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BGH: Kein Wettbewerbsverhältnis zwischen Anwalt und Fondsanbieter – Abkehr vom handlungsbezogenen Mitbewerberbegriff?

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Seit einigen Tagen liegt die schriftliche Begründung einer interessanten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.1.2017 vor (BGH, Urteil v. 26.1.2017, Az. I ZR 217/15). Es handelt sich um eine Leitsatzentscheidung, das heisst, um eine, die der Bundesgerichtshof für so wichtig hält, dass er die elementaren Überlegungen des Falls selbst in einem Leitsatz zusammengefasst hat.

Ein Fondsanbieter ging gegen rechtswidrige Werbung einer Anwaltskanzlei vor

Da die beklagte Rechtsanwaltskanzlei bereits im Jahre 2013 eine durch den klagenden Fondsanbieter erwirkte einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt als endgültige Regelung anerkannt hatte, konnte dieser das weitere Vorgehen auf die Geltendmachung von außergerichtlichen Anwaltskosten, Auskunft und der Feststellung eines Schadensersatzanspruchs beschränken.

Er klagte zunächst vor dem LG Frankfurt und legte gegen die abweisenden Entscheidung Berufung zum OLG Frankfurt ein. Das OLG Frankfurt wies die Berufung zurück. Da der Streitwert der Angelegenheit 20.000,00 € überstieg, eignete sich der Fall dazu, die in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilten Rechtsfragen einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen.

Nachdem die Vorinstanz, das OLG Frankfurt die Revisionszulassung verweigert hatte, ließ der BGH die Revision auf die entsprechende Beschwerde der Klägerin hin zu, da er der Sache grundsätzliche Bedeutung, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zumaß.

Der Senat hatte sich – unter anderem – mit der Frage zu befassen, ob die Verwendung einer Domain durch eine nach eigenen Angaben auf Anlegerschutz spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei bestehend aus der Kombination des Namens eines Immobilienfondsanbieters und “Schaden” wettbewerbsrechtliche Ansprüche auslösen kann.

Er hat dies für den konkreten Fall verneint und den – etwas allgemeiner gehaltenen – Leitsatz formuliert:

“Ein Anbieter geschlossener Immobilienfonds und eine auf Kapitalmarktrecht spezialisierte Rechtsanwaltsgesellschaft, die im Internet zum Zwecke der Akquisition anwaltlicher Beratungsmandate Pressemitteilungen zu dem Fondsanbieter veröffentlicht, sind keine Mitbewerber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Zwar kann sich die anwaltliche Tätigkeit der Rechtsanwaltsgesellschaft nachteilig auf die Geschäftstätigkeit der Fondsgesellschaft auswirken, wenn potentielle Kunden vom Erwerb der Anlageprodukte abgehalten werden. Es fehlt jedoch der für die Begründung der Mitbewerbereigenschaft erforderliche wettbewerbliche Bezug zwischen den Unternehmen.”

Der Mitbewerberbegriff ist handlungsbezogen

Um das Problem des Falls zu verstehen, muss man wissen, dass sich die Beurteilung, ob zwei Unternehmen zueinander im Wettbewerb stehen, nicht statisch nach deren Betätigungsfeldern richtet. Da im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes grundsätzlich keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu stellen sind, reicht es aus, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt.

Nach der Rechtsprechung des I. Senats ist daher ein konkretes Wettbewerbsverhältnis anzunehmen, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann. Nicht ausreichend soll es allerdings, wenn die Maßnahme den anderen nur irgendwie in seinem Marktstreben betrifft.

Statt Blumen ONKO-Kaffee

In diesem Zusammenhang wird als Beispiel oft die etwas ältere Entscheidung des I. Senats “Statt Blumen ONKO-Kaffee” aus dem Jahr 1972 zitiert, die betont, dass es für die Anwendbarkeit des UWG nur auf die konkret beanstandete Wettbewerbshandlung ankommt:

“Da es aber für die Anwendung des § 1 UWG nur um die konkret beanstandete Wettbewerbshandlung geht, genügt es, wenn die Parteien auch nur durch diese beanstandete Handlung in Wettbewerb getreten sind, im übrigen aber ihre Unternehmen verschiedenen Branchen angehören. Es ist daher ohne entscheidende Bedeutung, daß zwischen den branchenverschiedenen Waren der Parteien regelmäßig nur ganz allgemein ein Wettbewerb in dem Sinn eintreten kann, daß Kunden vor der Entscheidung stehen, ob sie die eine oder die andere Ware – etwa als Geschenk – wählen sollen. Werden die Kunden jedoch gezielt mit dieser Substitutionsmöglichkeit umworben, dann treten die Unternehmen insoweit konkret in den Wettbewerb um die umworbenen Kunden ein. Das ist hier nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des BerG durch die beanstandete Werbung der Bekl. der Fall. Danach setzt der Verkehr die herausgestellte Anzeigenüberschrift „Statt Blumen“ zu den Werbehinweisen auf ONKO-Kaffee in Beziehung und entnimmt dem die Werbeaussage „Statt Blumen ONKO-Kaffee“. Auch der weiter angegriffene Werbetext wird nach den Feststellungen des BerG trotz der Konditionalform („Sie könnten verschenken“) vom Publikum in diesem Sinne verstanden. Damit hat sich die Bekl. durch ihre angegriffene Werbung insoweit selbst in ein Wettbewerbsverhältnis zum Blumenhandel gestellt (GRUR 1972, 553, beck-online).”

