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Urteil: BGH-Dashcam-Entscheid nach DSGVO nicht anwendbar

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Dashcam Beweismittel
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Der Bundesgerichtshof sah Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel zuletzt nur in engen Grenzen für erlaubt an. Nun hat das Landgericht Mühlhausen ein Urteil gefällt, wonach die BGH-Entscheidung nach Erlass der DSGVO nicht mehr anwendbar sein soll (LG Mühlhausen, Urteil v. 12.05.2020, Az. 6 O 486/18).

Laut dem Urteil des Landgerichts Mühlhausen sind Aufzeichnungen sogenannter Dash-Cams ohne die Einwilligung der auf der Aufnahme erkennbaren Personen generell nicht gerichtlich als Beweismittel verwertbar. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Verwertbarkeit von Dash-Cam-Aufnahmen in Verkehrshaftpflichtprozessen finde nach Erlass der DSGVO keine Anwendung mehr. Wären derartige Aufnahmen verwertbar, so das LG Mühlhausen, würde dies dazu führen, dass die Bevölkerung sich gegen- und wechselseitig mit Bodycams und Kameras aufzeichnen würde, „da jeder damit rechnen muss, von einer Anzeige oder einem Strafverfahren gegen sich von anderen Personen, etwa Beleidigungen oder Vergewaltigungen, überzogen zu sehen“.

Widerspruch gegen DSGVO

Die Dashcam-Aufzeichnungen widersprächen der Datenschutzgrundverordnung und seien im konkreten Fall ohne Einwilligung des Unfallgegners erfolgt. Deshalb hält das Landgericht Mühlheim nach der Einführung der DSGVO die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu Dashcam-Aufzeichnungen für nicht anwendbar. Die BGH-Entscheidung stammt vom 15. Mai 2018 (BGH, Urteil v. 15.05.2018, Az. VI ZR 233/17, Pressemitteilung), die Europäische Datenschutz-Grundverordnung gilt seit dem 25. Mai 2018.

BGH: Interessen- und Güterabwägung entscheidet über Verwertbarkeit

Der BGH hatte entschieden, dass eine vorgelegte Videoaufzeichnung gegen § 4 BDSG a.F. verstößt, da sie ohne Einwilligung der Betroffenen erfolgte und nicht auf § 6b Abs. 1 BDSG a.F. oder § 28 Abs. 1 BDSG a.F. gestützt werden konnte. Über die Frage der Verwertbarkeit sei aufgrund einer Interessen- und Güterabwägung nach den im Einzelfall gegebenen Umständen zu entscheiden. Entscheidend seien hier einerseits das Interesse des Beweisführers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche und sein Anspruch auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege und andererseits das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beweisgegners in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gegebenenfalls als Recht am eigenen Bild.

Rechtssicherheitsargument spricht gegen Verwertbarkeit

Das Landgericht Mühlhausen entschied nun, ein Normalbürger könne nicht wissen, ob die Rechtsprechung im Falle eines Rechtsstreits eine bestimmte Kameraaufzeichnung, die er angefertigt hat, für verwertbar hält oder nicht. Deshalb sei es weder sachgerecht noch nachvollziehbar, warum einzelne Kameraaufzeichnungen dann erlaubt sein sollen und andere nicht bzw. warum einzelne Kameraaufzeichnungen verwertbar sein sollen und andere nicht.

Vom Gesetzgeber nicht vorgesehen

Wenn der Gesetzgeber Dashcam-Aufzeichnungen bei Verkehrsunfällen durch Privatpersonen zum Nachweis eines etwaigen Verschuldens des Gegners erlauben wollte, könnte er ein entsprechendes Gesetz verabschieden. Dieses könne dann erlauben, Kraftfahrzeugen, welche am Straßenverkehr teilnehmen, mit Dashcams auszustatten.

Kein Zeugenbeweis vorhanden

In dem Fall, den das Landgericht Mühlhausen zu entscheiden hatte, verlangte der Kläger von der Beklagten Schadenersatz im Zusammenhang mit einem Motorrad, welches bei der Beklagten versichert war. Das Gericht erhob Beweis durch die Anhörung von Zeugen. Es entschied, dass die Klage unbegründet sei und dem Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Schadenersatzanspruch zustehe. Beide von dem Kläger benannten Zeugen hätten den Hergang des vom Kläger vorgetragenen Verkehrsunfalles nicht beweisen können.

Haftung bei illegalem Bikertreffen nur für grobe Unsportlichkeit

Der Unfall trug sich laut Gericht zu im Rahmen eines Bikertreffens mit mehreren hundert Personen. Der Kläger war, „so wie sich die Aussagen der Zeugen darstellen, Beteiligter an einem illegalen Rennen auf öffentlichen Straßen“, heißt es in dem Urteil. Bei einer solchen übermäßigen Straßennutzung nach § 29 der Straßenverkehrsordnung hafteten die Teilnehmer allenfalls entsprechend nach den Grundsätzen für besonders gefährliche Sportarten nur bei grob unsportlichem und regelwidrigem Verhalten.

Gesamtes Verkehrsgeschehen relevant

Dem Beweisangebot des Klägers durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Berücksichtigung der Dashcam-Aufnahmen sei nicht nachzugehen gewesen, entschied das LG Mühlhausen. Um das gesamte Unfallgeschehen zu beurteilen, sei außerdem eine permanente Aufzeichnung des gesamten Verkehrsgeschehens, das heißt von dem Bikertreffen bis hin zu einem Wendeplatz und zurück erforderlich, um das gesamte Verhalten des Klägers und der anderen Personen rechtlich richtig zu würdigen. Insofern würde die Verwertung einer solchen Aufzeichnung der BGH-Entscheidung widersprechen.

Dass die Anfertigung permanenter und anlassloser Dashcam-Aufzeichnungen datenschutzrechtlich unzulässig ist, ist schon länger gerichtlich geklärt. Das LG Mühlheim hat nun jedoch eine wichtige Entscheidung getroffen, was – über die Anfertigung hinaus – die Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen betrifft.

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