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LHR erwirkt Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht wegen Verfahrensverstoß im einstweiligen Verfügungsverfahren

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© U. J. Alexander – Adobe Stock

Dass Gerichte auch in wettbewerbsrechtlichen Eilverfahren die prozessuale Waffengleichheit und das rechtliche Gehör gewährleisten müssen, ist mittlerweile in mehreren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts geklärt worden.

Trotzdem kommen Verstöße gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit immer wieder vor und haben erhebliche Konsequenzen für den jeweiligen Antragsgegner.

So auch im vorliegenden Fall, in dem das Gericht eine Schutzschrift unbeachtet ließ und auch die Anhörung nur nachlässig betrieb und mit der dennoch erlassenen einstweilige Verfügung den Betrieb des Geschäftsmodells der Antragsgegner – wie sich dann herausstellte, zu Unrecht – von heute auf morgen unmöglich machte.

Eindeutige Hinweise des Bundesverfassungsgerichts

Es existieren mittlerweile zahlreiche Entscheidungen zu dem Thema. Wir berichteten unter anderem hier:

Trotz der eindeutigen Hinweise des Bundesverfassungsgerichts, kommt es in der täglichen Gerichtspraxis immer wieder vor, dass  die Einhaltung dieser Grundsätze vernachlässigt wird. Im vorliegenden Fall gingen bei dem Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren berufenen Gericht gleich mehrere Dinge schief.

Die von uns vertretenen Antragsgegner waren abgemahnt worden, hatten jedoch keine Unterlassungserklärung abgegeben, sondern in Erwartung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vielmehr eine Schutzschrift hinterlegt. Der Gläubiger stellte daraufhin eben diesen Antrag.

Das Landgericht hörte nur nachlässig an, eine Schutzschrift blieb unbeachtet

Das Landgericht übersandte uns zwar – grundsätzlich in Befolgung der verfassungsrechtlichen Grundsätze – die Antragsschrift unter Erteilung von an beide Parteien gerichteten Hinweisen mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. Diese Verfügung erreichte uns jedoch erst nach dem Datum, dass das Gericht als Termin zur Entscheidung über den Antrag mitgeteilt hatte. Hinzukam, dass das Gericht die Schutzschrift unberücksichtigt gelassen hatte.

Dennoch erließ das Landgericht die begehrte einstweilige Verfügung, die unseres Erachtens nicht nur gar nicht hätte erlassen werden dürfen, sondern auch den  Betrieb des Geschäftsmodells der Antragsgegner zu Unrecht vollständig unmöglich machte.

Neben dem Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung und einem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung  legten wir für unsere Mandantin daher Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung der prozessualen Waffengleichheit bzw. des rechtlichen Gehörs ein.

Verfassungsbeschwerde wurde nicht angenommen

Im Ergebnis hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde zwar nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschluss v. 23.7.2021, Az. 1 BvR 1653/21). Das Vorgehen war für unsere Mandanten trotzdem ein voller Erfolg.

Zwar sei die einstweilige Verfügung fehlerhaft zustandekommen. Es handele sich dabei jedoch lediglich um Fehler im Einzelfall,  die nicht für eine grobe Nachlässigkeit sprächen, die eine Gleichgültigkeit gegenüber den prozessualen Rechten der Antragstellerin offenbare. Es fehle daher an dem erforderlichen besonderen Feststellungsinteresse.

Ein solches könne zwar ausnahmsweise entbehrlich sein, solange eine offenkundig prozessrechtswidrig erlassene einstweilige Verfügung noch fortwirkt, das darauf bezogene fachgerichtliche Widerspruchsverfahren zügig beschritten wurde und noch andauert sowie schwere, grundrechtlich erhebliche Nachteile geltend gemacht werden, die ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts noch während des laufenden fachgerichtlichen Verfahrens gebieten.  Eine solche Konstellation liege jedoch nicht vor, da die Antragstellerin trotz der Verfahrensfehler und des Ablaufs der ihr zur Stellungnahme gesetzten Frist, eine Fristverlängerung hätte beantragen können. Es sei nicht vorgetragen, dass dies im vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei.

Dennoch deutliche Hinweise

Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht – und das ist bei einem Nichtannahmebeschluss nicht selbstverständlich – dem Landgericht – mit der gebotenen Zurückhaltung und etwas verklausuliert – einige Hinweise zur weiteren Verfahrensweise ins Stammbuch geschrieben:

Es ist davon auszugehen, dass das Landgericht, wie es bei einem die prozessuale Waffengleichheit beeinträchtigenden Verfahrensfehler geboten ist, auf den durch die Beschwerdeführerin erhobenen Widerspruch und den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung unverzüglich geprüft hat, ob eine Einstellung der Zwangsvollstreckung auf Grundlage des neuen Vortrags der Antragsgegnerin geboten war, sowie jedenfalls unverzüglich und zeitnah Termin zur Verhandlung über den Widerspruch bestimmt hat, was erforderlichenfalls – sollte eine Aufhebung der einstweiligen Verfügung in Betracht kommen – zur Gewährleistung fachgerichtlicher Kontrolle auch sehr kurzfristig zu geschehen hätte. Gegenteiliges hat die Beschwerdeführerin nicht vorgetragen.

Landgericht setzt Vollziehung aus und legt Antragsrücknahme nahe

Diese Hinweise blieben nicht ohne Wirkung.

Das Landgericht erließ daraufhin unverzüglich einen Beschluss, mit dem die Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt und dem Antragsteller Gelegenheit gegeben wurde, innerhalb von fünf Tagen mitzuteilen, ob er an seinem Antrag festhalten wolle. Nach Prüfung des Vortrags der Antragstellerin sei nämlich von einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen auszugehen, unter anderem da das Vorgehen gegen die Antragsgegner in Gestalt zweier Abmahnungen künstlich aufgespalten worden war.

Rechtsanwalt Arno Lampmann von der Kanzlei LHR:

“Der Beschluss des Bundesverfassungsgericht zeigt, dass es sich fast immer lohnt, gegen Verstöße gegen die verfassungsrechtlich verankerten Verfahrensgrundsätze vorzugehen. Bedauerlich an der vorliegenden Angelegenheit ist, dass das Landgericht vom Bundesverfassungsgericht an seine Sorgfaltspflichten erinnert werden musste und erst dann die erforderlichen Maßnahmen traf.“

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