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Kein Unterlassungsanspruch gegen AfD-Tweet: Vorwurf der Unterstützung der Antifaschistischen Initiative erlaubt

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© Gundolf Renze – Fotolia.com

Der stellvertretende Sprecher des AfD-Kreisverbandes Heidelberg hatte der Rhein-Neckar-Zeitung GmbH (RNZ) auf Twitter vorgeworfen, mit ihrer Berichterstattung über die Heidelberger Antifaschisten den Linksextremismus zu unterstützen.

Das OLG Karlsruhe hat mit Urteil vom 24.10.2018 entschieden, dass die RNZ keinen Anspruch auf Unterlassung eines als Meinungsäußerung einzustufenden Tweets hat. Es handele sich weder um eine unwahre Tatsachenbehauptung noch um eine diffamierende Schmähkritik.  

Die Presse verfügt über erhebliche Möglichkeiten der Meinungsbildung und muss als „Wachhund der Öffentlichkeit“ im Rahmen eines Meinungskampfes in verstärktem Maße eine kritische, sogar polemische Berichterstattung dulden. 

Umstrittene Äußerung über Twitter

Die RNZ beantragte, den AfD-Kreisverband Heidelberg zur Unterlassung der Aussage zu verurteilen, „die RNZ unterstütze die Antifaschistische Initiative Heidelberg“. Diese Aussage verbreitete der Schatzmeister des AfD-Kreisverbandes Heidelberg in einem Beitrag auf seinem Twitter-Account zusammen mit weiteren Behauptungen und einer Videosequenz, in der die Aussage wiederholt wurde. Die RNZ sah darin eine unwahre Tatsachenbehauptung und eine schmähende Herabsetzung ihres unternehmerischen Persönlichkeitsrechts als unabhängige und “objektive” Tageszeitung.

Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung?

Sowohl das Landgericht Heidelberg als auch das OLG Karlsruhe erkannten in den Äußerungen zulässige, von der Meinungsfreiheit gedeckte Werturteile. Die genaue Bedeutung der von der Beklagten behaupteten „Unterstützung“ lasse sich nicht feststellen. Die Aussage lässt sich insbesondere mit Blick auf die Veröffentlichung im Zusammenhang mit anderen wertenden Aussagen insgesamt als eine Meinungsäußerung einordnen. Auf die Wahrheit der Äußerung kam es deshalb nicht an (LG Heidelberg, Urteil v. 9.5.2018, Az. 1 O 42/18; OLG Karlsruhe, Urteil v. 24.10.2018, Az. 6 U 65/18).

Zulässige Meinungsäßerung oder Schmähkritik?

Anerkannt ist es nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass eine Schmähkritik nicht schon in einer überzogenen, ungerechtfertigten oder gar ausfälligen Kritik liegt. Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, hat eine solche Äußerung als Schmähung regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten. Die Rechtsprechung setzt damit die Grenzen der Schmähkritik sehr hoch an. 

Bei der Abwägung des unternehmerischen Persönlichkeitsrechts der RNZ gegen die Redefreiheit der Beklagten überwiege das Interesse der Beklagten: die Grenze zur sogenannten Schmähkritik sei nicht überschritten, da der Unterstützungsvorwurf nicht vorrangig auf eine Diffamierung der RNZ gerichtet sei. 

Presse als „Wachhund der Öffentlichkeit“

Das Urteil macht besonders deutlich, dass Medien, die über erhebliche Möglichkeiten der Meinungsbildung verfügen, in verstärktem Maße eine kritische, sogar polemische Berichterstattung dulden müssen. Im Rahmen einer öffentlichen politischen Auseinandersetzung müssen gerade Vertreter politischer Parteien von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung möglichst ungehindert Gebrauch machen können. Ob die dabei ausgeübte Kritik berechtigt ist, sei unerheblich.

BVerfG: Tatsachen sind überbewertet

Das Bundesverfassungsgericht hat früher schon darauf hingewiesen, dass es der Funktion der Meinungsfreiheit widersprechen würde, wenn öffentliche auch scharfe Kritik in der Presse davon abhängig gemacht würde, dass sie jeweils durch Tatsachen belegt und überprüfbar gemacht werden müsste (BVerfG, Urteil v. 11.5.1976, Az. 1 BvR 163/72):

“Denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit will nicht nur der Ermittlung der Wahrheit dienen; es will auch gewährleisten, dass jeder frei sagen kann, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann.”

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