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BVerfG: Waffengleichheit trotz Eilbedürftigkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren

Waffengleichheit einstweiliger Rechtsschutz
Bits and Splits – stock.adobe.com

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem aktuellen Beschluss bestätigt, dass auch im einseitigen, einstweiligen Verfügungsverfahren der Grundsatz der Waffengleichheit herrscht.

Im Einzelnen müssen die Parteien des Prozesses trotz etwaiger Eilbedürftigkeit in die Lage versetzt werden, das gesamte Vorbringen und alle richterlichen Hinweisen zur Kenntnis zu nehmen, um darauf zu reagieren zu können. 

Boulevardblatt berichtet von vermeintlichem Geständnis 

Ausgangspunkt der Entscheidung war die Abmahnung eines ehemaligen Fussball-Nationalspielers gegen ein Boulevardblatt. Der Sportler steht seit geraumer Zeit im Verdacht, kinderpornographisches Material verbreitet und besessen zu haben.  Die Zeitschrift hatte im Vorfeld der Abmahnung berichtet, besagter Prominenter habe bereits hinsichtlich der Vorwürfe ein Geständnis abgelegt. In einer Ausgabe des Blattes aus dem September 2020 hieß es unter anderem, es liege bereits „ein Mindestbestand an Beweistatsachen, namentlich die geständige Einlassung“ vor, „er hat gestanden“ und „hat die Kinderpornografie-Vorwürfe eingeräumt“. 

Nachdem auf die Abmahnung keine Reaktion erfolgte, stellte der zwischenzeitliche Sky-Experte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Vor dem Landgericht Berlin sollte die Zeitung so zur Unterlassung des strittigen Artikels verpflichtet werden. Tatsächlich hatte sich nämlich nur der damalige Verteidiger des Antragsstellers im Ermittlungsverfahren zu den Vorwürfen eingelassen. Besagtem Antrag beigefügt war ein juritischer Vortrag zu der Frage, inwiefern eine solche Einlassung des Verteidigers als Geständnis des Angeschuldigten selbst gesehen werden kann. 

Als Reaktion erteilte das Landgericht im Oktober den rechtlichen Hinweis, dass wohl ein hinreichendes Mindestmaß an Anhaltspunkten vorliege, um grundsätzlich über den Fall berichten zu können. Allerdings sei dem Antragssteller insofern zuzustimmen, als dass die konkrete Berichterstattung beim Leser das schiefe Bild entstehen lasse, der Sportler selbst habe die Vorwürfe eingeräumt. In der Folge wurde der Anordnungsantrag entsprechend modifiziert und neu gestellt. Diesem gab das Berliner Gericht nun schließlich statt (LG Berlin, Beschluss v. 27.10.2020, Az. 27 O 374/20). 

Dies geschah allerdings ohne vorherige Anhörung der Gegenseite. Auch enthielt der Beschluss des Berliner Landgericht keine inhaltliche Begründung der einstweiligen Verfügung. Darin sah sich die Zeitschrift in ihren Grundrechten verletzt, und erhob Verfassungsbeschwerde nebst Eilantrag auf ebenfalls Erlass einer Anordnung gegen die Untersagung der Berichterstattung vor dem Bundesverfassungsgericht.

BVerfG: Eilbedürftigkeit contra Waffengleichheit

Und das mit Erfolg: Nach Ansicht der Richter lag in dem Vorgehen der Prozesskammer des LG Berlin ein grundrechtswidriger Eingriff in das in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Recht auf prozessuale Waffengleichheit (BVerfG, Beschluss v. 22.12.2020, Az. 1 BvR 2740/20). Dieses Grundrecht sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor Gericht. Einzig aus relevanten Gründen der Eilbedürftigkeit, welche den Kern des Verfügungsverfahrens darstellt, kann diese Waffengleichheit unter Umständen eingeschränkt werden.

 Im vorliegenden Fall sei das Boulevardblatt zwar im Vorfeld der einstweiligen Verfügung abgemahnt worden, befand sich also in gewisser Kenntnis der Umstände. Jene Abmahnung umfasste allerdings etwa 20 Seiten, während besagter Vortrag des Fußballers an das Landgericht ganze 42 umfasste, welcher dem Magazin im Übrigen nicht vorlag. Daraus folgere, dass dem Blatt die Möglichkeit zur Stellungnahme hätte eingeräumt werden müssen. Dies gelte insbesondere gemäß § 139 ZPO dann, wenn das Gericht einen Hinweis erteilt. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass sich Gericht und Hinweisempfänger austauschen, und die Gegenseite in Unkenntnis bleibt. Im Einzelnen hieß es hierzu:

„Es ist verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den Antragsteller, indem auch ihm die richterlichen Hinweise zeitnah mitgeteilt werden. Dies gilt insbesondere, wenn es – wie vorliegend – bei Rechtsauskünften in Hinweisform darum geht, einen Antrag gleichsam nachzubessern oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten abzugeben. Ein einseitiges Geheimverfahren über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne die Antragsgegnerin in irgendeiner Form einzubeziehen, ist mit den Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes unvereinbar.“

Für eine entsprechende Einbindung habe auch ausreichend Zeit bestanden, da zwischen Eingang des Antrags und Entscheidung des Gerichts etwa drei Wochen lagen. Letztlich müsste daher die Eilbedürftigkeit hinter den grundrechtlichen Interessen des Boulevardblattes zurücktreten. 

Fazit

Der Beschluss zeigt auf, welch schwierige Gratwanderung bei der Einhaltung der Waffengleichheit im Eilverfahren droht. Freilich sollen die Verfahren möglichst schnell zu einer Entscheidung führen, etwaige Benachrichtigungen und Stellungnahmen der Gegenseite verlangsam aber oftmals den Prozess. Daher muss – wie im vorliegenden Falle geschehen – eine fundierte Abwägung der beiderseitigen Interessen vorgenommen werden. 

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