Mehrfach ausgezeichnet.

Focus Markenrecht
en

LG Hamburg untersagt Nutri-Score auf Iglo-Produkten

Ihr Ansprechpartner
nutri score LG Hamburg
© frameworks2014 – fotolia.com

Gesunde Ernährung ist buchstäblich in aller Munde. Dem gesundheits-bewussten Verbraucher sollte mittels einer Farbskala (dem sog. „Nutri-Score“) auf Verpackungen gezeigt werden, wie es um den Nährwert eines Produkts bestellt ist. Ein Industrieverband ging nun dagegen vor und erwirkte eine einstweilige Verfügung.

Wer als gesundheitsbewusster Mensch im Supermarkt einkauft, hat es nicht ganz leicht. Sobald er den Gemüse- und Obstbereich hinter sich lässt, schiebt er den Einkaufswagen in trübe Gefilde.

Im Supermarkt gesund Einkaufen? Eine Herausforderung!

Verarbeitete Lebensmittel im Allgemeinen und Fertigprodukte im Besonderen enthalten verschiedenste – oft geschmacksverstärkende – Zusätze. Bislang war beim Einkauf ein genaues Studium der Nährwertangaben auf den Verpackungen notwendig, um die Spreu vom Weizen zu trennen oder zumindest herauszufinden, welcher Aufschnitt denn am wenigsten Zucker (sic!) enthält. Nicht sehr verbraucherfreundlich.

Nutri-Score: Gesund oder nicht? Das verrät das Licht!

Zur Vereinfachung haben sich einige Firmen – u.a. Iglo, Danone, McCain und Bofrost – bereiterklärt, ein Farblogo auf der Verpackung einzuführen, den „Nutri-Score“. Diese freiwillige, sog. „front-of-pack“-Nährwertkennzeichnung soll dem Verbraucher zukünftig im Supermarkt auf den ersten Blick vermitteln, wie gesund ein Produkt ist.

Zur Veranschaulichung gibt es mehrere Stufen – ähnlich einer Ampel – von Grün über Gelb bis Rot, je nach Anteil bestimmter Inhaltsstoffe wie z.B. Eiweiß, Zucker, Salz oder Fett. In Frankreich ist der Nutri-Score bereits etabliert und wird von der Regierung empfohlen. Weitere Länder wie Portugal, Spanien und Belgien wollen nachziehen.

In Deutschland scheiden sich bezüglich des Nutri-Score allerdings die Geister. Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), als Spitzenverband der Lebensmittelindustrie, lehnt generell eine Bewertung des Lebensmittels ab und stellt ein eigenes Modell vor.

Den Kritikern ist die Skala zu pauschal. Sie berücksichtige z.B. nicht, ob ein Produkt viele Vitamine und Mineralstoffe oder (zu) viele Zusatzstoffe enthalte. Zudem verhindere die freiwillige Kennzeichnung eine Vergleichbarkeit sämtlicher Produkte.

Doch der Nutri-Score sollte den Blick auf die Nährwertangaben bzw. Inhaltsstoffe nicht zur Gänze ersetzen, sondern vielmehr ergänzen. Er richtet sich an die breite Masse der Bevölkerung im Sinne einer unkomplizierten Entscheidungshilfe. Sofern ein Produkt „im grünen Bereich“ liegt, werden sich die meisten Verbraucher damit zufrieden geben. Und die extrem Ernährungsbewussten verzichten in der Regel ohnehin weitestgehend auf Fertigprodukte.

Ein vorläufiger Bericht des vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) beauftragten Max-Rubner-Instituts (MRI) kommt zu dem Ergebnis, dass keines der getesteten Modelle zur Nährwertkennzeichnung (u.a. Nutri-Score, S. 56ff.) optimal ist. Dieser Ansicht folgt auch Ernährungsministerin Julia Klöckner. Statt den Nutri-Score von der EU-Kommission absegnen zu lassen, fordert sie die Entwicklung eines ganz neuen Modells. Das Institut gibt jedoch zu bedenken, dass dies Jahre in Anspruch nehmen wird (Bericht S. 81).

Rotes Licht aus Verbrauchersicht: Nutri-Score gestoppt!

Der „Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft“ erwirkte schließlich Mitte April beim LG Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen den Nutri-Score auf Iglo-Produkten. Das Gericht ist der Auffassung, der Nutri-Score verstoße gegen europäisches Recht. Da seine Farben auch positive Eigenschaften (z.B. Eiweiß, Ballaststoffe) eines Lebensmittels betonen, liege darin eine nährwertbezogene Angabe im Sinne der Health-Claims-Verordnung (HCVO). Es liege in diesem Zusammenhang ein Verstoß gegen Art. 35 der Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) vor, der für die Benennung des Brennwerts eines Lebensmittels bestimmte Voraussetzungen vorsieht. Iglo habe zudem nicht hinreichend dargelegt, dass die Einstufung der jeweiligen Produkte auf wissenschaftlich belegten Erkenntnissen der Verbraucherforschung beruhe.

Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) stellt sich in ihrer Pressemitteilung als Reaktion auf die Entscheidung hinter den Nutri-Score und formuliert, was Viele denken:

„…der Bericht des Max-Rubner-Instituts zeigt auch: Der Nutri-Score erfüllt die allermeisten geprüften Kriterien für eine gute Lebensmittelkennzeichnung. Eine Verschiebung um mehrere Jahre ist daher nur ein Geschenk an die Teile der Lebensmittelindustrie, die ihrer  Verantwortung gegenüber dem Verbraucher nicht gerecht werden wollen.“

Eine internationale Vergleichsstudie aus dem Jahre 2018 kam bezüglich des „Nutri-Score“ zu einem klaren Ergebnis. Französische Ernährungs-wissenschaftler bewerteten das Verbraucherverhalten in 12 Ländern bezüglich verschiedener „Front-of-pack“-Lebensmittelkennzeichnungen. Der „Nutri-Score“ erwirkte die größte Sensibilisierung der Verbraucher für den Gesundheitswert der von ihnen konsumierten Produkte. Insbesondere half den Verbrauchern die Tatsache, dass die Skala unterschiedliche Farben enthielt und eine zusammenfassende Würdigung des Produkts vornahm. Einfarbige Kennzeichnungen oder solche mit schlichter Benennung spezifischer Anteile von Zucker o.ä. schnitten schlechter ab. (LG Hamburg, Urteil v. 16. 04.2019, Az. 411 HKO 9/19)

Iglo kündigte an, gegen die Entscheidung des LG Hamburg vorzugehen.

Praxishandbuch Anspruchsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht

2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage

Chronologisch aufgebaut, differenzierte Gliederung, zahlreiche Querverweise und, ganz neu: Umfangreiche Praxishinweise zu jeder Prozesssituation.

Mehr erfahren

Praxishandbuch Anspruchsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht