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Künstler für eigenes Werk abgemahnt: Der LHR-Praxisfall des QR-Grabsteins

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Ein Kreativer gerät ins Visier einer Bildagentur wegen eines Fotos seines eigenen Schaffens – ein grotesker Urheberrechtskonflikt im digitalen Zeitalter.

Ein Kölner Steinmetzmeister staunte nicht schlecht: Eine Anwaltskanzlei mahnt ihn im Namen der Bildagentur dpa Picture-Alliance ab, weil auf seinem Facebook-Profil ein Foto seines eigenen Werks – eines von ihm gestalteten QR-Grabsteins – zu sehen ist. 

Die Agentur beansprucht die Bildrechte an dem Foto, obwohl der abgebildete Grabstein von dem Unternehmer selbst entworfen und geschaffen wurde.

Nun fordern Rechtsanwälte im Auftrag der Agentur vom Urheber des Grabsteins eine Lizenzzahlung, da das das fremde Foto unbefugt genutzt habe – eine absurde Wendung, die den Steinmetz gewissermaßen zum Täter einer Urheberrechtsverletzung an seinem eigenen Schöpfungswerk macht.

Wiederholter Praxisfall: Wenn der Schöpfer zur Kasse gebeten wird

Bei LHR ist dies bereits der zweite bekannte Fall dieser Art. 

Schon früher hatte eine Designerin – in ähnlicher Konstellation – eine Abmahnung erhalten, weil er ein Foto ihres eigenen Werkes – in diesem Fall künstlerisch hochwertige Dirndl – verwendete. 

Im aktuellen Fall wollte der Steinmetz sein innovatives Grabmal mit QR-Code auf Facebook präsentieren. Das Grabmal selbst ist eine kleine Sensation: Bereits 2011 entwickelte er den ersten eigenständigen QR-Grabstein, der für viel Medienaufmerksamkeit sorgte und heute sogar Teil der Sammlung des Sepulkralmuseums in Kassel ist.

2012 folgte der erste QR-Grabstein auf einem öffentlichen Friedhof in Deutschland. Das Kunsthandwerk des Steinmetz wurde also breit diskutiert und gewürdigt – umso grotesker mutet es an, dass ausgerechnet der Urheber dieses Werks nun wegen eines beiläufigen Fotos desselben zur Rechenschaft gezogen werden soll.

Das Foto stammte von einem befreundeten Fotografen

Im konkreten Fall stammte das Foto nicht vom Steinmetz selbst, sondern von einem Pressefotografen. Der Steinmetz hatte seinerzeit jedoch aktiv an der Entstehung des Fotos mitgewirkt: Der befreundete Fotograf bat 2018 um Zugang zu einem Friedhof, um den QR-Grabstein in natürlicher Umgebung abzulichten – der Steinmetz stellte den Kontakt her und ermöglichte die Aufnahmen. Zwei der damals entstandenen Motive – beide zeigen von ihm geschaffene Werke – wurden anschließend über die dpa Picture-Alliance Bildagentur verbreitet. 

Was der Steinmetz jedoch nicht ahnte: Die Agentur würde Jahre später systematisch das Internet nach diesen Bildern durchsuchen und sogar ihn als Urheber des Grabmals wegen eines Facebook-Posts ins Visier nehmen. Genau das geschah: In einem Posting hatte der Steinmetz 2022 – also rund zehn Jahre nach Aufstellung des ersten QR-Grabsteins – einen Beitrag mit drei Bildern veröffentlicht. Zwei der Fotos stammten aus seiner eigenen Werkstatt; das dritte war das beanstandete dpa-Foto seines Grabsteins, eingebettet als kleines Vergleichsbild.

Mit diesem dritten Foto wollte er lediglich den natürlichen „biogenen Bewuchs“ demonstrieren, der sich auf dem Grabstein gebildet hatte und den man leicht entfernen kann, damit Schrift und QR-Code wieder gut lesbar sind. Das Fremdfoto diente also – so seine Argumentation – lediglich als erläuterndes Beiwerk in dem Post, während die Hauptinhalte von ihm selbst stammten.

