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BVerfG zur Waffengleichheit: Muss schon die Abmahnung eine Glaubhaftmachung enthalten?

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Vor nicht allzu langer Zeit hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine einstweilige Anordnung ohne Anhörung gegen die prozessuale Waffengleichheit verstößt. Jetzt hat das Verfassungsgericht diese Rechtsprechung erweitert. Danach liegt ein Verstoß gegen die Waffengleichheit auch dann vor, wenn einer Abmahnung eine später mit dem Verfügungsantrag eingereichte eidesstattliche Versicherung nicht beiliegt und auch eine Anhörung durch das Gericht unterbleibt (BVerfG, Beschluss v. 10.11.2022, Az. 1 BvR 1941/22).

In dem Verfahren ging es um eine Verfassungsbeschwerde gegen eine einstweilige Verfügung, die das Landgericht Berlin ohne vorherige Anhörung des betroffenen erließ. In der Anordnung wurde dem Beschwerdeführer eine Äußerung untersagt. Eine durch den Antragsteller bevollmächtigte Rechtsanwältin forderte den Beschwerdeführer nach der Äußerung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf.

Als der Beschwerdeführer wegen Urlaubs nicht unmittelbar reagierte, beantragte der Antragsteller bei der Pressekammer des LG Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung, um dem Beschwerdeführer die Äußerung zu untersagen. In der Antragsschrift führte der Antragsteller aus, dass die Behauptung des Beschwerdeführers jeglicher Grundlage entbehre. Er habe Frau … „nicht (weiterhin) getroffen“, „nicht nach ihrer Abberufung durch den Rundfunkrat des (…) am 15.08.2022 und auch nicht danach“. Diese Aussage versicherte er in einer beigefügten eidesstattlichen Versicherung.

Eidesstattliche Versicherung moniert

Als der Antragsteller den Beschwerdeführer dann noch einmal über den eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unterrichtete, bat der Beschwerdeführer um Übersendung der eidesstattlichen Versicherung, um sich zu dieser gegebenenfalls einlassen zu können. Nachdem der Antragsteller dem nicht nachkam, monierte der Beschwerdeführer dies per Fax gegenüber dem Anwalt der Gegenseite und stellte den Tatsachencharakter der beanstandeten Äußerung in Frage.

Die Pressekammer des Landgerichts Berlin erließ dann „wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung“ die einstweilige Verfügung wie beantragt. Eine Anhörung des Antragsgegners, so das Gericht, sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht erforderlich gewesen, weil die Abmahnung der Antragsschrift inhaltlich entspreche.

Recht auf prozessuale Waffengleichheit verletzt

Der Antragsteller rügte eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechtes auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Ihm sei seitens des Landgerichts keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Zudem seien der Inhalt der Abmahnschreiben und der Antragsschrift nicht identisch, da erstmals der Antragsschrift eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers beigefügt gewesen sei.

Das Bundesverfassungsgericht beschloss, dass der Beschluss des Landgerichts Berlin den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Artikel 3 Abs. 1 i. V. m. mit Artikel 20 Abs. 3 GG verletzt.

Verzicht auf Anhörung nur in engen Ausnahmefällen

Entbehrlich sei eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Wäre stets eine vorherige Anhörung Voraussetzung, würde ansonsten der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt. Im Presse- und Äußerungsrecht könne jedenfalls nicht als Regel davon ausgegangen werden, dass es bei der Geltendmachung von Ansprüchen erforderlich ist, den Gegner zu überraschen.

Die Gegenseite müsse die Möglichkeit haben, das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Entscheide ein Gericht ohne vorherige Anhörung, so müsse die Entscheidung erkennen lassen, dass sich das Gericht des Ausnahmecharakters seiner Verfahrenshandhabung bewusst war. Weniger einschneidende Alternativen dürfen in einem solchen Fall nicht zur Verfügung gestanden haben. Es darf also auch nicht möglich gewesen sein, dem Antragsgegner per Telefon, E-Mail oder Fax Gelegenheit zu geben, vom Vortrag des Antragstellers zur Kenntnis zu nehmen und diesen zu erwidern.

Keine Erforderlichkeitsprüfung

Daher sei „nicht nachvollziehbar“, weshalb das Berliner Landgericht von einer Übersendung der bereits drei Tage zuvor eingegangenen Antragsschrift nebst Anlagen abgesehen habe. Das, obwohl das Landgericht Kenntnis hatte von einer durch den Antragsteller ergänzend gewährten Stellungnahmefrist sowie der ausdrücklich geäußerten Bitte des Beschwerdeführers um Übersendung der eidesstattlichen Versicherung.

Das Landgericht missverstehe „die verfassungsrechtlichen Anforderungen aber auch grundsätzlich“, soweit es die Anhörung des Antragsgegners als „nicht erforderlich“ bezeichne, so die Verfassungsrichter. Denn die Anhörung sei verfassungsrechtlich keiner Erforderlichkeitsprüfung zu unterziehen. Vielmehr müsse umgekehrt die Überlegung angestellt werden, ob von einer Anhörung ausnahmsweise abgesehen werden darf.

Der neue Beschluss des BVerfG knüpft an die jüngere Rechtsprechung des Ersten Senats an und stärkt die prozessuale Stellung von Antragsgegnern im einstweiligen Rechtsschutz.

Muss jetzt schon die Abmahnung eine Glaubhaftmachung enthalten?

Ob von jetzt an bereits dem Abmahnschreiben in jedem Fall eine später zu überreichende Versicherung an Eides statt beigefügt werden muss, ist mit dieser Entscheidung unseres Erachtens nicht gesagt.

Vor dem Hintergrund, dass es sich bei einer Versicherung an Eides statt lediglich um ein Glaubhaftmachungsmittel handelt, das bereits gehaltenen Vortrag belegen soll, gehen wir davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht damit nicht den seit jeher gelten den Grundsatz in Frage stellen wollte, wonach einem Abmahnschreiben gerade noch keine Beweise oder Glaubhaftmachungsmittel beigefügt werden müssen. Wenn allerdings – wie es in der Praxis häufig vorkommt – eine einstweilige Verfügung auch (erstmalig) Sachvortrag enthält, muss der Antragsgegner dazu vor Erlass einer ein Eilverfügung natürlich gehört werden. Dies entweder – wie es das Bundesverfassungsgericht anregt – bereits mit der Abmahnung oder, falls dies unterblieben ist, später im gerichtlichen Verfahren womöglich mittels einer schriftlichen Anhörung.

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