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Amazon-Verkäuferkonto gesperrt: LG Hildesheim erlässt einstweilige Verfügung gegen Amazon

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© Cem – Fotolia.com

Das Landgericht Hildesheim hat aktuell in einer einstweiligen Verfügung vom 26.6.2019 beschlossen, dass Amazon die Sperre eines Verkäuferkontos unverzüglich aufheben, gelöschte Angebote wiederherstellen sowie vorhandenes, einbehaltenes Guthaben auf dem Konto umgehend freigeben muss. 

Amazon hatte dem Händler vorgeworfen, Kundenrezensionen für seine Produkte manipuliert zu haben. Dies jedoch ohne dies näher zu begründen bzw. mitzuteilen, um welche Rezensionen es sich dabei angeblich handele und sein Konto ohne Vorwarnung deaktiviert, alle Angebote gelöscht und das Guthaben auf seinem Konto „eingefroren“. 

Zu Unrecht, wie das Landgericht Hildesheim nun entschied (LG Hildesheim, Beschluss v. 26.6.2019, Az. 3 O 179/19, nicht rechtskräftig, hier als PDF abrufbar). Amazon muss alle Maßnahmen umgehend rückgängig machen und wohl auch für den entgangenen Gewinn haften.

Amazon sperrt Verkäuferkonto und löscht alle Angebote

Die Antragstellerin war bei Amazon als Verkäuferin angemeldet und erzielte dort seit einiger Zeit gute Umsätze mit  gewöhnlichen, handelsüblichen Produkten. Ende Mai 2019 erhielt die Antragstellerin plötzlich eine E-Mail, in der mitgeteilt wurde, dass ihr Amazon.de-Verkäuferkonto deaktiviert und alle Angebote von der Website entfernt worden seien. Das Guthaben (über 25.000 €) auf ihrem Konto könne 90 Tage oder länger einbehalten werden.

Die Begründung für die Sperrung war nicht nachvollziehbar

Als Begründung gab Amazon an, dass die Antragstellerin Kundenrezensionen für ihre Produkte “manipuliert” habe. Um welche Rezensionen es sich dabei handeln sollte, teilte man nicht mit. Die Antragstellerin konnte damit nicht mehr uneingeschränkt auf Ihr Konto zugreifen, sie konnte keine Angebote einstellen und auf das ihr zustehende Guthaben nicht zugreifen. Jeden Tag entgingen ihr tausende von Euro Umsatz, ohne die Möglichkeit, sich gegenüber Amazon zu rechtfertigen.

LG Hildesheim verfügt sofortige Entsperrung

Die Vorwürfe trafen nicht zu. Nachdem eine außergerichtliche Aufforderung, die Antragstellerin umgehend wieder freizuschalten, die gelöschten Angebote wieder herzustellen und auch das Guthaben freizugeben, ohne Erfolg geblieben war, erließ das Landgericht Hildesheim am 26.6.2019 die besagte einstweilige Verfügung.

Danach hat Amazon es bei Meidung eines Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungsgeld von bis zu 2 Jahren, oder der Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten zu unterlassen, das Amazon.de-Verkäuferkonto der Antragstellerin zu deaktivieren und/oder diesbezügliche Angebote von der Amazon.de-Webseite zu entfernen und/oder Guthaben auf ihrem Konto einzubehalten.

Der Streitwert wurde vom Landgericht mit Hinblick auf die nicht unerheblichen bis zur Sperrung auf der Amazon Plattform erzielten Umsätze mit 100.000 € festgesetzt. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig und kann von Amazon mit dem Widerspruch angegriffen werden. Daneben steht Amazon auch die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens offen.

Sperrung ist ein Eingriff in eine besitzähnliche Rechtsposition

Das Landgericht folgte der Argumentation der Antragstellerin, wonach die Sperrungsmaßnahmen von Amazon einen existentiellen Eingriff in eine besitzähnliche Rechtsposition der Antragstellerin darstellt, dem sowohl eine vertraglich als auch eine gesetzliche Grundlage fehlt. Es handelt sich daher um einen Eingriff in eine besitzähnliche Rechtsposition, der umgehend zu unterlassen ist bzw. die umgehende Wiederherstellung des status quo erforderte.

Ein Verfügungsgrund ergibt sich aus dem aus §§ 858 ff. BGB folgenden Rechtsgedanken. Die Besitzschutzvorschriften dienen dem Zweck, gerade auch dem Berechtigten die Durchsetzung von Rechtspositionen auf eigene Faust ohne die Inanspruchnahme des von der Rechtsordnung vorgeschriebenen Verfahrens zu verwehren. Es ist deshalb anerkannt, dass einstweilige Verfügungen, mit denen verbotener Eigenmacht begegnet werden soll, in aller Regel die Wiedereinräumung des Besitzes anzuordnen haben und damit letztlich den Hauptsacheanspruch erledigen. 

Die Situation ist mit dem Fall vergleichbar, in dem der Vermieter eines Ladenlokals dem rechtmäßigen Mieter den Zugang zu den Räumlichkeiten ohne Grund verweigert.

Die AGB-Klausel, wonach Amazon grundlos sperren kann, ist unwirksam

Ziffer 3 des “AMAZON SERVICES EUROPE BUSINESS SOLUTIONS VERTRAGS”, der das Vertragsverhältnis zwischen Amazon und den Verkäufern regelt und worin Amazon sich vorbehält, den Vertrag jederzeit mit sofortiger Wirkung und ohne Grund kündigen oder aussetzen zu können, ist unwirksam, da sie einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1, 2 BGB nicht standhält, weil sie Verkäufer unangemessen benachteiligt.