Wer in einen fremden Markt eindringt, wird insoweit auch zum Mitbewerber

Bereits vor 45 Jahren meinte der Senat – damals natürlich anderweitig personell besetzt – somit schon, dass es auf Branchengleichheit jedenfalls dann nicht ankommt, wenn sich der Mitbewerber durch seine Werbung selbst in Wettbewerb mit einem Dritten setzt. Eines – zusätzlichen – wettbewerblichen Wechselbezugs der angebotenen Waren oder Dienstleistungen bedarf es dann nicht. Der Mitbewerber ist aufgrund des Umstands, dass er sich aus eigener Entscheidung mit seiner Werbung den durch seine Branche vorgegebenen Bereich selbst verlassen hat, nämlich nicht schutzwürdig. Salopp gesagt: Wer eine Inanspruchnahme eines branchenfremden Unternehmens vermeiden möchte, muss schlicht das “Wildern” in dessen “Jagdgründen” unterlassen.

Diesen Überlegungen trägt übrigens Köhler – jedenfalls bis jetzt – in der aktuellen Auflage des UWG-Kommentars Köhler/Bornkamm, dem Standardwerk für das Lauterkeitsrecht, Rechnung. Er spricht dort mit Blick auf den auch hier interessierenden “Behinderungswettbewerb” von einem “weiten Mitbewerberbegriff”, der zusätzlich zum engen Mitbewerberbegriff – bei den mitbewerberbezogenen Tatbeständen des § 4 Nr. 1–4 sowie bei den Sanktionsnormen der § 8 III Nr. 1, § 9 S. 1, 12 I 2 und § 242 BGB anzuwenden sei (Köhler/Bornkamm/Köhler UWG § 2 Rn. 109c, beck-online).

Konkret zum “Behinderungswettbewerb” führt Köhler eine Randnummer weiter folgerichtig aus, dass es zur Verwirklichung der Tatbestände gerade nicht erforderlich sei, dass der herabgesetzte oder angeschwärzte Unternehmer auf demselben relevanten Markt wie der Anschwärzende tätig ist. Behaupte bspw. ein Unternehmer, er sei der einzige Unternehmer am Ort, der seine Kunden nicht betrüge, erfüllt dies den Tatbestand des § 4 Nr. 1 und ggf. des § 4 Nr. 2, auch wenn die anderen Unternehmer völlig andere Produkte vertreiben. § 4 Nr. 1 sei auch dann anwendbar, wenn ein Autoreparaturunternehmen vor einem bestimmten Versicherungsunternehmen mit herabsetzenden oder unrichtigen Äußerungen „warnt“ (Köhler/Bornkamm/Köhler UWG § 2 Rn. 109d, beck-online).

Möchte der BGH den rein handlungsbezogenen Mitbewerberbegriff aufgeben?

Dieser rein handlungsbezogene Mitbewerberbegriff soll nun offenbar nicht mehr gelten. Denn der Senat fordert in der vorliegenden Entscheidung kurioserweise unter anderem unter Bezugnahme auf eine Kommentierung, die ebenfalls von Köhler stammt, nun doch ein zusätzliches Konkurrenzmoment im Angebots- oder Nachfragewettbewerb in Bezug auf die Parteien angebotenen Waren oder Dienstleistungen.

Andernfalls sei eine ungebührliche Ausweitung der wettbewerbsrechtlichen Anspruchsberechtigung von Unternehmen gegenüber Rechtsanwälten zu befürchten, weil das Unternehmen stets als Wettbewerber des Rechtsanwalts anzusehen wäre, wenn sich seine anwaltliche Tätigkeit – etwa durch die Beratung oder Prozessführung für einen Kunden – sich für das Unternehmen geschäftlich nachteilig auswirken könne. Auch würde der in § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG geregelten Anspruchsberechtigung im Bereich des Mitbewerberschutzes (§ 4 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 UWG) ihre eigenständige Bedeutung genommen, weil aus der beeinträchtigenden Wirkung der beanstandeten Handlung nicht nur die Unlauterkeit im Sinne der mitbewerberschützenden Tatbestände, sondern zugleich die Mitbewerbereigenschaft im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG folgte.

Wie sich diese Ausführungen mit den von Köhler verfassten Kommentarstellen, insbesondere mit dem oben genannten Beispiel, in dem ein Unternehmer wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt sein soll, ohne dass er in seiner herabsetzenden Äußerung einen unmittelbaren Konkurrenten, oder überhaupt ein konkretes Unternehmen namentlich benennt, zusammenbringen lassen sollen, erschließt sich nicht unmittelbar.

