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OLG Hamburg: Recht auf Vergessenwerden gilt auch für Seitenbetreiber – nicht nur für Google

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Der Kollege Michael Seidlitz hat vor einigen Tagen auf eine wichtige Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts aus dem Juli 2015 hingewiesen.

Darin hat der Senat den Verleger einer Tageszeitung dazu verpflichtet, es zu unterlassen, bestimmte den Kläger betreffende Artikel so bereitzuhalten, dass dass diese durch Eingabe des Namens des Klägers in Internet-Suchmaschinen von diesen aufgefunden und in den Ergebnislisten ausgewiesen werden. (OLG Hamburg, Urteil v. 7.7.2015, Az. 7 U 29/12, das Gericht hat die Revision zum BGH zugelassen).

Berichte über ein eingestelltes Ermittlungsverfahren waren auf der Seite der Beklagten und über Google abrufbar

Dem Kläger war aufgrund einer Strafanzeige des Politikers C. vorgeworfen worden, an diesen anonyme Telefaxschreiben beleidigenden und verleumderischen Inhalts gesendet zu haben. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft, um das es in der Berichterstattung geht, wurde im Einvernehmen mit dem Kläger gegen Zahlung von € 40.000,00 nach § 153a StPO am 23. März 2011 endgültig eingestellt.

Nachdem die Beklagte bereits einige Änderungen an ihrer Berichterstattung über die Ereignisse vorgenommen hatte, beanstandete der Kläger nunmehr, dass die Beklagte überhaupt noch eine jederzeit über das Internet abrufbare Berichterstattung über die betreffenden Vorgänge zugänglich hielt.

Die Beiträge waren auch über Suchmaschinen zu finden, indem der Name des Klägers in das Suchfenster eingegeben wurde. Auch nach 2012 wiesen bei Eingabe des Namens des Klägers in die Suchmaschine Google die ersten drei Suchergebnisse auf eine Seite aus dem Internetauftritt der Beklagten hin, von dem aus die Beiträge aufgerufen werden konnten.

Das Landgericht wies die Klage noch vollständig ab

Nachdem der Beklagte in der ersten Instanz vor dem LG Hamburg noch die Beiträge als solche jedenfalls mit Nennung seines Namens verbieten lassen wollte, und das Gericht die Klage abgewiesen hatte, modifizierte er seine Anträge innerhalb der mündlichen Berufungsverhandlung und fügte dem Antrag die entsprechenden Indexierung der Beiträge bei Google hinzu.

Das OLG gab einem modifizierten Antrag statt

Diesem Antrag gab das Hanseatische Oberlandesgericht statt. Dieser stelle zwar eine Klageeänderung dar, er sei aber sachdienlich.

Die Beiträge als solche auf der Internetseite der Beklagten seien zwar nach wie vor – trotz Zeitablauf und Einstellung des Ermittlungsverfahren –  rechtmäßig. Der Umstand, dass über das Internet die ein gegen den Kläger gerichtetes Ermittlungsverfahren thematisierenden Presseveröffentlichungen für jeden Internetnutzer ohne einen Aufwand, der über die bloße Eingabe des Namens des Klägers in eine Internet-Suchmaschine hinausginge, dauerhaft auffindbar und abrufbar sind, beeinträchtige das Persönlichkeitsrecht des Klägers in nicht unwesentlichem Maße.

Dieser Konflikt zwischen den Interessen von Presse und Betroffenem lasse sich dadurch in angemessener Weise zum Ausgleich bringen, dass dem Internetanbieter, der seine Berichterstattung dauerhaft über ein Archiv zu öffentlichem Zugriff abrufbar hält, aufgegeben wird, dass die älteren Beiträge nicht mehr durch bloße Eingabe des Namens des Betroffenen in eine Suchmaschine auffindbar sind. Das würde einerseits die Verletzung der Interessen des Betroffenen durch die stete Gefahr einer ständigen Reaktualisierung vergangener Vorgänge erheblich mildern und andererseits die berechtigten Interessen von Presse und historisch interessierten Kreisen nur geringfügig beeinträchtigen. Die Presse ist danach nicht dazu verpflichtet, nachträglich Änderungen an den einmal rechtmäßig veröffentlichten Beiträgen vorzunehmen. Soweit berechtigte Interessen der Allgemeinheit oder einzelner Angehöriger der Allgemeinheit daran bestehen, über ältere Presseartikel vergangene Geschehen zu recherchieren, erfordert dieses Interesse es nicht, dass die betreffenden Beiträge, sofern sie zum steten Abruf über das Internet bereitstehen, ohne jeden Aufwand dadurch zugänglich sind, dass sie durch bloße Eingabe des Namens der von der Berichterstattung betroffenen Person aufgerufen werden können; denn die interessierten Kreise, die sich mit einem vergangenen Geschehen beschäftigen wollen, kommen auch in der Weise an die gesuchten Fundstelle.