Kartellrechtliche Beurteilung durch ein Gericht steht noch aus

Natürlich steht es Amazon vor dem Hintergrund der Vertragsfreiheit frei, den Vertrag mit einem Verkäufer ordentlich zu kündigen. In diesem Fall müsste Amazon jedoch bestimmte Fristen einhalten und könnte den betroffenen Händler nicht einfach „rauswerfen“ und erst Recht kein Guthaben einbehalten. Außerdem müsste Amazon die Kündigungsentscheidung wohl vor dem Hintergrund seiner marktbeherrschende Stellung und des kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots vernünftig begründen. Gerichtsentscheidungen zu dem Thema stehen – soweit ersichtlich – allerdings noch aus, werden aber sicherlich nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Amazon haftet für Umsatzausfälle

Als nächstes steht für den Händler an, sich bei Amazon für den entgangenen Umsatz im Zeitraum der unberechtigten Sperrung schadlos zu halten. Anrechnen lassen muss sich der Verkäufer natürlich ersparte Kosten. Für die Zeit, in der er über das gesperrte Guthaben nicht verfügen konnte, stehen ihm zudem Zinszahlungen zu.

Rechtsanwalt Arno Lampmann von der Kanzlei LHR:

“Es ist erfreulich, dass das Landgericht Hildesheim den willkürlichen, jedenfalls intransparenten Sperrungen von Amazon einen Riegel vorschiebt. Während die Motivation von Amazon verständlich ist, unzuverlässige Händler oder Verkäufer von der Plattform möglichst fernzuhalten, die Produktbeschreibungen oder Rezensionen manipulieren, muss es auf der anderen Seite selbstverständlich sein, dass solche schwerwiegenden Vorwürfe nicht ins Blaue hinein erhoben und Händler nicht ohne nachvollziehbaren Grund gesperrt werden werden dürfen. Amazon wird nun für den entgangenen Gewinn haften müssen.“

Offenlegung: Unsere Kanzlei hat die Antragstellerin vertreten.

UPDATE 6.7.2019

So kümmert man sich übrigens bei Amazon.de um die umgehende Befolgung der gerichtlichen Eilverfügung:

Lieber Arno Lampmann,

Grüße vom Amazon Seller Support.

Bitte beachten Sie zunächst, dass ich Ihre Frustration in Bezug auf das Problem, mit dem Sie konfrontiert waren, voll und ganz verstehe. Leider konnte ich kein Seller Central-Konto mit der E-Mail-Adresse finden, mit der Sie uns kontaktiert haben: [email protected].

Um Ihr Verkäuferkonto zu schützen, können wir nur E-Mail-Adressen mit spezifischen Informationen versorgen, die mit diesem Konto verknüpft sind.

Wenn Sie Ihr Konto mit einer anderen E-Mail-Adresse erstellt haben, können Sie versuchen, sich über den folgenden Link erneut mit dieser E-Mail-Adresse anzumelden: http://sellercentral-europe.amazon.com/

Wenn Sie Ihr Passwort vergessen haben, klicken Sie auf den Link „Passwort vergessen?“. Folgen Sie dann den Anweisungen, um ein neues Passwort zu erstellen. Dieses Passwort wird sofort funktionieren.

Wenn Sie weitere Bedenken haben, zögern Sie nicht, uns über den folgenden Link zu kontaktieren, damit wir Ihnen bei all Ihren Fragen behilflich sein können:
* https: //sellercentral-europe.amazon.com/cu/contact-us? ref_ = ag_contactus_shel_xx

Vielen Dank, dass Sie sich an den Verkäufer-Support gewandt haben. Ich hoffe, Sie haben einen großartigen Tag!

Ihre Meinung zu unserem Kundenservice ist uns wichtig!
Waren Sie mit der Bearbeitung Ihrer Anfrage zufrieden?

Sagen wir mal, es gibt noch „room for improvement“….

UPDATE 2.8.2019

Amazon hat – wie uns das Landgericht Hildesheim auf Nachfrage mitteilte – die Zustellung und damit die Vollziehung der einstweiligen Verfügung, die für die Inkraftsetzung der Entscheidung notwendig ist, vereitelt.

Details dazu lesen Sie hier:

UPDATE 13.8.2019

Amazon hat, nicht unerwartet, einen – mit Anlagen fast 250 Seiten starken – Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt.

Interessant ist, dass der dort enthaltene Vortrag offenbar ins Blaue erfolgt ist, ohne die Antragsschrift zu kennen (Amazon behauptet in der Widerspruchsschrift, dass diese nicht vorliege) und sich zu einem großen Teil aus der Verteidigung mit formellen Argumenten (Zuständigkeit, anwendbares Recht, etc.) befasst. Auch die vermeintlich fehlgeschlagene Zustellung wird erwähnt.

Die Ausführungen zum konkreten Kündigungsgrund beschränken sich demgegenüber auf einige Zeilen, in denen noch nicht einmal bestritten wird, dass der bisher für die Sperrung der Antragstellerin angegebene Grund, nämlich die „Manipulation von Produktrezensionen“ tatsächlich nie vorlag.

Amazon gibt damit im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens zu, dass – in Händlerkreisen immer schon ein offenes Geheimnis – man Unternehmen offenbar in eine Art „Sippenhaft“ nimmt, sobald intern irgendwelche personellen Verbindungen zu einem unliebsamen anderen Unternehmen bekannt werden. Aber nicht nur das. Wie der vorliegenden Fall zeigt, teilt Amazon dies den betreffenden Händlern nicht mit, sondern sperrt diese unter einem Vorwand.

Details dazu lesen Sie hier:

(Offenlegung: Unsere Kanzlei vertritt die Antragstellerin.)

UPDATE 27.8.2019

UPDATE 4.9.2019

UPDATE 9.9.2019

UPDATE 21.1.2022

(Offenlegung: Unsere Kanzlei vertritt die Antragstellerin.)

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