Zwei Abmahnungen: Forderungen über rund 3.000 €

Umso größer war der Schock, als Anfang 2025 gleich zwei Abmahnungen ins Haus flatterten: Eine Kanzlei forderte im Namen der dpa Picture-Alliance jeweils knapp 1.500 € für die angeblich „unberechtigte Nutzung“ dieses Pressefotos auf unterschiedlichen Stellen auf Facebook. 

Eingerechnet waren neben Lizenzgebühren auch Zinsen und Anwaltskosten – und letzteres keineswegs zu knapp, da die Posts über Jahre online waren. Der Steinmetz reagierte mit einer ausführlichen Entgegnung, in der er auf seine eigene Urheberschaft am Motiv verwies, ebenso auf die besondere Konstellation: Hier werde „der Urheber des abgebildeten Werkes“ wegen eines Abbilds seines Werkes verfolgt, ein Henne-Ei-Problem sondergleichen. 

Zudem sei das betreffende Foto in seinem Beitrag offensichtlich nur „unwesentliches Beiwerk“ neben seinen eigenen Bildern und dem informativen Text gewesen – erlaubt nach § 57 UrhG, der solche unwesentlichen Beiwerke von der Zustimmungspflicht ausnimmt. 

Schließlich zweifelte er auch den geforderten Betrag an: Die Nische der QR-Grabsteine habe keinerlei kommerzielles Massenmarkt-Potenzial, und „Trauer und Gedenken lassen sich nicht verkaufen – wie ein Paar Turnschuhe“, wie er pointiert schrieb.

Abmahnindustrie 2025: Alte Posts als Goldgrube?

Die Bildagentur und ihre Anwälte zeigten indes wenig Verständnis für diese Perspektive. In ihrer Antwort ließen sie den Urheber-Einwand kalt abblitzen: Es sei „unerheblich, welches Motiv auf dem Lichtbild zu erkennen ist und ob der Stein von Ihnen hergestellt wurde“, so die Kanzlei in deutlichen Worten. Entscheidend sei allein, dass die dpa Picture-Alliance die Bildrechte halte und der Steinmetz keine Lizenz besitze. Auch das Argument des „unwesentlichen Beiwerks“ wischten die Anwälte beiseite: Das Foto sei nicht bloß Beiwerk, sondern vordergründig im Post zu sehen, somit voll lizenzpflichtig. 

Und selbst wenn der Steinmetz der Urheber des Grabsteins sei, müsse er nicht als solcher genannt werden, da es sich nicht um ein urheberrechtlich geschütztes Kunstwerk im Sinne eines Gemäldes oder ähnlichen Werkes handele – mit anderen Worten: Der kreative Aufwand des Grabmals wurde – im Gegensatz zu dem Schnappschuss desselben – von der Gegenseite erst gar nicht als schutzwürdig anerkannt. 

Immerhin zeigte die Agentur sich zu einem Nachlass bereit: Aus „Kulanz“ bot man einen Vergleichsbetrag von rund 1.046 € an, falls der Steinmetz schnell zahle. Die Frist: innerhalb weniger Tage. Andernfalls drohten weitere Schritte.

Der Fall ist kein Einzelfall

Der Fall ist kein Einzelfall – im Gegenteil: Deutsche Bildagenturen durchkämmen offenbar systematisch alte Social-Media-Beiträge auf der Suche nach unverhofften Lizenzeinnahmen. 

Im Auftrag der dpa Picture-Alliance verschickt eine Anwaltskanzlei seit einiger Zeit regelmäßig Abmahnschreiben auch für Jahre zurückliegende Facebook-Postings, oft an kleinere Unternehmen oder Vereine. Häufig sind Beiträge aus den Jahren 2013 bis 2022 betroffen, die nun plötzlich mit hohen Schadensersatz- und Zinsforderungen nachträglich monetarisiert werden.

