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Der „Spiegel“ klagt erfolgreich gegen Richtigstellung bei Verdachtsberichterstattung

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Spiegel Verdachtsberichterstattung Verfassungsbeschwerde
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Einer aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach wird das Nachrichtenmagazin “ Spiegel“ nicht dazu verpflichtet, eine vorformulierte Richtigstellung zu einer vorher erschienenen, rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung zu veröffentlichen. Ein Nachtrag müsse zwar grundsätzlich auch in solchen Fällen erbracht werden, allerdings könne dieser auch in knapper Form erfolgen und müsse nicht den Vorformulierungen der Gegenseite entsprechen. 

Der „Spiegel“ verdächtigt Justiziar hinsichtlich Abhörmaßnahmen

Bereits 2008 veröffentlichte der „Spiegel“ einen Artikel, der sich kritisch mit den Zuständen bei der HSH Nordbank auseinandersetzte. In diesem Zusammenhang verdächtigte die Redaktion den Chefjustiziar der Bank, an Abhörvorgängen eines Vorstandsmitgliedes beteiligt gewesen zu sein. Dieses wurde letztendlich wegen der vermeintlichen Weitergabe vertraulicher Informationen an Journalisten entlassen.

Zum Thema Verdachtsberichterstattung lässt sich hier ein Ratgeber unserer Kanzlei finden:

Das Verfahren gegen den Justiziar wurde jedoch aufgrund mangelnder Beweise eingestellt. Dieser zog 2012 in Hamburg vor Gericht, um gegen die Verdächtigungen des Magazins vorzugehen. Das Oberlandesgericht verurteilte daraufhin die Spiegel-Redakteure richtigzustellen, dass der Beschwerdeführer an den Abhöraktionen nicht beteiligt gewesen sei (OLG Hamburg, Urteil v. 28.1.2014, Az. 7 U 44/12).

Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil jedoch auf. Nach Ansicht der Richter in Karlsruhe stehe dem Justiziar kein Anspruch auf eine Richtigstellung zu. Er könne lediglich im Rahmen eines Nachtrages von der Redaktion die nachträgliche Mitteilung verlangen, dass der ursprünglich geäußerte Verdacht nicht aufrecht erhalten werde (BGH, Urteil v. 18.11.2014, Az. VI ZR 76/14). Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass die Verdachtsberichterstattung zur Zeit der Veröffentlichung des Artikels rechtmäßig war. Der „Spiegel“ habe mögliche Verfehlungen von Führungskräften im Bankensektor aufdecken wollen, was zur Zeit der Finanzkrise ein hohes öffentliches Interesse bedient habe. Darüber hinaus habe der Artikel – zumindest zum Zeitpunkt der Veröffentlichung – auf hinreichenden Beweistatsachen beruht, die für eine Beteiligung des Justiziars an den Abhörvorgängen sprachen.

Zu der Entscheidung des BGH berichteten wir bereits:

Der Bundesgerichtshof verwies die Klage an das Oberlandesgericht in Hamburg zurück. Dieses verurteilte die Spiegel-Redaktion zur Veröffentlichung einer vom HSH-Justiziar vorformulierten Erklärung (OLG Hamburg, Urteil v. 10.2.105, Az. 7 U 44/12). Verpflichtend sollte diese mit dem Satz „Diesen Verdacht halten wir aus heutiger Sicht nicht aufrecht“ enden, sowie mit der Überschrift „Nachtrag“ anstelle von „Richtigstellung“ betitelt werden. Gegen dieses Urteil erhob das Magazin vor dem Bundesgerichtshof Nichtzulassungsbeschwerde so wie eine Anhörungsrüge der der Redaktion. Der Senat wies diese jedoch zurück, woraufhin der „Spiegel“ Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einlegte.

Der „Spiegel“ sieht sich in seinem Grundrecht auf Pressefreiheit verletzt

Der „Spiegel“ sah sich durch die Urteile der Hamburger Gerichte und des BGH in seinen Grundrechten auf Presse- und Meinungsfreiheit verletzt. Die Verdachtsberichterstattung sei legitim gewesen, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Nachtrages sei demnach rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht stimmte dieser Auffassung weitestgehend zu (BVerfG, Beschluss v. 2.5.2018, Az. 1 BvR 666/17).

Grundsätzlich trage die Verdachtsberichterstattung stets das Risiko mit sich, sich am Ende als falsch zu erweisen, so die Richter am Bundesverfassungsgericht. Um diesen Umstand Rechnung zu tragen, müsse dem Betroffenen ein Recht zur nachträglichen Mitteilung über den vorteilhaften Ausgang des Verfahrens zugestanden werden. Auf diese Weise werde ein Ausgleich zwischen der Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsrecht sichergestellt.

Eine klare Unterscheidung müsse dabei zwischen einer Richtigstellung und einem Nachtrag gemacht werden. Im ersten Fall handele es sich um die korrekte Darstellung von auch zur Zeit der Veröffentlichung falschen, unbegründeten und damit nicht von der Pressefreiheit gedeckten Verdächtigungen. Ein Nachtrag stelle lediglich heraus, dass sich die (zunächst rechtmäßig) aufgestellten Verdächtigungen im Nachhinein als unbestätigt erwiesen haben. Zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung lagen in diesem Fall jedoch hinreichende Beweise vor, die diese presserechtlich legitimierten.

Presseorgane dürften ferner keiner generellen Pflicht unterworfen werden, bei rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung den weiteren Verlauf und Ausgang des Verfahrens zu recherchieren und darüber zu berichten. Die Presseorgane dürften die Berichterstattung dann als abgeschlossen betrachten.

Der Schutzzweck der Pressefreiheit gebiete, dass ein Anspruch auf eine nachträgliche Mitteilung bei legitimer Verdachtsberichterstattung nur in Einzelfällen zugelassen werde. Ein solcher liege aber vor, wenn das Verfahren aufgrund mangelnder Beweise eingestellt oder der Betroffenen freigesprochen wurde.

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts verlangte der Justiziar vom „Spiegel“ aber eine solche „neue“ Recherche und Mitteilung hinsichtlich einer legitimen Berichterstattung. Dies könne aber in solch einem Umfang nicht verlangt werden. Vielmehr reiche hier eine kurze Darstellung über den Verlauf und die Einstellung des Verfahrens aus. Auch die geforderte Überschrift „Nachtrag“ sie hier nicht erforderlich. Auf diese Weise werde ein interessengerechter Ausgleich zwischen der Pressefreiheit des Magazins und dem Persönlichkeitsrecht des HSH-Mannes geschaffen.

Fazit

Entscheidend für das Urteil des Bundesverfassungsgericht war hier die Rechtmäßigkeit der Verdachtsberichterstattung. Auch wenn sich diese später als unwahr erwiesen, lagen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ausreichende Anhaltspunkte für diese vor. Dies rechtfertigt einen Anspruch des Betroffenen auf „lediglich“ einen kurz gefassten Nachtrag. Auf diese Weise wird dessen Persönlichkeitsrecht ausreichend Rechnung getragen. Auf der anderen Seite wird die Pressefreiheit gewahrt. Verpflichtete man Magazine wie den „Spiegel“ zu einer umfassenden Richtigstellung, würde dies deren Glaubwürdigkeit trotz ursprünglich legitimer Berichterstattung unverhältnismäßig stark beeinträchtigen.

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