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Reinheitsgebot adé? – LG München I: „Ginger Beer“ für Softdrink ist zulässig – Was Brauer und Händler jetzt beachten müssen

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Bier ist wohl eine der wichtigsten deutschen Errungenschaften. Im Jahr 736 wurde im bayerischen Geisenfeld erstmalig von einem besonderen Gerstensaft berichtet.

Bier ist drittliebstes Getränk der Deutschen

Bier ist zwar – anders als man denken könnte – nicht das beliebteste Getränk der Deutschen. Kaffee und Mineralwasser liegen noch davor auf den Plätzen eins und zwei. Im Jahr 2016 lag der Pro-Kopf-Verbrauch von Bier in Deutschland jedoch immerhin bei durchschnittlich rund 104,1 Litern. Im europäischen Vergleich wird nur in Tschechien mit ca. 140 Litern pro Kopf mehr Bier getrunken, während man zB in den USA nur ca. 80 Liter und in Indien, im statistischen Schlusslicht, nur zwei Liter Bier pro Jahr konsumiert.

Dem drittplatzierten Getränk Bier kommt auch hohe wirtschaftliche Bedeutung zu. Auch wenn der Bierumsatz in den letzten Jahren leicht zurückgegangen ist, wurden im ersten Halbjahr 2017 immerhin noch 46,8 Millionen Hektoliter Bier verkauft.  Es ist daher nicht verwunderlich, dass  die Bezeichnung Bier in Deutschland – jedenfalls bisher – einen besonderen Schutz genießt.

Das Reinheitsgebot schützt die Bezeichnung „Bier“ seit über 500 Jahren

Der bekannteste Schutz besteht aus der im allgemeinen als „Reinheitsgebot“ bezeichneten Regel, dass Bier nur bestimmte Inhaltsstoffe haben darf. Das Reinheitsgebot, wonach Bier aus Hopfen, Malz, Hefe und Wasser hergestellt werden muss, geht auf verschiedene historische Rechtsordnungen zurück. Zumeist wird sich dabei jedoch auf eine Landesordnung des Herzogtums Bayern von 1516 bezogen, in der es heißt:

„Wir wollen auch sonderlichen, das füran allenthalben in unnsern Steten, Märckten und auf dem Lannde, zu kainem Pier merer Stückh, dann allain Gersten, Hopffen unnd Wasser, genommen und gepraucht sollen werden.“

Die Brauvorschriften waren eine Reaktion auf zahlreiche Klagen über schlechtes Bier. Um ihren Gewinn trotz steigender Rohstoffpreise und unterschiedlicher regionaler Bedingungen zu sichern, reagierten viele Brauer mit einer schlechteren Qualität.

Das Reinheitsgebot: Nicht nur Qualitätssicherung

Hintergrund war aber nicht nur die Qualitätssicherung, sondern auch die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung. Denn der wertvollere Weizen oder Roggen war den Bäckern vorbehalten. Weitere Gründe lagen wohl auch in einem frühen Versuch, Drogenkonsum zu regulieren. Man wollte vermeiden, dass zur Herstellung von Bier berauschende Zutaten verwendet wurden. Stattdessen sollte der beruhigende und zugleich konservierende Hopfen zum Brauen eingesetzt werden.

Andere wiederum vermuten schnöde wirtschaftliche Erwägungen. Die Verordnung sollte danach Wettbewerbsvorteile der Brauereien aus dem Rheinland und Norddeutschland ausgleichen, die dem Bier zu Kräuter beisetzen wurden, die in Bayern nicht wuchsen.

