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BGH: Streitgegenstand im Wettbewerbsrecht umfasst Klageantrag und vorgetragenen Sachverhalt

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Der Bundesgerichtshof hat gesprochen: Die Bestimmung des wettbewerbsrechtlichen Streitgegenstands ist nicht mit der Nennung eines Vorwurfs in der Klageschrift abgeschlossen.

Auch sachlich verwandte Fragen müssen vom Gericht berücksichtigt werden, wenn diesbezüglich Sachverhalte vorgetragen werden.

Es ist nicht nötig, für jeden einzelnen Vorwurf einen eigenen Klageantrag zu stellen, so die Karlsruher Richter.

Irreführung und Vorenthalten der wesentlichen Produktinformation – zwei Seiten einer Medaille

Der Streitgegenstand umfasst immer sowohl den Klageantrag als auch den vorgetragenen Sachverhalt. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden (BGH, Urteil v. 25.6.2020, Az.: I ZR 96/19). In dem zu beurteilenden Fall hatte die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein im Streit mit der 1&1 Telecom GmbH um deren Werbung für Mobilfunkprodukte moniert, dass die Telefongesellschaft mit „LTE-Geschwindigkeit“ der Netzverbindung warb, die jedoch nicht einmal zu zehn Prozent erreicht wurde.

Dazu stütze die Verbraucherzentrale ihre Begründung im Klageantrag auf Irreführung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 UWG), um dies später dahingehend zu ergänzen, dass zudem ein Vorenthalten der wesentlichen Produktinformation – der tatsächlichen Übertragungsrate nämlich – vorliege (§ 5a Abs. 2 Satz 1 UWG). Doppelt hält besser, möchte man meinen.

Tatsächlich gab das LG Koblenz der Verbraucherzentrale Recht, das OLG Koblenz wies jedoch in der Berufung die Klage ab, weil es keine irreführende Handlung nach § 5 Abs. 1 UWG erkennen konnte. Das war der Aspekt aus der Klageschrift. Den zweiten Vorwurf meinte das OLG gar nicht erst berücksichtigen zu müssen, da dieser nicht Teil des Antrags gewesen sei.

Unterlassungsgebot kann sich auf Antrag oder Vortrag stützen

Die Haltung hat nun der I. Zivilsenat des BGH verworfen. Die Richter des Oberlandesgerichts irrten in ihrer Annahme, die Vorenthaltung der tatsächlichen Downloadgeschwindigkeit nach § 5a UWG nicht prüfen zu dürfen, weil der Klageantrag auf das Unterlassen der Werbung mit LTE-Geschwindigkeit nach § 5 Abs. 1 UWG gerichtet gewesen war.

Denn: Der Klagegegenstand bestimmt sich nicht nur durch den konkreten Antrag, sondern auch durch den Sachverhalt, aus dem die klagende Partei die begehrte Rechtsfolge herleitet. Hier habe die Verbraucherzentrale in ihrer Begründung sowohl die Werbung mit der LTE-Datenübertragung als auch die unterlassene Information über die tatsächliche Downloadgeschwindigkeit gerügt, so der BGH. Beides müsse für die Frage, ob ein Wettbewerbsverstoß seitens der 1&1 Telecom GmbH vorliegt, berücksichtigt werden. Es ist dem Gericht überlassen, zu bestimmen, auf welchen Aspekt das Unterlassungsgebot gestützt werde.

 Neue Entscheidung auf verbreiterter Grundlage

Die Sache selbst ist damit zwar noch nicht entschieden, doch die Grundlage hat sich verbreitert: Das Oberlandesgericht muss nun auch den zweiten gerügten Aspekt in die Beurteilung mit einbeziehen, also entscheiden, ob ein Wettbewerbsverstoß durch unzureichende Informationen vorgelegen hat. Gute Karten für die Verbraucherzentrale.

Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.

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