Die Beklagte sei als Störer verpflichtet, ihre Seiten so zu gestalten, dass die Indexierung von Google bei Eingabe des Namens des Klägers unterbleibe. Dass die Begründung eines Zustandes nicht rechtswidrig gewesen ist, stehe seiner Beurteilung als Störung bei seiner Fortdauer nach den allgemeinen Grundsätzen nicht entgegen. Ein Verschulden des Störers setze der Beseitigungsanspruch nicht voraus.

Das Hanseatische Oberlandesgericht stellt somit einen Ausgleich zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht dadurch her, dass er die Folgen eines – an sich rechtmäßigen Artikels – insofern abmildert, dass die durch die Auffinbarkeit durch den Namen des Betroffenen bei Google entstehende „Prangerwirkung“ beseitigt und interessierten Lesern zumutet, den Bericht über die Vorgänge auf anderem Weg zu finden.

Das Hanseatische Oberlandesgericht folgt den Vorgaben des EuGH zum „Recht auf Vergessenwerden“konsequent

Die Entscheidung des OLG Hamburg ist vor dem Hintergrund der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs folgerichtig.

Anders, als es landläufig dargestellt wird, hat der EuGH in seiner  – datenschutzrechtlichen – Entscheidung zum „Recht auf Vergessenwerden“ die längst überfällige und natürlich auch für andere Rechtsgebiete gültige Feststellung getroffen, dass die Leistung Googles sich nicht darin erschöpft, lediglich auf fremde Inhalte hinzuweisen und damit irrelevant wäre, sondern dass die Zusammenstellung entsprechender Suchergebnisse als eine zusätzlich zu den Äußerungen der Herausgeber der jeweiligen Websites vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten anzusehen ist, weil diese bei der Durchführung einer Suche anhand des Namens einer natürlichen Person mit der Ergebnisliste einen strukturierten Überblick über die ihr zum Internet verfügbaren Informationen ermöglicht (EuGH, Urteil v. 13.05.2014 – C-131/12). Wir berichteten.

Eine eigenständige Handlung kann demnach auch selbstständiger Anknüpfungspunkt einer rechtlichen Beurteilung sein sowie eigenständige Ursachen bzw. Urheber haben und somit auch Gegenstand eines entsprechenden gerichtlichen Verbots sein.

Handlungshinweise für die Praxis

Wie der Webseitenbetreiber es bewerkstelligt, die Auffindbarkeit eines konkreten Artikels bei Google entsprechend zu beeinflussen, lässt das zwar Gericht offen. In Betracht käme die Entfernung der personenbezogenen Daten oder der Zusatz bestimmter Metatags.

Der Senat gibt in seinem Urteil allerdings eine allgemeine Anleitung, wie sich Forumsbetreiber in der Praxis verhalten müssen, um eine Haftung zu vermeiden und stützt sich dabei auf die höchstrichterlichen Vorgaben in ähnlichen Fällen (BGH, Urteil v. 25.10.2011, Az. VI ZR 93/10 – Blogspot), wir berichteten hier.

Eine Verpflichtung zur Löschung bzw. Modifikation entstehe erst, wenn der Betreiber des Internetforums durch einen qualifizierten Hinweis des Betroffenen darauf aufmerksam gemacht wird, dass die fortdauernde Auffindbarkeit des Beitrags durch Namenssuche nunmehr sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt und Vorkehrungen gegen diese Verletzung zu treffen sind. Handelt es sich bei dem Archiv um ein solches, in das Beiträge dritter Anbieter eingestellt sind, habe der Betreiber des Archivs ggf. bei diesen anzufragen. Erst dann, wenn sich danach ergebe, dass die Auffindbarkeit des Beitrags einzuschränken ist, setzt die Verantwortlichkeit des Archivbetreibers ein. Diese Voraussetzungen liegen hier indessen vor, weil die Beklagte nach der Antragsänderung durch den Kläger Gelegenheit erhalten hat, zu dessen geändertem Begehren Stellung zu nehmen, und die beanstandeten Beiträge von ihr selbst stammen. 

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