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Kein Unterlassungsanspruch, wenn Verletzer nicht mehr im Besitz des Geschäftsgeheimnisses ist

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Unterlassungsanspruch Geschäftsgeheimnis
Dmitriy – stock.adobe.com

Eine auf Unterlassung der Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses gerichtete einstweilige Verfügung geht ins Leere, wenn der Beklagte an Eides Statt versichert, nicht mehr im Besitz des Geheimnisses zu sein – die E-Mail also gelöscht zu haben. 

Geschäftsgeheimnisse im E-Mail-Account

Der Beklagte war Mitarbeiter der Klägerin und leitete sich Geschäftsgeheimnisse an seinen privaten E-Mail-Account weiter. Dabei handelte es sich um Preiskalkulationen der Klägerin. Darin sah die Arbeitgeberin eine schwerwiegende Rechtsverletzung und machte einen Unterlassungsanspruch nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) geltend. Demnach sollte der beklagte Mitarbeiter es unterlassen, die von ihm an seine private Emailadresse versandte Preiskalkulation in irgendeiner Form zu verwenden oder zu nutzen.

Das Arbeitsgericht Stuttgart (ArbG Stuttgart, Urteil v. 11.12.2020, Az. 2 Ga 60/20) untersagte dem Beklagten in erster Instanz die Preiskalkulation zu Geschäftszwecken zu kopieren und/oder kopieren zu lassen, zu verwerten und/oder verwerten zu lassen, zu nutzen und/oder nutzen zu lassen. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wurde ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft angedroht. Zudem wurden auf Antrag der Klägerin einzelne vorgelegte Anlagen gemäß § 16 Abs. 1 GeschGehG als geheimhaltungsbedürftig eingestuft. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Gegen die in dem Urteil enthaltene Unterlassungsverpflichtung nebst Androhung der Ordnungsmittel legte der Beklagte Berufung ein, da er das Urteil für rechtsfehlerhaft hält. Seiner Ansicht nach handele es sich bei der Preiskalkulation schon nicht um ein Geschäftsgeheimnis, da diese keinen wirtschaftlichen Wert habe und nicht durch angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen geschützt gewesen sei. Außerdem bestehe eine Verletzungs- und Wiederholungsgefahr gerade nicht, weil die E-Mail bereits aus seinem Account unwiderruflich gelöscht sei und keine Weiterleitung an Dritte stattgefunden habe.

Kein Anspruch auf Unterlassung wegen eidesstattlicher Versicherung

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG Stuttgart, Urteil v. 18.08.2021, Az. 4 SaGa 1/21) entschied zugunsten des Arbeitnehmers und erteilte der erstinstanzlichen Einschätzung eine klare Absage. Das Gericht verneinte sowohl den Verfügungsanspruch als auch den Verfügungsgrund. Gemäß § 6 GeschGehG könne der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses den Rechtsverletzer zwar auf Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch nehmen, im streitgegenständlichen Fall fehle es jedoch gerade an einer Begehungs- und Wiederholungsgefahr.

Zunächst prüfte das Landesarbeitsgericht, ob die Preiskalkulation überhaupt als Geschäftsgeheimnis im Sinne des Geschäftsgeheimnisgesetzes einzuordnen sei. Die Richter kamen zu dem Ergebnis, dass es sich für die Klägerin um ein Geschäftsgeheimnis gehandelt habe, da die Preiskalkulation von wirtschaftlichem Wert im Sinne von § 2 Nr. 1 a) GeschGehG ist. Denn eine Information – wie die Auflistung exakter Berechnungsgrundlagen, die auch immer wieder für aktuelle Angebotserstellung genutzt werden – weise auch dann einen wirtschaftlichen Wert auf, wenn dem Inhaber des Geheimnisses im Falle einer Rechtsverletzung wirtschaftliche Nachteile drohen. Das sei insbesondere anzunehmen, wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung der Information ohne Zustimmung des Inhabers dessen wissenschaftliches oder technisches Potential, geschäftliche oder finanzielle Interessen, strategische Positionen oder Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflussen.

