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EU prüft Datennutzung von Amazon: Verdacht auf Marktmissbrauch

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EU prüft Datennutzung von Amazon: Verdacht auf Marktmissbrauch
©William W. Potter – Fotolia.com

Ein Sturm der Kritik zieht über Amazon hinweg. Das US-Unternehmen gerät bereits seit Ende vergangenen Jahres zunehmend ins Visier der deutschen und europäischen Behörden. 

Nachdem das Bundeskartellamt am 29. November 2018 aufgrund zahlreicher Händlerbeschwerden über die Geschäftspraxis von Amazon ein Missbrauchsverfahren einleitete, um die Geschäftsbedingungen und Verhaltensweisen gegenüber den Händlern auf dem deutschen Marktplatz amazon.de zu untersuchen, will nun die Europäische Kommission  einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung prüfen. In Deutschland hat der Online-Riese auf Drängen des BKartA bereits eingelenkt und zahlreiche AGB-Änderungen zu Gunsten von Marktplatzhändlern zugesagt.

EU-Kommission ermittelt: Nutzt Amazon Daten von Händlern, um sie zu benachteiligen?

Amazon nimmt als Plattform eine doppelte Funktion ein: Einerseits verkauft das Unternehmen als Einzelhändler eigene Produkte auf seiner Webseite. Andererseits betreibt es einen Online-Marktplatz, über den unabhängige Händler ihre Produkte anbieten und direkt an Kunden veräußern können.

Der Marketplace ist für den Internetkonzern außerordentlich wichtig. Mehr als die Hälfte des weltweit über Amazon erwirtschafteten Bruttowarenumsatzes stammt von den selbstständigen Drittanbietern. Bei der Bereitstellung eines Marktplatzes sammle das US-Unternehmen fortlaufend Daten und Informationen über Marktplatzhändler, ihre Produkte und die auf der Plattform getätigten Transaktionen.

Die EU-Kommission will nun prüfen, ob die Nutzung dieser Daten und die Doppelrolle von Amazon als Marktplatz und Einzelhändler mit den EU-Wettbewerbsregeln übereinstimmen. Die Behörde hat deshalb am 17.07.2019 kartellrechtliche Untersuchungen gegen Amazon eingeleitet. Sie will vor allem der Frage nachgehen, ob Amazon die ihm vorliegenden wettbewerbssensiblen Daten über die Verkäufe der Händler auf seiner Marketplace-Plattform verbotenerweise für den eigenen Verkaufserfolg verwendet hat, um beispielsweise kleinere Händler im Preis zu unterbieten.

Dazu will die Kommission einerseits die Standardvereinbarungen über diese Datenanalyse zwischen Amazon und den anderen Marktplatzhändlern untersuchen. Unklar ist andererseits die Rolle von wettbewerbssensiblen Daten bei der Auswahl der in der sog. Buy Box angezeigten Händler. Über die Buy Box können Kunden das Produkt eines bestimmten Händlers direkt in ihren Einkaufswagen legen. Da die meisten Transaktionen über sie abgewickelt werden, hat die Anzeige in der „Buy Box“ für Marktplatzhändler eine entscheidende Bedeutung.

Bundeskartellamt erwirkt Verbesserungen für Amazon-Händler

© Bundeskartellamt

Auch die deutschen Behörden haben ähnliche Fragen geprüft, nämlich die Bedingungen gegenüber Marktplatz-Verkäufern. Das Bundeskartellamt teilte am 17.07.2019 mit, dass es die Untersuchung mit der Zusammenarbeit von Amazon erfolgreich abgeschlossen hat.

Die Behörde hatte im November 2018 aufgrund zahlreicher Händlerbeschwerden über die Geschäftspraxis von Amazon ein Missbrauchsverfahren gegen den Konzern eingeleitet. Händler bemängelten u.a. Haftungsregeln, die zu ihren Lasten gingen, intransparente Kündigungen und Sperrungen der Konten der Händler sowie einbehaltene oder verzögerte Auszahlungen.

Das Verfahren führte dazu, dass Amazon weltweit seine Geschäftsbedingungen auf den Online-Marktplätzen geändert hat. Die Verbesserungen sollen am 16. August in Kraft treten und betreffen u.a. folgende Punkte:

Haftung gegenüber den Händlern

Nach Angaben des BKartA, sei Amazon bislang praktisch von jeglicher Haftung gegenüber den Händlern freigestellt. Der Haftungsausschluss von Amazon werde nun zu Gunsten der Händler eingeschränkt. Amazon hafte künftig ebenso wie die Händler für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit sowie bei Verletzung wesentlicher Vertragspflichten.