Die Summen können drastisch ausfallen: In einem bekannt gewordenen Fall verlangte die Kanzlei sogar über 11.000 € für drei ältere Facebook-Fotos – zustande kam dieser enorme Betrag vor allem durch die Annahme einer dauerhaften Nutzung über viele Jahre und horrende Verzugszinsen.

Die Überlegung dahinter: Je länger der ungenehmigte Gebrauch zurückliegt, desto höher schraubt sich der Anspruch nachträglich in die Höhe. Vielen Abgemahnten fällt angesichts solcher Forderungen aus heiterem Himmel sprichwörtlich die Kinnlade herunter.

Aus wirtschaftlicher Sicht mag das Vorgehen der Agenturen nachvollziehbar erscheinen. Jede nicht lizenzierte Nutzung eines Bildes bedeutet theoretisch einen entgangenen Gewinn; es ist das gute Recht des Rechteinhabers, diesen nachträglich einzufordern. Zudem hat sich in den letzten Jahren herumgesprochen, dass gerade in sozialen Netzwerken oft unbekümmert fremde Bilder geteilt werden, ohne an Lizenzen zu denken – ein gefundenes Fressen für spezialisierte Kanzleien. 

Dennoch drängt sich die Frage auf, wie sinnvoll und fair dieses strikte Vorgehen im konkreten Einzelfall ist. Hier steht ein Urheber einem Urheber gegenüber: Der Fotograf (bzw. die Agentur) pocht auf seine ausschließlichen Rechte am Foto, während der abgemahnte Steinmetz als Schöpfer des abgebildeten Objekts jedenfalls moralisch die größere Nähe zum Bildinhalt hat. Diese Konstellation führt das Urheberrecht an eine Grenzsituation, die im Gesetz so wohl nicht bedacht war.

Ist es wirklich im Sinne des Urheberrechts, wenn ein Künstler zahlen soll, weil er ein schlichtes Foto seines eigenen Kunstwerks teilt? 

Juristisch mag der Fotograf auf den ersten Blick im Recht sein – doch inhaltlich wirkt der Fall fragwürdig und befremdlich. Der Steinmetz fühlt sich verständlicherweise verkehrt herum aufgesattelt: Sein Werk hat das Foto überhaupt erst wertvoll gemacht, und nun soll er dafür bezahlen, dieses Foto in einem fachbezogenen Kontext gezeigt zu haben. Dieser Henne-Ei-Konflikt entlarvt eine gewisse Scheuklappen-Mentalität mancher Bildagenturen.

KI-Bildgeneratoren und die Angst der Bildagenturen

Warum scheinen Bildagenturen gerade jetzt vermehrt solche alten Schätze zu heben? 

Ein Blick auf die Marktentwicklung liefert einen möglichen Erklärungsansatz. Die Branche der Stockfotografie steckt mitten in einem Umbruch. Moderne KI-Bildgeneratoren wie DALL‑E, Midjourney oder Stable Diffusion erlauben es inzwischen in Sekunden ansprechende, passgenaue Bilder zu erstellen – oft kostengünstig oder gar lizenzfrei.

Der Bedarf an klassischen Stockfotos sinkt entsprechend spürbar: In Fachkreisen wird bereits offen diskutiert, dass mit der Verwendung von KI weniger Bedarf an Stockfotos“ besteht. Viele Kreative greifen für generische Illustrationen lieber zu KI-Tools, als teure Lizenzgebühren an Agenturen zu zahlen. 

Die großen Player der Branche haben diese Gefahr erkannt – und reagieren teils panisch: So verbannen Agenturen wie Shutterstock und Getty Images KI-generierte Bilder aus ihren Portfolios. Gleichzeitig versuchen sie, ihre herkömmlichen Bildbestände maximal auszuschöpfen. Was liegt da näher, als sämtliche bislang übersehenen Urheberrechtsverstöße aufzuspüren und zu monetarisieren? Genau diesen Eindruck vermittelt die aktuelle Abmahnwelle.