Die Bezeichnung „Bier“ ist auch heute gesetzlich geschützt

Normiert ist der im Wesentlichen auf dem Reinheitsgebot basierende Schutz des Bieres einerseits in der sogenannten Bierverordnung und dort insbesondere in § 1 Abs. 1 BierV. Dort heißt es:

Schutz der Bezeichnung Bier
(1) Unter der Bezeichnung Bier – allein oder in Zusammensetzung – oder unter Bezeichnungen oder bildlichen Darstellungen, die den Anschein erwecken, als ob es sich um Bier handelt, dürfen gewerbsmäßig nur Getränke in den Verkehr gebracht werden, die gegoren sind und den Vorschriften des § 9 Abs. 1, 2 und 4 bis 6 des Vorläufigen Biergesetzes und den §§ 16 bis 19, § 20 Abs. 1 Satz 2 und §§ 21 und 22 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Vorläufigen Biergesetzes entsprechen.

Danach ist – vereinfacht gesagt – vorgeschrieben, dass sich nur solche Getränke „Bier“ nennen dürfen, bei deren Zubereitung (neben anderen Vorgaben) ausschließlich Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet wurden. Das ist grundsätzlich auch gut so. Denn nur so weiß der Verbraucher, was ihn erwartet, wenn er im Supermarkt oder im Getränkehandel zu einer Flasche mit der Aufschrift „Bier“ greift.

Ein absolutes Reinheitsgebot verstößt gegen Europarecht

Bereits im Jahr 1987 hat der EuGH jedoch bereits klargestellt, dass es mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb der Europäischen Union nicht vereinbar ist, die Vorschrift des § 10 BStG (die Vorgängerin des § 1 BierV), wonach die Bezeichnung „Bier“ dem nach dem Reinheitsgebot gebrauten Bier vorbehalten ist, auf in den anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellte und in Verkehr gebrachte Biere anzuwenden (EuGH, Urteil v. 12.3.1987, Rs 178/84).

Anders gesagt: Vor dem Hintergrund des Harmoniserungesgedankens sollte Deutschland sich keine „Extrawurst“ zum Bier braten und ausländische Produkte, die dem deutschen Bier qualitativ  nicht unbedingt unterlegen sein müssen, allein aufgrund dieser Formalien diskriminieren dürfen.

Der deutsche Gesetzgeber reagierte darauf, indem er einen zweiten und dritten Absatz in den § 1 BierV einfügte:

(2) Abweichend von Absatz 1 dürfen im Ausland hergestellte gegorene Getränke, die nicht den in Absatz 1 genannten Vorschriften entsprechen, unter der Bezeichnung „Bier“ gewerbsmäßig in den Verkehr gebracht werden, wenn sie im jeweiligen Herstellungsland unter der Bezeichnung „Bier“ oder einer dieser Bezeichnung entsprechenden Bezeichnung des Lebensmittels verkehrsfähig sind. Sind diesen Getränken zulassungsbedürftige Zusatzstoffe zugesetzt worden, so gilt dies jedoch nur, wenn für diese Zusatzstoffe eine Ausnahmeregelung nach dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch getroffen worden ist.

(3) Ein Getränk, bei dem die Gärung unterbrochen ist, gilt ebenfalls als gegoren.

§ 1 Abs. 2 BierV enthalte somit eine generelle Ausnahme von der Schutzbestimmung des Abs. 1 für im Ausland hergestellte Erzeugnisse. Danach dürfen im Ausland hergestellte Erzeugnisse unter der Bezeichnung Bier in Verkehr gebracht werden, wenn dies nach den Vorschriften des Herstellungslandes zulässig ist. Dies gilt über die Entscheidung des EuGH hinausgehend nicht nur für Biere, die in Mitgliedsländern der EG hergestellt wurden, sondern sogar auch für Biere aus allen anderen Ländern einschließlich der Drittländer. Eine sehr weitgehende Einschränkung des Schutzes für „Bier“.

Die Bezeichnung „Bier“ darf nicht irreführend sein

Andererseits ergibt sich der Schutz der Bezeichnung „Bier“ zusätzlich aus einem – vom die Inhaltsstoffe von Bier regelnden Reinheitsgebot zu unterschiedenen –Rechtsregime, dem generellen Irreführungsverbot aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Danach darf die Bezeichnung eines Getränks Verbraucher nicht über dessen Beschaffenheit täuschen.

