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OLG Köln: Bereits eine (Gegen-)Abmahnung kann rechtsmissbräuchlich sein

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[:de]Gefahrstelle - GefahrzeichenDie Kollegen von Internetrecht-Rostock weisen heute auf eine interessante Entscheidung des Oberlandesgericht Köln (OLG Köln, Urteil v 21.8.2015, Az. 6 U 41/15) hin.

Rechtsmissbrauch ist die Ausnahme

Der Senat hatte sich dort mit der Frage zu beschäftigen, wann ein Vorgehen gem. § 8 Abs. 4 UWG sachfremden Motiven dient und daher rechtsmissbräuchlich ist. Das OLG Köln – in der Annahme eines Rechtsmissbrauchs für gewöhnlich sehr zurückhaltend – fand in diesem Fall deutliche Worte für den vermeintlichen Gläubiger und sein Vorgehen.

Gibraltar gegen Nordrhein-Westfalen

Es stritten sich Anbieter von Sportwetten. Bei der Verfügungsklägerin handelte es sich um eine Anbieterin auf Gibraltar und bei der Verfügungsbeklagten um eine staatliche Lotteriegesellschaft des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Die Verfügungsbeklagte hatte die Verfügungsklägerin bereits im Jahr 2008 wegen eines illegalen Angebots auf Unterlassung in Anspruch genommen. Der Fall war mittlerweile in der Revision beim BGH anhängig.

Die Ankündigung von „kampagnenartigen Gegenschlägen“ in „Wellen“

Kurz vor dem Verhandlungstermin versandte Rechtsanwalt Dr. S. aus der Sozietät der Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsklägerin an den Deutschen Sportwettenverband e. V. ein Schreiben, in dem er auf das vorgenannte Verfahren Bezug nahm. Dort wurden wettbewerbsrechtliche „Gegenschläge“ angekündigt, die in mehreren „Wellen“ erfolgen sollten und die für die Antragsgegnerin von „Aufwand und Nutzen“ her „völlig außer Verhältnis stehen“, so dass ein Einlenken nicht unwahrscheinlich“ sei und zwar „solange, bis eine Verständigung mit Westlotto erreicht“ sei.

nebst 50-seitiger Abmahnung

Bereits unter dem 3. 2. 2015 hatte die Verfügungsklägerin der Verfügungsbeklagten eine Abmahnung übersandt, in der auf gut 50 Seiten die Wettbewerbsverstöße, die auch den Gegenstand des ursprünglichen Antrags im vorliegenden Verfahren bilden, gerügt wurden. Zur Abgabe einer Unterlassungserklärung hatte die sie eine Frist von einem Tag gesetzt, eine Bitte um Fristverlängerung lehnte sie ab; bereits am darauffolgenden Tag ging der Antrag im vorliegenden Verfahren  bei Gericht ein.

ist Rechtsmissbrauch

Das OLG Köln nahm nun mit der ersten Instanz, dem LG Bonn an, dass ein solches Verhalten nicht mehr vom Sinn des Wettbewerbsrechts gedeckt, sondern vielmehr von sachfremden Motiven getragen und daher rechtsmissbräuchlich sei:

Grundsätzlich begründet der Umstand, dass das wettbewerbsrechtliche Vorgehen sich als Reaktion auf ein entsprechendes Vorgehen der Gegenseite darstellt („Retourkutsche“), nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs (Senat, MD 2010, 543ff. = juris Tz. 6; OLG Frankfurt, MMR 2009, 64 f.) Anders kann es jedoch aussehen, wenn durch das Vorgehen in erster Linie ein Druckmittel im Hinblick auf Vergleichsverhandlungen geschaffen werden soll (OLG Hamm, Urt. v. 8. 11. 2012 – 4 U 86/12 – juris Tz. 27 f.; Fritzsche, MünchKomm-UWG, 2. Aufl. 2014, § 8 Rn. 471). Ein solcher Fall ist hier gegeben: In dem Schreiben vom 11. 2. 2015 wird ausdrücklich ausgeführt, die geplanten „Wellen“ (vgl. Nr. 3 des Schreibens) von Angriffen würden für die Antragsgegnerin von „Aufwand und Nutzen“ her „völlig außer Verhältnis stehen, so dass ein Einlenken nicht unwahrscheinlich“ sei. Hier kommt eindeutig die Motivation zum Ausdruck, durch eine Vielzahl wettbewerbliche Verfahren personelle und finanzielle Ressourcen der Antragsgegnerin zu belasten („Aufwand“), um so wirtschaftlichen Druck auf die Antragsgegnerin auszuüben, um diese zum Verzicht auf wettbewerbsrechtliche Angriffe auf die Antragstellerin zu bewegen.

Der Senat verkennt dabei nicht, dass allein eine Vielzahl von eingeleiteten Verfahren kein Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise darstellt. Sind auf einem bestimmten Markt Verstöße gegen das Lauterkeitsrecht verbreitet, ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn ein Mitbewerber eine entsprechende Vielzahl von Verfahren einleitet (BGH, GRUR 2005, 433, 434 – Telekanzlei; OLG Frankfurt GRUR-RR 2007, 56; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 8 Rn. 4.12). Aus dem Schreiben vom 11. 2. 2015 folgt jedoch, dass es sich gerade nicht darum handelte, die „üblichen“ Auseinandersetzungen zwischen den Parteien fortzusetzen, wie es der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat darstellte. Vielmehr sollten die Auseinandersetzungen vom bisherigen Niveau („chirurgisch“) auf ein neues Niveau gehoben werden („Wellen“, „Kampagne“), das für die Antragsgegnerin nicht mehr mit vertretbarem Aufwand bewältigt werden konnte. Dass die Verfahren nicht das primäre Ziel hatten, rechtswidrige Verhaltensweisen abzustellen, sondern lediglich als Druckmittel dienen sollten, zeigt die vorhergehende Formulierung: „Das Ganze soll solange betrieben werden, bis [die Antragsgegnerin] einlenkt“, so dass, anders formuliert, nach einem Nachgeben der Antragsgegnerin Wettbewerbsverstöße nicht mehr verfolgt würden. Dass das vorliegende Verfahren Bestandteil der in dem Schreiben angesprochenen „Kampagne“ ist, liegt auf der Hand und wird von der Antragstellerin auch nicht in Abrede gestellt.

Fazit:

Ob eine Abmahnung (im Ausnahmefall) rechtsmissbräuchlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Einerseits ist ein missbräuchliches Vorgehen nicht schon deshalb anzunehmen, weil der Gläubiger zahlreich vorgeht. Zahlreiche Verstöße müssen auch zahlreich verfolgt werden dürfen. Andererseits reicht manchmal bereits das Vorgehen in einer einzigen Abmahnung aus, um einen Missbrauch zu begründen. (la)

(Bild: © reeel – Fotolia.com)[:]

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