Kontensperrungen und Kündigungen nur noch mit Begründung

Das Problem trat des öfteren auf: Händlerkonten wurden von Amazon ohne Angabe von Gründen gesperrt. Wir berichteten:

Bei außerordentlichen Kündigungen ebenso wie bei Sperrungen sei Amazon nun zur ausreichenden Begründung verpflichtet. Bei ordentlichen Kündigungen gelte künftig eine 30-Tage-Frist.

Widerspruch bei Retouren und Erstattungen möglich

Ausserdem verbessert sich die Position der Händler bei Retouren und Erstattungen. Bislang hätten sie einseitig die Kosten einer von Amazon getroffenen Erstattungsentscheidung tragen müssen. Nach den neuen Regelungen könnten die Händler Widerspruch gegen die Entscheidung einlegen und gegebenenfalls einen Ausgleichsanspruch gegenüber Amazon geltend machen, wenn sie die Retoure für unberechtigt halten.

Produktinformation und Nutzungsrechte

Nach der Mitteilung des BKartA hätten die Drittanbieter Amazon bislang sehr weitreichende Rechte zur Nutzung der eigenen Produktmaterialien, wie Informationen, Beschreibungen, Bilder etc. einräumen müssen.  Die angepassten Regelungen enthalten nun hinsichtlich der Nutzungsrechte Verbesserungen und Klarstellungen zu Gunsten der Händler. Insbesondere ist die zulässige Nutzung durch Amazon nun auf bestimmte Verwendungszwecke beschränkt.

Darüber hinaus entfalle die sogenannte „Paritätsvorgabe“. Danach mussten Händler dem Amazon-Marktplatz Produktmaterial zur Verfügung stellen, das qualitativ ebenso hochwertig ist wie das von ihnen in anderen Vertriebskanälen verwendete Material. Künftig seien daher hochwertigere bzw. speziellere Produktinformationen und Darstellungen auf anderen Webseiten möglich.

Geheimhaltungspflicht

Außerdem können Drittanbieter bald offener über ihre Zusammenarbeit mit Amazon sprechen. Nach der bislang geltenden Geheimhaltungspflicht seien öffentliche Äußerungen zu der Geschäftsbeziehung zu Amazon nur nach vorheriger Erlaubnis von Amazon möglich gewesen. Davon nehme Amazon nunmehr Abstand.

Produktrezensionen und Verkäuferbewertungen

Des Weiteren wurde auch die Praxis von Amazon bei Bewertungen beanstandet. Es sei kritisiert worden, dass Amazon Verkäufe von Amazon Retail gegenüber den Verkäufen von Marktplatzhändlern in dieser Hinsicht bevorzuge, insbesondere weil über Drittanbieter eingeholte Produktrezensionen von der Plattform entfernt würden.

Amazon erklärte, dass es ein erhebliches Risiko von gefälschten und manipulierten Bewertungen bestehe und das Unternehmen das Problem grundsätzlich angehen möchte. Auf Betreiben des Bundeskartellamts solle zeitnah das bislang nur den Lieferanten von Amazon Retail zugängliche eigene Bewertungsprogramm „Vine“ schrittweise für solche Marktplatzhändler geöffnet werden, die Inhaber einer bei Amazon registrierten Marke sind.

Gerichtsstand

Bislang war Luxemburg als ausschließlicher Gerichtsstand in den europäischen Geschäftsbedingungen vorgegeben. Insbesondere für kleinere Händler dürfte diese Regelung eine Hemmschwelle gewesen sein, überhaupt eine rechtliche Auseinandersetzung einzuleiten. Die Ausschließlichkeit des luxemburgischen Gerichtsstands werde nun für alle europäischen Marktplätze beseitigt, so dass künftig unter bestimmten Voraussetzungen auch inländische zuständig sein können.

Die geänderten Geschäftsbedingungen gelten nicht nur für den deutschen Marktplatz amazon.de, sondern für alle Online-Marktplätze weltweit. Weitere Details zu den Änderungen hat das Kartellamt online veröffentlicht.

Fazit

Der mit Abstand größte Online-Händler in Deutschland ist nicht das einzige Digitalunternehmen, das ins Visier der Wettbewerbshüter geraten ist. Auch Facebook, Apple und Google werden zunehmend unter die Lupe der klaren digitalen Agenda nationaler sowie internationaler Wettbewerbsbehörden genommen. Ziel ist es, auch im Netz Märkte transparent und offen für Konkurrenz zu halten und zu vermeiden, dass einzelne Internetgigante ihre Marktmacht missbrauchen.

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