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BVerfG: Anspruch auf Gegendarstellung trotz fehlender Stellungnahme

Bundesverfassungsgericht Gegendarstellung allgemeines Persönlichkeitsrecht Pressefreiheit
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Unabhängig vom Wahrheitsgehalt sind Behauptungen schnell in der (Medien-)Welt. Betroffene greifen dann zum Mittel der Gegendarstellung, um ihre Sicht der Dinge mitzuteilen. Ein findiger Redakteur wollte Thomas Gottschalk diese Möglichkeit mit dem Hinweis auf die vorherige Gelegenheit zur Stellungnahme streitig machen. Dieser Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nun eine Absage erteilt (Beschluss v. 09.04.2018, Az. 1 BvR 840/15).

Gottschalk und „Der Spiegel“

Gegenstand der Entscheidung ist ein Artikel im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, in dem es um Vorwürfe der Schleichwerbung geht. Demnach soll Thomas Gottschalk in Fernsehsendungen für Produkte verschiedener Firmen versteckt Werbung gemacht haben.

Vor Veröffentlichung des Artikels hatte der verantwortliche Redakteur den Anwalt Gottschalks per E-Mail mit der geplanten Berichterstattung konfrontiert und zu einer Stellungnahme aufgefordert. Der Anwalt lehnte dies in einem Telefongespräch ab und untersagte die Erwähnung des Inhalts des Telefongesprächs in der geplanten Berichterstattung. Nach Veröffentlichung des angekündigten Artikels forderte Gottschalk den Spiegel-Verlag erfolglos zum Abdruck einer Gegendarstellung auf.

Im Ausgangsverfahren erließ das Landgericht (LG) Hamburg auf Antrag des Fernsehmoderators eine einstweilige Anordnung gegen den Spiegel-Verlag mit der Verpflichtung, eine Gegendarstellung abzudrucken (Beschluss v. 11.03.2013, Az. 324 O 116/13).

Anspruch auf Gegendarstellung

Auf den Widerspruch des Verlages bestätigte das LG Hamburg die einstweilige Verfügung (Urteil v. 08.04.2015, Az. 324 O 116/13).

Gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 des Hamburgischen Pressegesetzes (HbgPrG) bestünde ein Anspruch auf Veröffentlichung der Gegendarstellung. Nach dieser Vorschrift sind

„der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks verpflichtet […], eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist.“

Dem steht auch nicht entgegen, dass im Vorfeld der Berichterstattung die Möglichkeit einer vorherigen Erklärung nicht genutzt wurde. Es besteht nämlich keine Obliegenheit, sich bereits im Vorfeld zu Tatsachenbehauptungen zu erklären, die ein Dritter zu veröffentlichen beabsichtigt.

Das LG Hamburg war der Ansicht, dass zwischen der Abgabe einer vorherigen Stellungnahme und der Erwiderung auf eine erfolgte Tatsachenbehauptung wesentliche Unterschiede bestünden, die es schon im Ansatz nicht zulassen, aus dem Unterlassen des einen den Verlust des anderen Rechts herzuleiten.

Kein Rechtsmissbrauch einer späteren Geltendmachung

Die gegen das Urteil gerichtete Berufung des Spiegel-Verlags wies das Hanseatische Oberlandesgericht zurück (Urteil v. 03.02.2015, Az. 7 U 29/13). Es könne kein Rechtsmissbrauch einer späteren Geltendmachung angenommen werden. Der Verbreiter kann nämlich im Vorfeld damit rechnen, dass er von dem Betroffenen bei Veröffentlichung der Berichterstattung äußerungsrechtlich in Anspruch genommen wird.

Der Verlust des Rechts auf eine Gegendarstellung – im Falle eines Schweigens im Vorfeld – schränke zudem die gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Person erheblich ein, ohne dass ein tragfähiger Grund für eine solche Einschränkung vorläge.

