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Das Ende der kostenlosen Zweitbrille: BGH spricht Werbeverbot aus

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zweitbrilleJeder Brillenträger weiß, dass der Kauf einer Brille eher selten mit Spaß verbunden ist: Denn wenn man beim Optiker vorm Spiegel steht, sieht man aufgrund seines Sehfehlers nie selbst, ob die in Betracht gezogenen Modelle einem überhaupt stehen.

Trifft man endlich eine Kaufentscheidung aus dem Halbblinden heraus, läuft man oft jahrelang tagein tagaus mit demselben Brillengestell durch die Gegend. Egal, ob das übrige Outfit gerade schick oder leger, festlich oder sportlich ist: Das Nasenfahrrad bleibt immer dasselbe und verschmilzt schlimmstenfalls sogar mit der Persönlichkeit seines Trägers.

Dieser Langeweile könnte entrinnen, wer den Mut aufbrächte, sich eine zweite Brille zuzulegen: Doch davor schrecken die meisten zurück, weil sie befürchten, viel Geld auszugeben oder sich beim Kauf der zweiten Brille einen (weiteren/noch viel schlimmeren) Fehlgriff zu leisten. Wer keinen ausgeprägten Brillenfetisch hat, legt sich eine neue Brille deshalb im Zweifel nur dann zu, wenn radikale Veränderungen im Leben anstehen oder sich die Sehschärfe radikal verschlechtert.

Wie also lockt man als Optiker den „Bodensatz“, der eigentlich keine neue Brille braucht, trotzdem ins Geschäft? Richtig: Man schenkt ihm eine zweite Brille kostenlos obendrauf.

Kostenlose Zweitbrille im Wert von 89 €

Zu dieser Werbestrategie entschloss sich auch eine Optikerkette aus Schwaben, die im Herbst 2010 einen Werbeflyer verteilte, in dem sie Brillen mit Premium-Einstärkengläsern zum Preis von 239 € und Brillen mit Premium-Gleitsichtgläsern zum Preis von 499 € anbot. Zudem kündigte sie mit einem hervorgehobenen Hinweis in dieser Werbung an, dass die Käufer zusätzlich eine kostenlose Zweitbrille im Wert von 89 € erhalten würden. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hielt diese Werbung für rechtswidrig und nahm die Optikerkette auf Unterlassung in Anspruch.

Eine kostenlose Zweitbrille verstößt gegen das Zuwendungsverbot des Heilmittelwerbegesetzes

Nach dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Stuttgart hat nun auch der Bundesgerichtshof der Unterlassungsklage stattgegeben (Urteil vom 06.11.2014, Az. I ZR 26/14): Die Richter des u.a. fürs Wettbewerbsrecht zuständigen I. Zivilsenats sind der Auffassung, dass die streitgegenständliche Werbung gegen das Verbot von Zuwendungen in § 7 Abs. 1 S. 1 HWG (Heilmittelwerbegesetz) verstößt. Der Verbraucher würde nämlich die Werbung dergestalt auffassen, dass es sich um das Angebot einer Brille zum angegebenen Preis und ein Geschenk in Form einer Zweitbrille handelt. Dies ergebe sich daraus, dass der Umstand, dass die Zweitbrille kostenlos dazugegeben wird, in der Werbung blickfangmäßig hervorgehoben dargestellt wird. Aufgrund dessen – so die Richter – bestehe bei der streitgegenständlichen Werbung die Gefahr, dass sich Verbraucher zum Kauf der angebotenen Brille allein wegen des Geschenks einer Zweitbrille entschließen und ihre Kaufentscheidung nicht ausschließlich an ihren gesundheitlichen Belangen ausrichten.

Da Brillen als Medizinprodukte im Sinne von § 3 MPG (Medizinproduktegesetz) gelten, für die Zuwendungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 HWG nur bei geringem Wert zulässig sind, ist die Entscheidung an sich nicht sonderlich überraschend. Dies macht sie indessen nicht weniger lebensfremd. Die Quintessenz der Karlsruher Richter: Nur wer wirklich eine neue Brille braucht, soll sich bitteschön eine solche kaufen. Alle anderen dürfen nicht in Versuchung geführt werden. Damit steht die Brille letztlich auf gleicher Stufe mit einem Blutdruckmesser oder einem Beatmungsgerät. Dass sie aber (auch) ein modisches Accessoire ist, dessen Ästhetik wesentlich zum persönlichen Wohlbefinden beiträgt und dass man gegebenenfalls ein praktisches Interesse daran haben kann, in unterschiedlichen Lebenssituationen unterschiedliche Brillen zu tragen, wird von diesem Werbeverbot einfach ausgeblendet. (ab)

(Bild: © albert schleich –  Fotolia.com)

 

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