkosten in einer Abmahnung bleiben ähnlich hoch wie vor der Einführung des Anti-Abzocke-Gesetzes.

Achtung, Irrtum vorprogrammiert!

Für den Verbraucher besteht damit eine Gefahr, gegen die er selber etwas tun kann! Denn wer die anfänglichen Berichte über das Anti-Abzocke-Gesetz nur überflog, für den konnte leicht der Eindruck entstehen, dass Abmahnungen nun weniger bedrohlich seien. Schließlich war da von „mehr Schutz vor Abmahnungen“, „Gebührendeckelung“ und „Verbraucherschutz in letzter Minute“ die Rede. Ganz schnell kann es dann passieren, dass sich der Verbraucher in falscher Sicherheit wähnt. Diese Sicherheit könnte beispielsweise zum sorgloseren Umgang mit illegalem Filesharing führen, wie der Beitrag „Kostenfalle Tauschbörse“ in der ARD-Sendung „plusminus“ vom 20. August 2014 zeigt.

Doch trotz Anti-Abzocke-Gesetz sollte man sich nicht dazu verleiten lassen. Die „auch wenn ich erwischt werde, zahle ich nur 124 Euro“- Einstellung ist gefährlich und falsch. Der einfachste Weg, überteuerte Abmahnungen zu vermeiden, bleibt derselbe: Finger weg von illegalen Downloads und Filesharing. (he)

(Bild: ©Stuart Miles/shutterstock.com)

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