Erfolglose Verfassungsbeschwerde

Mit der Verfassungsbeschwerde gegen die o.g. Entscheidungen rügt der Spiegel-Verlag eine Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Dem Gegendarstellungsanspruch stünde das fehlende Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen entgegen. Es sei zu beachten, dass ansonsten ein Wahlrecht zwischen einer vorherigen Stellungnahme und einer nachträglichen Gegendarstellung entstünde. Dieses Wahlrecht eröffne dem Betroffenen die Möglichkeit, das Gegendarstellungsrecht in verfassungswidriger Weise als Sanktionsinstrument gegen eine unliebsame Berichterstattung zu missbrauchen.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde des Spiegel-Verlags nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Anspruch auf Gegendarstellung

Grundsätzlich soll das Recht der Gegendarstellung den Betroffenen vor Gefahren schützen, die ihm durch die Erörterung seiner persönlichen Angelegenheiten in der Presse drohen. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt die Schutzpflicht des Gesetzgebers, den Einzelnen wirksam gegen Einwirkungen der Medien auf seine Individualsphäre zu schützen. Dazu gehört auch das Recht, einer Berichterstattung mit einer eigenen Darstellung entgegenzutreten.

Nach Ansicht des BVerfG bewegen sich die angegriffenen Entscheidungen in dem erforderlichen Wertungsrahmen von Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz.

Losgelöst von dem vorliegenden Fall obliegt dem Betroffenen nicht die Verpflichtung, eine vorherige Stellungnahme zu einer geplanten Berichterstattung abzugeben. Eine derartige Obliegenheit lässt nämlich die Möglichkeit zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Gegendarstellung weitgehend leer laufen oder erschwert diese unzumutbar.  Medienunternehmen könnten sich diesem Anspruch dadurch entziehen, dass sie die jeweils Betroffenen vorab um eine Stellungnahme bitten. Letztendlich würde eine solche Obliegenheit auch dazu führen, dass der Betroffene verpflichtet ist, an einer gegen seinen Willen geplanten Berichterstattung mitzuwirken.

Kein Schlupfloch für Medienunternehmen

Der Betroffene muss sich für seine Weigerung, vor Veröffentlichung Stellung zu nehmen, auch nicht irgendwie rechtfertigen. Es reicht aus, dass über das Kriterium der „berechtigten Interessen“ im Rahmen der Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Pressefreiheit die Fälle ausgeschlossen werden können, in denen die Einräumung von Ansprüchen auf Gegendarstellung unbillig oder rechtsmissbräuchlich erscheint.

Des Weiteren besteht eine unterschiedliche „Wertigkeit“ zwischen der vom Betroffenen selbst verfassten Gegendarstellung und der indirekten Berücksichtigung einer Stellungnahme des Betroffenen in der Berichterstattung. Sinn und Zweck einer Gegendarstellung ist es nämlich nicht, dem Betroffenen lediglich das Recht zu vermitteln, „hinreichend zu Wort zu kommen, falls dies in der Erstberichterstattung nicht in angemessener Weise geschehen sein sollte“.

Es ist auch nicht erforderlich, die Einräumung des Rechts auf Gegendarstellung von einer einzelfallbezogenen Abwägung der kollidierenden Grundrechte abhängig zu machen. Diesem Spannungsverhältnis wird durch die einfachrechtlichen Regelungen der Bundesländer und im Rundfunkstaatsvertrag ausreichend Rechnung getragen.

Fazit

Die vorliegende Entscheidung des BVerfG ist eine gute Nachricht für alle Betroffenen, die sich gegen eine – unwahre – Berichterstattung wehren möchten. Der Anspruch auf Gegendarstellung wird nicht eingeschränkt. Es ist also möglich, auch nach Ablehnung der Abgabe einer Stellungnahme im Vorfeld, den Anspruch auf Gegendarstellung geltend zu machen.

Die Betroffenen können daher zunächst den genauen Wortlaut der Berichterstattung und auch die Resonanz der Öffentlichkeit darauf abwarten. Die Medien haben es letztlich selbst in der Hand, wie die Berichterstattung erfolgt. Eine Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit kann nicht angenommen werden, nur weil der Betroffene im Vorfeld eine Stellungnahme bzw. Mitarbeit zur Berichterstattung ablehnt. Der Presse ist es weiterhin möglich, nach eigenem Belieben ihrem Informationsauftrag nachzukommen.

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