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Wo der Kläger, da der Richter?

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Fliegender Gerichtsstand
Photo by Tim Mossholder on Unsplash

Wer ist eigentlich zuständig?

Die Frage, an welches Gericht man sich wenden muss, ist im Rechts(weg)staat eine ganz entscheidende. Denn nur dann, wenn man sich an das „richtige“ Gericht wendet, kann man zu seinem Recht kommen.

Ein Gericht, das nicht zuständig ist, braucht sich hingegen mit der Sache auch nicht weiter zu beschäftigen.

Kein „fliegender Gerichtsstand“ bei Wettbewerbsverstößen nach dem Medizinproduktegesetz

So geschehen in Karlsruhe, beim dortigen Landgericht. Dieses erklärte sich in einem Fall für nicht zuständig, bei dem es um wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche nach dem Medizinproduktegesetz ging. Begründung: Beim Vertrieb von Waren gilt – anders als bei Pressedelikten – nicht der sogenannte „fliegende Gerichtsstand“, sondern zuständig ist vielmehr das Gericht, in dem die unterlassene Handlung hätte vorgenommen werden müssen (LG Karlsruhe, Beschluss vom 9.3.2020, Az.: 14 O 72/19 KfH). Da die beanstandete Handlung, nämlich das Unterlassen bestimmter Pflichtangaben nach dem Medizinproduktegesetz durch das beklagte Unternehmen (bzw. das, welches beklagt werden sollte), zudem nicht im Karlsruher Gerichtsbezirk erfolgt sei, falle auch eine etwaige örtliche Zuständigkeit des LG Karlsruhe aus.

Der „fliegende Gerichtsstand“

Was aber hat es mit dem „fliegenden Gerichtsstand“ auf sich? Ein Gericht, das fliegt, ist nicht gemeint – alles bleibt schön auf dem Boden. Gemeint ist vielmehr, dass sich der Kläger in Zivilprozessen den Gerichtsort aussuchen kann, wenn eine unerlaubte Handlung überall erstmals passieren kann. Dann nämlich gilt § 32 ZPO („Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung“):

„Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist“.

Das ist bei den erwähnten Pressedelikten der Fall, deren Kenntnisnahme regelmäßig nicht am Verlagsort stattfindet, sondern dort, wo eben die Leserin oder der Lesern die Zeitschrift oder Zeitung aufschlug und den Makel entdeckte. Dann hat sei oder er die Möglichkeit, sich an ein wohnortnahes Gericht zu wenden.

Taktische Wahl des Gerichtsorts

Allerdings ist nicht nur die räumliche Nähe ein Motiv für die Wahl des Gerichts: Da Betroffene darin praktisch frei sind, können sie in Fall des Falles auch danach auswählen, wie mögliche Kandidaten unter den deutschen Gerichten in der Vergangenheit vergleichbare Fälle entschieden haben. Hier zeigt sich in der Praxis eine gewissen Präferenz der Kläger für die Pressekammern in Hamburg oder Berlin, die als „betroffenenfreundlich“ gelten. So kann sich auch eine Kölnerin, die ein Medienunternehmen aus Köln verklagen will, an die Gerichte in Hamburg oder in Berlin wenden.

Und was ist mit dem Internet?

Umstritten ist die Übertragung dieser aus dem 19. Jahrhundert stammenden Regelung auf das Medienzeitalter heute, sprich: auf Veröffentlichungen im Internet, deren Bedeutung immer mehr wächst. Hier sind die Gerichte der Republik noch uneins: Während das OLG Bremen die Anwendung von § 32 ZPO auf unerlaubte Handlungen im Internet ablehnte (Urteil vom 17.02.2000, Az.: 2 U 139/99), ziehen die Landgerichte in Hamburg, Berlin, Nürnberg und Köln regelmäßig Verfahren unter Hinweis auf § 32 ZPO an sich.

Das Bundesjustizministerium hat angekündigt, mit einer Gesetzesänderung einheitliche Verfahrensregeln herstellen zu wollen. Das ist auch dringend angezeigt, denn dass Gerichte den historischen § 32 ZPO heute in diesem zentralen und immer bedeutsameren medienrechtlichen Feld nach Gusto auslegen, ist nicht hinnehmbar.

Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.

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