Das Verhalten der Agenturen erinnert an eine auslaufende Industrie, die noch den letzten Tropfen aus dem System pressen will. Anstatt mit innovativen Angeboten oder Kulanz gegenüber Kreativen zu punkten, werden offenbar bevorzugt rechtliche Druckmittel eingesetzt, um aus altem Content Kapital zu schlagen. 

Natürlich: Ein Verstoß gegen das Urheberrecht bleibt ein Verstoß – doch wenn die Anspruchsdurchsetzung hauptsächlich dazu dient, verloren gehendes Terrain gutzumachen, rückt der eigentlich schützenswerte kreative Aspekt in den Hintergrund. Die Abmahnpraxis gerät so zum reinen Inkasso-Geschäftsmodell, das mehr mit Renditeoptimierung als mit fairem Interessenausgleich zu tun hat. Für Betroffene ist dies frustrierend und einschüchternd zugleich.

Fazit: Groteske Abmahnungen und Hilfsangebote für Betroffene

Der geschilderte Fall des QR-Grabsteins führt eindrücklich vor Augen, wie grotesk die Auswüchse der aktuellen Abmahnpraxis sein können.

Ein kreativer Unternehmer – selbst Urheber eines ausgezeichneten Werks – sieht sich auf einmal als „Schuldiger“ vorgeführt, weil er ein Pressefoto seines eigenen Werkes geteilt hat. Rechtlich mag die Situation ihren Boden haben; moralisch wirkt sie abwegig. Sie zeigt, wie dringend erforderlich ein Augenmaß bei der Durchsetzung von Urheberrechten ist – insbesondere in Fällen, in denen Rechtekollisionen auftreten (Fotograf vs. Werkurheber) oder die Nutzung erkennbar nicht kommerziell, sondern informativ-war.

Für Kreative, Unternehmer und Social-Media-Akteure ist diese Entwicklung alarmierend. Wer hätte gedacht, dass selbst ein zehn Jahre alter Facebook-Post plötzlich zum Kostenrisiko werden kann? Doch die Realität 2025 sieht so aus: Bildagenturen oder ihre Anwälte könnten jetzt vor der Tür stehen und Hunderte oder Tausende Euro verlangen. 

Was tun?

Betroffene sollten Ruhe bewahren und sich fachkundig beraten lassen. Nicht jede Forderung ist in vollem Umfang berechtigt; oft lassen sich Verteidigungsstrategien finden, um die Forderung abzuwehren oder zumindest erheblich zu reduzieren. Wichtig ist, Abmahnungen ernst zu nehmen und die Fristen einzuhalten – aber keinesfalls vorschnell zu zahlen, ohne den Fall rechtlich prüfen zu lassen.

LHR steht als Ansprechpartner bereit, um genau in solchen Situationen zu helfen. Unsere Kanzlei hat Erfahrung mit ähnlich gelagerten Fällen und weiß, welche Argumente ziehen – von der Prüfung des „Beiwerk“-Einwands über die Frage der Verhältnismäßigkeit bis hin zur möglichen Geltendmachung eigener Rechte (etwa wenn die Bildagentur versäumt hat, den Urheber des abgebildeten Werks zu nennen). 

Wer von einer derart aggressiven Rechteverfolgung betroffen ist, muss sich nicht allein wehren. In einer Zeit, in der sich das Urheberrecht an immer neue Technologien und Konstellationen anpassen muss, sorgt LHR dafür, dass die Interessen von Kreativen und Unternehmern nicht unter die Räder geraten. Denn manchmal schreibt das Urheberrecht eben doch die absurdesten Geschichten – und dann braucht es jemanden, der sie zurechtrückt.

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