Vor diesem Hintergrund hatte das Kammergericht in einem Eilverfahren im Jahre 2012 noch entschieden, dass der Verbraucher ein als „Ginger Beer“ bezeichnetes Getränk mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aufgrund der angegriffenen Darstellung als ein bierhaltiges Getränk einstuft. Wenn es sich dann dabei in Wirklichkeit nur um einen bier- und alkoholfreien Softdrink handelt, so der Senat, sei die Bezeichnung irreführend und daher verboten (KG, Urteil v. 12.10.2012, Az. 5 U 19/12).

Faktisch war „Bier“ absolut geschützt – Bis jetzt

Bisher war das deutsche Bier mit Hinblick auf den seit den achtziger Jahren stark eingeschränkten Schutz des Reinheitsgebots zwar nicht mehr absolut geschützt. Der unter anderem vom KG postulierte Irreführungsschutz der Bezeichnung „Bier“ führte jedoch dazu, dass selbst Getränke, die nach der Bierverordnung unter der Bezeichnung „Bier“ hätten verkauft werden dürfen, aufgrund der potentiellen Irreführung der Verbraucher nicht in Verkehr gebracht werden durften.

Auf eben diese Entscheidung stützte im Wesentlichen auch ein Mitbewerber eines Getränkehändlers eine vor dem LG München I erhobene Unterlassungs- und Schadensersatzklage. Er wollte ihm untersagen, so genanntes „Ginger Beer“, das dieser in unterschiedlichen Varianten aus dem – auch außereuropäischen – Ausland importierte, in Deutschland in Verkehr zu bringen. Interessant – obgleich für den Fall unerheblich – war der Umstand, dass die Klägerin selbst einen Softdrink mit derselben Bezeichnung herstellte und in Verkehr brachte, dem sie jedoch eine geringe Menge Gerstenmalzextrakt beigefügt hatte und offenbar davon ausging, damit ein „bierhaltiges“ Getränk im Sinne der Rechtsprechung des KG zu vertreiben.

Ginger Beer ist kein „Bier“, darf aber dennoch „Ginger Beer“ heißen

Ginger Beer ist nämlich alles andere als „Bier“ im Sinne des Reinheitsgebots. Es  ist ein kohlensäurehaltiges, alkoholfreies Erfrischungsgetränk mit Ingwergeschmack. Der Softdrink Ginger Beer ähnelt insoweit dem Ginger Ale, enthält jedoch mehr Ingwer und schmeckt darum intensiver, würziger und schärfer.

Zahlreiche Importeure und Händler bezeichnen ihr „Ginger-Bier“ aus Angst, sich rechtswidrig zu verhalten, jedoch nicht als „Ginger Beer“, sondern zum Beispiel als „Ginger Brew“ oder „Spicy Ginger“.  Dem einen oder anderen werden vielleicht beim Einkauf der Zutaten zB für den bekannten Cocktail „Moscow Mule“ diese oder ähnliche Gebinde aufgefallen sein:

So weist Wikipedia auch aktuell noch darauf hin, dass

anders als der Name vermuten lässt, handelt es sich nicht um Bier im lebensmittelrechtlichen Sinn, sondern um eine Limonade, sodass in Deutschland wegen des Reinheitsgebotes abweichende Verkehrsbezeichnungen ohne die Begriffe „Beer“ oder „Bier“ vorgeschrieben sind.

Wird das in Bayern ins Leben gerufenen Reinheitsgebot nach 501 Jahren dort auch wieder begraben?

Diese Einschätzung dürfte spätestens nach der Entscheidung des Landgerichts München I überholt sein. Das historische, bayerische Reinheitsgebot wurde damit ausgerechnet durch ein bayrisches Gericht nach 501 Jahren faktisch wieder abgeschafft (LG München I, Urteil v. 3.7.2017, Az. 4 HK O 19176/16).

Die Kammer folgte im Großen und Ganzen der Argumentation der Beklagten. Danach greift die Bierverordnung und damit das „Reinheitsgebot“ in Bezug auf Getränke mit der Bezeichnung „Ginger Beer“ schon begrifflich nicht, so dass es auf die Ausnahme des § 1 Abs. 2 BierV gar nicht ankomme.

