Mehrfach ausgezeichnet.

Focus Markenrecht
en

LG Hamburg: Online-Verträge können auch per Brief gekündigt werden

Kündigung Online-Verträge
VRD – stock.adobe.com

Ein Online-Energievertrag, bei dem die Kommunikation ausschließlich elektronisch erfolgt, darf auch per Brief gekündigt oder widerrufen werden.

Dies hat das Landgericht Hamburg (LG Hamburg, Urteil v. 29.4.2021, Az. 312 O 94/20) in einem Fall entschieden, der den Energieanbieter Lichtblick betrifft.

In dem Fall hatte der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (Verbraucherzentrale Bundesverband) gegen Lichtblick geklagt, ein Energieversorgungsunternehmen mit Sitz in Hamburg, das private Haushalte mit Strom und Gas versorgt. Lichtblick wurde vom Gericht verurteilt, zu unterlassen, in Bezug auf Gas-Energielieferverträge zwei Klauseln in seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen einzubeziehen.

Der ersten Klausel nach sind die Lieferverträge „reine Online-Verträge“, bei denen die Kommunikation „ausschließlich über elektronische Kommunikationswege“ erfolgt.

Der zweiten zufolge sollte Lichtblick, solange der Kunde sich noch nicht für das Kundenportal registriert hat, berechtigt sein, „die Kommunikation per Briefpost vorzunehmen“ und die Kosten hierfür „dem Kunden verursachungsgerecht in Rechnung“ zu stellen. Der Öko-Anbieter Lichtblick wurde vom Gericht verurteilt, dem Kläger 214 Euro nebst Zinsen zu erstatten.

Vertriebsmitarbeiter auf Wochenmarkt

Der Vertragsschluss bei Lichtblick erfolgte, in dem der Kunde seine Daten telefonisch unter zwingender Angabe seiner E-Mail-Adresse durchgab und dann per E-Mail ein Double-opt-in-Verfahren durchlief. Zudem nutzte Lichtblick einen Direktvertrieb, in dessen Rahmen Vertriebsmitarbeiter auf Wochenmärkten über ein Tablet die Daten aufnahmen, woraufhin der Kunde per E-Mail die Vertragsunterlagen erhielt.

Unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners

Das Landgericht Hamburg entschied, dass die erste AGB-Klausel von Lichtblick „wegen unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners des AGB-Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unzulässig“ ist. Die Klausel sei weder klar noch verständlich im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Klausel schließe jegliche andere Kommunikation wie zum Beispiel eine Kündigung in Textform per Einschreiben mit Rückschein nach deren Wortlaut aus. Für den Kunden werde nicht deutlich, dass er zum Beispiel einen Widerruf oder eine Kündigung des Vertrages in Textform einfach schriftlich per Brief aussprechen könne – und nicht nur in elektronischer Form.

Klausel lässt Kunden im Unklaren

Zwar lasse § 309 Nr. 13 BGB eine strengere Form als die Textform zu bei Verträgen für Anzeigen und Erklärungen, die dem AGB-Verwender gegenüber abzugeben sind. Die Lichtblick-Klausel lasse den durchschnittlichen Vertragspartner jedoch „vollständig darüber im Unklaren, wie und in welcher Form er eine wirksame Kündigungserklärung abgeben kann“. Daran ändere auch nichts, dass Lichtblick einen Widerruf oder eine Kündigung in schriftlicher Form tatsächlich akzeptieren möge und darauf an anderer Stelle auf der Homepage hinweise.

Im Urteil erwähnt das LG Hamburg eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom Juli 2016 (Az. III ZR 387/15). Dort hielt der BGH es für unangemessen benachteiligend im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB, wenn bei reinen Onlineverträgen die strengere Schriftform gegenüber der Textform vorgeschrieben worden war.
Es sei schließlich nicht davon auszugehen, dass ein durchschnittlicher Verbraucher wisse, dass er für Erklärungen neben der elektronischen Form auch die – strengere – Form der Schriftform oder der Schriftform per Einschreiben etc. wählen kann, so die Entscheidung des LG Hamburg.

Intransparente Klausel

Hinsichtlich der zweiten Klausel in den Lichtblick-AGB entschied das LG Hamburg, dass diese wegen Intransparenz gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist. Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB muss der Verwender von AGB Rechte und Pflichten des Vertragspartners „klar und verständlich“ darstellen. Die Klausel muss nicht nur für sich genommen klar formuliert sein, sondern „auch im Kontext mit dem übrigen Klauselwerk verständlich sein“, urteilte das Landgericht.

Unangemessen hohe Kosten bei „kundenfeindlichster Auslegung“

Die Klausel müsse die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen für einen durchschnittlichen Vertragspartner soweit erkennen lassen, wie dies unter Berücksichtigung von Treu und Glauben nach den Umständen gefordert werden könne. Der Vertragspartner des AGB-Verwenders müsse bereits beim Vertragsschluss erkennen können, was gegebenenfalls „auf ihn zukommt“, entschied das Landgericht. Die Lichtblick-Klausel werde beidem nicht gerecht.

Der Begriff „verursachungsgerecht“ sei im gegebenen Zusammenhang nicht klar und verständlich, sondern unklar. Die Kosten, die für die Briefpost in Rechnung gestellt werden, würden in keiner Weise präzisiert, so dass diese bei „kundenfeindlichster Auslegung“ unangemessen hoch steigen könnten. Es sei schon nicht erkennbar, ob neben Portokosten weitere Kosten wie zum Beispiel Material oder Bearbeitungsgebühren in Rechnung gestellt werden sollen. Dies verstoße gegen das Bestimmtheits- und Verständlichkeitsgebot, weshalb die Klausel ebenfalls unwirksam sei.

Preisnebenabreden für Briefportokosten

Die Frage, ob Preisnebenabreden für Briefportokosten im konkreten Fall wie bei einem reinen Vertragsschluss über das Internet auf den Vertragspartner abgewälzt werden dürfen, müsse nicht entschieden werden, heißt es knapp in der Urteilsbegründung.

Lichtblick nutzt Klauseln offenbar weiter

Da reine Online-Verträge im Energielieferbereich immer mehr Verbreitung finden, sorgt das Urteil für Rechtssicherheit bei Verbraucherinnen und Verbrauchern. In den Privatkunden-Gas-AGB auf der Lichtblick-Homepage stößt man mehr als drei Monate nach dem Richterspruch allerdings immer noch die unzulässigen Klauseln. Das Gericht hatte Lichtblick verurteilt, es zu unterlassen, die Klauseln zu nutzen – „bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft“.

Praxishandbuch Anspruchsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht

2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage

Chronologisch aufgebaut, differenzierte Gliederung, zahlreiche Querverweise und, ganz neu: Umfangreiche Praxishinweise zu jeder Prozesssituation.

Mehr erfahren

Praxishandbuch Anspruchsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht