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Knutschen in Werksqualität

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OLG Köln: Kussabdruck als persönliche geistige Schöpfung

Mit Urteil vom 09.03.2012 – 6 U 62/11 – bejahte das OLG Köln den urheberrechtlichen Schutz für eine Kussmundgraphik und verurteilte den verklagten Verletzer zur Unterlassung der weiteren nicht lizenzierten Verwendung dieser Graphik sowie zum Schadensersatz und der zur Berechnung erforderlichen Auskunft. Den Streitwert, auf dessen Grundlage die im Berufungsverfahren erwachsenen Kosten berechnet werden, hat das Gericht auf rund 120.000 Euro festgesetzt.

Im Verfahren machte der Kläger geltend, die Beklagte habe die von ihm 2001 geschaffene und im Internet veröffentlichte originelle Kussmundgraphik übernommen und zur Dekoration diverser von ihr vertriebener Geschenkartikel verwendet, ohne sich erforderliche Nutzungsrechte einräumen zu lassen.

Darlegung des Schaffensprozesses

Den bei online veröffentlichten Werken oft problematischen Nachweis der eigenen Urheberschaft hat der Kläger dadurch erbringen können, dass er dem Gericht den Schaffensprozess detailliert geschildert und durch unterschiedliche Muster, insbesondere durch Vorlage des von den Originallippen geschaffenen Ausgangsmusters sowie durch Zeugnis des „Kuss-Modells“ belegt hat.

Schöpfungshöhe

Die von der Beklagten ferner bestrittene Werkqualität der Graphik hat das Gericht ebenfalls bejaht. Die streitgegenständliche Kussmundgraphik sei nach Feststellungen des Gerichts insbesondere nicht dem grundsätzlich urheberrechtsfreien Bereich der angewandten Kunst zuzuordnen:

„Ob ein Werk der angewandten Kunst zuzurechnen ist, bestimmt sich danach, ob es einem Gebrauchszweck dient […]. Daher fallen unter Werke der angewandten Kunst Bedarfs- und Gebrauchsgegenstände mit künstlerischer Formgebung […]. Entscheidend ist die Zweckbestimmung des konkreten Gegenstandes. Soweit auf die Eignung des Werks, als Geschmacksmuster geschützt zu werden, abgestellt wird, kann dies nicht dahin verstanden werden, dass jedes Motiv, das als Dekor eines Gebrauchsgegenstandes zum Gegenstand eines Geschmacksmusters werden kann, der angewandten Kunst zuzurechnen wäre. Denn dies trifft auf nahezu jedes Werk der freien bildenden Kunst zu (und tatsächlich werden zahlreiche große Kunstwerke auf verschiedenen Gebrauchsgegenständen abgebildet […]).

[…] die streitgegenständliche Graphik […] dient nicht einem Gebrauchszweck, sondern allein der Anschauung und ästhetischen Erbauung. Dass der Kläger beabsichtigte, die Graphik zu verkaufen, ist für einen Künstler, der mit seiner Kunst seinen Lebensunterhalt bestreitet, selbstverständlich und steht daher der Annahme freier Kunst nicht entgegen.

[…] Schließlich würde aber auch die Absicht des Klägers, die Graphik als Werbung für das Angebot auf der Internetseite „knutschfleck.org “ zu verwenden, nicht dazu führen, dass die Graphik als Werk der angewandten Kunst einzuordnen zu wäre. […] Es bleibt einem Künstler überlassen, für seine Arbeiten mit einem seiner (besonders gelungenen) Werke zu werben, ohne dass deshalb dieses Werk als Werk der angewandten Kunst angesehen werden müsste. Dies gilt auch dann, wenn die auf diese Weise beworbenen Leistungen nicht sämtlich Werkqualität aufweisen.“

Anschließend führt das Gericht aus, dass die Kussmundgraphik auch die für die Werkqualität nach § 2 Abs. 2 UrhG erforderliche Gestaltungshöhe aufweist:

Der Kläger hat nicht lediglich einen […] „Stempeldruck “ eines Kussmundes ausgewählt, sondern er hat bereits die Herstellung der Muster initiiert und angeleitet und sich dabei der Zeugin T als menschliches Werkzeug bedient. Aus den nach seinen Vorgaben angefertigten Abdrücken hat er nicht nur ein Muster ausgesucht, sondern den Abdruck weiter bearbeitet. Dass diese Bearbeitung mittels eines Computers geschehen ist, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass dem Kläger bei allen diesen Arbeitsschritten ein Gestaltungsspielraum zustand und er diesen ausgenutzt hat. Dies betrifft bei der weiteren Bearbeitung sowohl die Farb- als auch die Formgebung. […] Dadurch hebt sich seine Graphik von den meisten anderen der von der Beklagten vorgelegten Kussmunddarstellungen ab. Dass sich sämtliche Graphiken ähneln, ist, da es sich um eine Naturnachbildung handelt, nicht verwunderlich, steht der Annahme einer schöpferischen Gestaltung jedoch nicht entgegen […].“

Die für die Schutzansprüche des Klägers des Weiteren erforderlichen Voraussetzungen sind in dem streitgegenständlichen Fall allesamt erfüllt worden, wobei das Gericht in Bezug auf den Schadensersatzanspruch des Klägers explizit ausgeführt hat, dass der durch die Beklagte vorgetragene Einwand, sie könne nicht ermitteln, wie sie an die Graphik gelangt sei, diese sei auf mehreren Internetseiten zu finden gewesen, ihr Verschulden an der begangenen Rechtsverletzung nicht entfallen lasse. Sie hätte sich vielmehr vor der Benutzung der übernommenen Kussmundgraphik über die Rechte an dieser vergewissern sollen. (pu)

(Bild: © Linleo – Fotolia.com)

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