Weiter halten die Richter fest, dass die Preiskalkulation außerdem durch angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen geschützt gewesen sei. Hier bedürfe es einer einzelfallbezogenen Prüfung hinsichtlich der ergriffenen Maßnahmen. So sei nicht ein optimaler Schutz erforderlich. Vielmehr müsse im Rahmen der Bewertung der Angemessenheit der Schutzmaßnahmen viele Aspekte berücksichtigt werden. So zum Beispiel: Der Wert des Geschäftsgeheimnisses und dessen Entwicklungskosten, die Natur der Information, die Bedeutung für das Unternehmen, Größe des Unternehmens, die üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen in dem Unternehmen, die Art der Kennzeichnung der Informationen, vereinbarte vertragliche Regelungen mit Arbeitnehmern und Geschäftspartnern. Da die Klägerin eine IT-Richtlinie verabschiedet hatte, die vorsah, dass unternehmensinterne Datenbestände weder mittels E-Mail noch per Fax außer Haus gebracht werden dürften, ein „need to know“ Prinzip angewandt und ein Unternehmenscompliancesystem geschaffen hatte, bei dem der Verfügungsbeklagte selbst Compliance Officer gewesen war, seien ausreichend Geheimhaltungsmaßnahmen getroffen worden – so die Richter.

Inhalte bereits gelöscht

Letztlich verneinte das Gericht jedoch einen Anspruch, weil der verklagte Arbeitnehmer angab, die Inhalte bereits gelöscht zu haben. Die Richter argumentierten, dass hierdurch bereits die Wiederholungsgefahr weggefallen sei.

Diesbezüglich führen sie aus: Durch einen bereits begangenen Wettbewerbsverstoß werde in der Regel die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr begründet. Diese könne regelmäßig nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden. So entfalle sie grundsätzlich nicht schon mit der Einstellung oder Änderung des beanstandeten Verhaltens. So weit, so gut! Allerdings macht das Gericht hier auch deutlich, dass dieser Sachverhalt hier gerade anders zu bewerten sei, da es sich um einen untypischen Geschehensablauf handele.

Die tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr gelte demnach eben nicht, wenn der Verletzer jede Wahrscheinlichkeit für die Wiederholung einer ähnlichen Handlung beseitigt habe. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Tatsache des unbefugten Beschaffens eines Betriebsgeheimnisses nichts Regelhaftes über die Verwendung der Unterlagen aussage. Allein die unbefugte Weiterleitung von Dokumenten an den eigenen privaten E-Mail-Account könne noch keine Wiederholungsgefahr begründen. Mit dem Argument: Selbst aus der Verschaffung von Betriebsgeheimnissen durch den Arbeitnehmer könne nicht per se auf eine beabsichtigte Nutzung oder Offenlegung dieser Daten durch den Arbeitnehmer geschlossen werden.

Weiter habe der Beklagte an Eides statt versichert, nicht mehr im Besitz der Unterlagen zu sein. Er habe insoweit glaubhaft gemacht, die Dokumente endgültig und unwiederbringlich gelöscht, ohne sie jemals an Dritte verfügbar gemacht zu haben. Daher sei dem Beklagten die zu verbietende Handlung gar nicht mehr möglich.

Schutz von Geschäftsgeheimnissen

Unternehmen müssen ihre Geschäftsgeheimnisse schützen und zum Schutz angemessene Maßnahmen im Sinne des Geschäftsgeheimnisgesetzes ergreifen. Wie diese auszusehen haben, bestimmt sich immer nach dem Einzelfall. Verstößt ein Arbeitnehmer gegen diese Maßnahmen, steht dem Arbeitgeber grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch gegen den Verletzer zu. Allerdings muss dieser dann noch im Besitz des Geheimnisses sein, ansonsten fehlt es bereits an einem Verfügungsgrund, mangels Begehungs- und Wiederholungsgefahr.

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