Das Gericht wollte auch der Argumentation des Kammergerichts (siehe oben), wonach die Bezeichnung „Ginger Beer“ für ein Getränk, das kein Bier enthält, irreführend sein kann, weil und soweit dies vom inländischen Durchschnittsverbraucher als Hinweis auf Bierbestandteile verstanden werde, nicht folgen. Die Mitglieder der Kammer, die zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören, kennten „Ginger Beer“ aus eigener Wahrnehmung. Es sei bekannt, dass es sich hierbei nicht um ein Bier, sondern um ein zunächst einmal alkoholfreies Erfrischungsgetränk, ähnlich dem „Ginger Ale“ handele.

Was ändert sich für deutsche Brauereien?

Für Unternehmen, die Bier in Deutschland brauen, bleibt auch nach der Entscheidung des Landgerichts München I alles beim Alten. Nach § 1 BierV dürfen unter der Bezeichnung Bier – allein oder in Zusammensetzung – oder unter Bezeichnungen oder bildlichen Darstellungen, die den Anschein erwecken, als ob es sich um Bier handelt, gewerbsmäßig nur Getränke in den Verkehr gebracht werden, die gegoren sind und den Vorschriften des § 9 Abs. 1, 2 und 4 bis 6 des Vorläufigen Biergesetzes und den §§ 16 bis 19, § 20 Abs. 1 Satz 2 und §§ 21 und 22 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Vorläufigen Biergesetzes entsprechen.

Änderungen dürfte es nunmehr jedoch für andere Arten von Getränken geben. Denn die rechtskräftige Entscheidung des Landgericht München I stellt sich auf den Standpunkt, dass die Bierverordnung nur für Getränke gilt, die unter der Bezeichnung „Bier“ in den Verkehr gebracht werden. Die Bezeichnung „Ginger Beer“ falle jedenfalls nicht darunter. Diese Einschätzung könnte so ähnlich auch für andere alkoholfreie Getränke Geltung haben, die in Kombination mit dem Wort „Beer“ beworben werden.

Was ausländische Getränkehersteller und Importeure jetzt prüfen müssen

Interessant wird es allerdings für Unternehmen, die gegorene Getränke im Ausland herstellen und/oder in Deutschland in Verkehr bringen möchten. Diesbezüglich hat das LG München I erstens klargestellt, dass das Reinheitsgebot für viele ausländische Bezeichnungen, die „Bier“ nur ähnlich sind, schon gar nicht gilt. Auch, wenn die Entscheidung des Landgerichts an dieser Stelle eventuelle etwas kurz greift, dürfte jedenfalls die Ausnahme des § 1 Abs. 2 gelten, wenn das ausländische gegorene Getränk im jeweiligen Herstellungsland unter der Bezeichnung „Bier“ oder einer dieser Bezeichnung entsprechenden Bezeichnung des Lebensmittels verkehrsfähig ist.

Eine Bezeichnung mit dem Bestandteil „Bier“ ist dann zulässig, wenn sie den Verbraucher nicht in die Irre führt. Das ist  sichergestellt, wenn die Verbraucher das Getränk bereits als solches kennen. Bei „Ginger Beer“ hat dem Gericht für diese Beurteilung seine Erfahrung genügt, die es eventuell beim Genuss des „Moscow Mule“ sammeln konnte. Die Änderung der Bezeichnungen „Ginger Beer“ in „Ginger Brew“ oder „Spicy Ginger“ (siehe oben) wäre somit nicht notwendig gewesen. Ähnliches dürfte für andere Getränke gelten. Bevor Importeuere aufwändige Namensänderungen veranlassen, die mit erheblichen Kosten einhergehen können, sollten sie daher prüfen, ob dies überhaupt notwendig ist. Auch wenn es dabei um „Bier“ geht.

(Offenlegung: Unsere Kanzlei hat die Beklagte rechtlich beraten und vertreten.)

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