Es ist daher zu vermuten, dass der I. Senat insbesondere nach den von ihm noch einmal explizit angeführten Entscheidungen BGH, GRUR 2014, 1114 Rn. 35 – nickelfrei und BGH, GRUR 2015, 1129 Rn. 19 – Hotelbewertungsportal das Bedürfnis hatte, den von ihm bisher sehr weit ausgelegten Wettbewerberbegriff wieder ein wenig einzugrenzen bzw. Missverständnisse diesbezüglich zu beseitigen.

Argumente sind widersprüchlich und nicht stichhaltig

Ob dies gelungen ist, darf bezweifelt werden. Die Differenzen zwischen insbesondere den Überlegungen im Leitsatz und der aktuellen, einschlägigen Kommentierung von Köhler werden nämlich nicht aufgelöst.

Die Kernargumente der Entscheidung sind aber nicht nur widersprüchlich sondern auch für sich genommen wenig überzeugend. So ist bereits nicht einzusehen, weshalb ausgerechnet Rechtsanwälte vor wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen besonders geschützt werden müssten; sind diese doch erstens rechtlich vorgebildet bzw. sollten es sein und zweitens schon durch das Berufsrecht zu einer bestimmten Sachlichkeit bei der Berufsausübung angehalten.

Abgesehen davon wären die Beratung und Prozessführung im Rahmen eines Mandats wohl ohnehin keine geschäftlichen Handlungen und damit nicht wettebwerbsrechtlich justitiabel, da ohne funktionale Bezug auf die Beeinflussung einer geschäftlichen Entscheidung (vgl. BGH, Urteil v. 10.1.2013, Az. I ZR 190/11 – Standardisierte Mandatsbearbeitung). Jedenfalls würde sogar einer entsprechenden bürgerlich-rechtlichen Unterlassungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, da Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem behördlichen Verfahren dienen oder die im Vorfeld einer gerichtlichen Auseinandersetzung erfolgen, insoweit privilegiert sind (vgl. BGH, Urteil v. 19.7.2012, Az. I ZR 105/11 – Honorarkürzung). Davon nicht erfasst wäre natürlich die offene Mandatswerbung unter Nennung eines bestimmten Unternehmens. Hier gälte dann aber nur das, was für Werbetreibende anderer und unterschiedlicher Branchen auch gilt bzw. (wenn man davon ausgeht, dass sich der BGH vom handlungsgezogenen Mitbewerberbegriff verabschieden möchte, wonach es aussieht) früher einmal galt.

Das Argument schließlich, dass der in § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG geregelten Anspruchsberechtigung im Bereich des Mitbewerberschutzes ihre eigenständige Bedeutung genommen werde, weil aus der beeinträchtigenden Wirkung der beanstandeten Handlung nicht nur die Unlauterkeit im Sinne der mitbewerberschützenden Tatbestände, sondern zugleich die Mitbewerbereigenschaft im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG folgte, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Vor dem Hintergrund der Handlungsbezogenheit des Wettbewerbebegriffs und der Tatsache, dass es sich beim Lauterkeitsrecht um Verhaltensunrecht handelt, liegt es vielmehr in der Natur der Sache, dass das streitgegenständliche Verhalten im Einzelfall nicht nur den jeweiligen Tatbestand verwirklichen, sondern gleichzeitig auch die Mitbewerbereigenschaft begründen kann. Insbesondere im Behinderungswettbewerb überschneiden sich die Regelungsgehalte der oben gegenübergestellten Vorschriften naturgemäß fast immer vollständig – jedenfalls dann, wenn eine Werbung die Produkte zweier Unternehmer – wie im Fall „Statt Blumen ONKO-Kaffee“ –  in ein Austauschverhältnis setzt.

Diffamierende Anwaltswerbung bleibt rechtswidrig

Grund zur Freude haben Urheber unseriöser Anwaltswerbung ohnehin nicht. Die Entscheidung hat für die gewöhnlichen Diffamierungsfälle, wie sie im Spannungsfeld zwischen “Anlegerschutzkanzlei” und Finanzproduktanbieter in der anwaltlichen Praxis regelmäßig vorkommen, nämlich nur akademische Bedeutung. Denn, wie Köhler zurecht ausführt, sind, wenn man der weiten Auslegung des Mitbewerberbegriffs nicht folgt, die §§ 823 I, 824 BGB heranzuziehen (Köhler/Bornkamm/Köhler UWG § 2 Rn. 109d, beck-online).

Diese Tatbestände werden – bis auf wenige Ausnahmen – neben den §§ 4 Nr. 1 und Nr. 2 UWG regelmäßig ebenfalls erfüllt sein.

Rechtsanwalt Arno Lampmann von der Kanzlei LHR:

“Es entsteht der Eindruck, dass der BGH sich vom rein handlungsbezogenen Wettbewerbsbegriff, wie er bisher galt, verabschieden möchte. Dass dies ausgerechnet anlässlich einer Schadenersatzklage gegen eine Rechtsanwaltskanzlei geschieht, mag Angehörige dieser Berufsgruppe, denen diese Rechtssprechung letztendlich zugute kommt, nicht weiter stören, ein fader Beigeschmack bleibt jedoch.“

(Offenlegung: Unsere Kanzlei hat die Klägerin rechtlich beraten und obergerichtlich vertreten.)

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