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Ist "Pranger der Schande" von BILD wegen Facebook-Hasskommentaren zulässig?

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earth Europe - isolatedDie BILD-Zeitung veröffentlichte  gestern sowohl in ihrer Print- als auch in ihrer Onlineausgabe einen „Pranger der Schande“.

Dargestellt wurden 40 Screenshots fremdenfeindlicher Hass-Kommentare von Facebooknutzern mit deren vollständigen Namen nebst Profilbildern.

Ausgerechnet die BILD

Nicht nur der BILDBlog fragt sich, weshalb sich ausgerechnet die BILD-Zeitung dazu berufen fühlt, den Hass einfach gestrickter, „besorgter“ Bürger anzuprangern, den sie für gewöhnlich selbst regelmäßig sät.

Das zweifelhafte Vorgehen führte offenbar bereits zu einigen Beschwerden beim Presserat, auf die man bei der BILD offenbar sogar „stolz“ ist.

Der lesenswerte Beitrag des BILDBlog, dem nichts hinzuzufügen ist, stellt das perfide Vorgehen des Springer-Verlags sehr anschaulich dar: „Wer Hass sät.“.

Ist der Pranger rechtswidrig?

Der geschätzte Kollege Christian Solmecke wird dort mit der Auffassung zitiert, dass die Aktion auch rechtlich bedenklich sei und BILD die Fotos und Nachnamen hätte verpixeln müssen. Aufgrund der Prangerwirkung der Veröffentlichungen überwiege das Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes meist gegenüber dem möglichen Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Grundsätzlich sei die Veröffentlichung wahrer Tatsachen von der Meinungsfreiheit gedeckt, allerdings wiege in diesem Fall der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der einzelnen Personen schwer. Unabhängig davon, welche Straftat möglicherweise durch einen Bürger begangen wurde, gelte immer noch die Unschuldsvermutung.

Bei aller berechtigten Kritik am „Internetpranger“ dürfte ein etwaiges Vorgehen der zitierten Personen unseres Erachtens keine große Aussicht auf Erfolg haben.

Berichterstattung über die Sozial-/Öffentlichkeitssphäre der Betroffenen ist grundsätzlich zulässig

Denn – soweit ersichtlich – handelt es sich bei den gezeigten Facebook-Kommentaren nicht um private, sondern öffentliche Kommentare. Ansonsten hätten die BILD-Redakteure darauf wahrscheinlich auch keinen Zugriff gehabt. Obgleich die Öffentlichkeit auf Facebook natürlich nicht mit der Öffentlichkeit im rechtlichen Sinne gleichgesetzt werden darf, dürften die Kommentare nicht der grundsätzlich geschützten Privatsphäre (erst recht nicht der Intimsphäre), sondern jedenfalls der Sozialsphäre, wenn nicht sogar – je nach Verbreitungsgrad – sogar der Öffentlichkeitssphäre zuzuordnen sein.

Die Sozialsphäre ist der Bereich, in dem sich der Mensch im Austausch mit anderen Menschen befindet. Hierzu zählt insbesondere die berufliche, politische oder ehrenamtliche Tätigkeit. Diese Sphäre ist relativ schwach geschützt, sodass Eingriffe in aller Regel zulässig sind, wenn nicht ausnahmsweise Umstände hinzutreten, die den Persönlichkeitsschutz überwiegen lassen. In der Öffentlichkeitssphäre ist der Schutz noch schwächer.

Im vorliegenden Fall könnte man natürlich argumentieren, dass die Betroffenen sich bei der Veröffentlichung des Facebookpostings wahrscheinlich nicht vorgestellt haben, damit in der BILD zu landen. Die Verbreitungsgrade dürften sich erheblich unterscheiden.

Auch wenn wir insbesondere in Bezug auf die Intensität und Extensivität mit der sich Informationen im Internet verbreiten, oft mit der aktuellen Rechtsprechung nicht einverstanden sind, zitieren Gerichte unserer Erfahrung nach zu Gunsten der Meinungsfreiheit immer wieder gerne eine ältere Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2006 (BGH, Urteil v. 21.11.2006, Az. VI ZR 259/05 – Klinikgeschäftsführer). Dort wollte ein wegen nachhaltiger Störung des Vertrauensverhältnisses mit einem Großteil der Mitarbeiter abberufener Geschäftsführer einer Klinik verhindern, dass darüber in der Presse berichtet wurde. Zu Unrecht, wie die Richter befanden. Vereinfacht gesagt mit der Begründung, dass, wer aus dem Schutzes seiner Privatsphäre heraustritt, diesen nachher auch Dritten gegenüber nicht mehr einfordern kann.

Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit dürfte insbesondere in der aktuellen Situation zudem ein hohes Gewicht zukommen, weshalb Persönlichkeitsrechte zurücktreten dürften.

BILD gibt lediglich „öffentliche“ Kommentare wieder

Äußerungen zu der Sozialsphäre desjenigen, über den berichtet wird, können zwar im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind. Dies ist vor Gericht aber so gut wie nicht darzulegen. Diese Wirkungen, wollte man sie annehmen, gingen im vorliegenden Fall außerdem bereits von den absichtlich für einen großen Personenkreis bestimmten Facebookpostings als solchen aus bzw. waren darin angelegt. Sprich: Die Kommentatoren dürften sich mit ihren Äußerungen bereits selbst stigmatisiert und ausgegrenzt haben.

Profilbilder: Facebookeintrag als zeitgeschichtliches Ereignis?

Die Wiedergabe der Profilbilder könnte allerdings tatsächlich problematisch sein. Nach dem so genannten abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 S. 1 KUG). Hiervon besteht allerdings gem. § 23 I Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nicht für die Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 II KUG).

Das zeitgeschichtliche Ereignis könnte allerdings hier in dem bebilderten Facebookeintrag selbst liegen. Dies ist deshalb nicht fernliegend, da der BGH in aktueller Rechtsprechung keine hohen Anforderungen an die Annahme eines zeitgeschichtlichen Ereignisses stellt (BGH, Urteil vom 8.4.2014, Az. VI ZR 197/13 – Mieterfest).

Neben den persönlichkeitsrechtlichen stellen sich in Bezug auf die Profilbilder auch urheberrechtliche Fragen. Grundsätzlich kann nämlich der Fotograf entscheiden, wo und wie Lichtbilder verbreitet werden dürfen. Der muss aber nicht unbedingt mit der auf dem Profilbild abgebildeten Person identisch sein.

Die von Solmecke geäußerte Auffassung, dass den „Angeprangerten“ in dem Bericht bereits Straftaten unterstellt würden und damit die Unschuldsvermutung verletzt werde, teilen wir nicht. Denn – soweit hier ersichtlich und dafür sind die BILD-Justiziare zu erfahren – werden die Kommentare gerade nicht als zweifellos rechtswidrig oder strafbar dargestellt, sondern als die „schlimmsten Beiträge“, bezüglich derer die Leser bereits Strafanzeigen erstattet hätten, weswegen der Staatsanwalt nunmehr ermittele.

Obgleich natürlich jeder Einzelfall einer gesonderten Betrachtung bedürfte, wagen wir die Prognose, dass der BILD hier – jedenfalls rechtlich –  nicht beizukommen ist. Ob man sie lesen bzw. kaufen sollte, ist natürlich eine ganz andere Frage. (la)

(Bild: © Romolo Tavani – Fotolia.com)

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