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OLG Köln: „Anrechenbarer“ Wertgutschein einer Arzt-Praxis auf „Groupon“ nicht wettbewerbswidrig

Photo by Marcelo Leal on Unsplash

In einem Berufungsverfahren hat sich das OLG Köln (Az. 6 U 285/19) mit der Wettbewerbsmäßigkeit eines anrechenbaren Wertgutscheins befasst, den eine Arztpraxis für ästhetische Chirurgie auf der Gutschein-Plattform „Groupon“ anbietet und bewirbt. 

Nach Auffassung des angerufenen Senats führt eine solche Werbung Verbraucher nicht in die Irre, wenn der Gutscheinwert lediglich auf die Gesamtleistung „anrechenbar“ ist und darauf auch audrücklich hingewiesen wird. Der Verbraucher erwartet nach Auffassung des angerufenen Senats dann nämlich nichts anderes.

Insbesondere geht er im streitgegenständlichen Fall nicht davon aus, dass die beworbene Leistung – wie die Wettbewerbszentrale meint – zu einem Festpreis angeboten werde.

Die deutsche Sprache wird allenthalben für ihre Präzision geschätzt. Tatsächlich bietet etwa die Methode, durch Vorsilben die Bedeutung eines Wortes immer wieder etwas zu modifizieren und für neue Kontexte verfügbar zu machen, schier unbegrenzte Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks. Vorrechnen, zurechnen, abrechnen, durchrechnen, anrechnen – immer ist ein Prozess gemeint, dem je eine gewisse Routine und Klarheit inhärent ist („rechnen“), aber stets führt dieser Prozess zu einem leicht veränderten Ergebnis.

Wertgutschein und Gutscheinwert

Nicht nur die Philosophie, sondern auch das Recht macht sich diese semantische Genauigkeit zunutze. Unter anderem um die exakte Bedeutung ging es in einem wettbewerbsrechtlichen Rechtsstreit, der erstinstanzlich vor dem Landgericht Köln geführt wurde. Zwei Schönheitschirurgen bieten auf der Gutschein-Plattform „Groupon“ einen Gutschein für 499 Euro an. Sein Wert ist auf eine bestimmte Leistung der Mediziner anrechenbar. Das war in der Anzeigenüberschrift eindeutig beschrieben: „Wertgutschein für 499 EUR anrechenbar auf Faltenreduktion an einer Zone nach Wahl für 1 Person“.

Die Wettbewerbszentrale machte daraufhin wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen die Schönheitschirurgen geltend. Sie war der Meinung, der Verbraucher erwarte, dass die Faltenreduktion bei Einreichen des Gutscheins ohne weitere Kosten vorgenommen werde. Sonst habe der Gutschein keinen Vorteil, wenn dessen Wert lediglich, wie bares Geld, vom Gesamtpreis abgezogen wird. Warum, so die Frage der Wettbewerbszentrale, solle man dann überhaupt einen Gutschein erwerben, wenn dieser ohnehin wie Geld verrechnet wird – und nur, im Gegensatz zu Geld, von einer einzigen Stelle als Zahlungsmittel akzeptiert ist. Vor diesem Hintergrund erwarte der potenzielle Käufer, dass die angebotene Leistung zu einem Festpreis angeboten würde.

Das drang zunächst durch. Für das LG Köln stellte der anrechenbare Gutschein eine irreführende geschäftliche Handlung im Sinne von §§ 3, 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 UWG dar (Urteil v. 30.10.2019, Az. 84 O 128/19). Die aufgerufene Kammer war der Auffassung, das für die Beurteilung einer möglichen Irreführung maßgebliche „situationsadäquat aufmerksame, durchschnittlich informierte und verständige Mitglied des angesprochenen Verkehrskreises“ interpretiere den Begriff „anrechenbar“ als „eintauschbar“. Es denke also, es erhalte die Leistung der Schönheitschirurgen in jedem Fall ohne Zuzahlung, also allein durch Einreichen des Wertgutscheins – und nicht etwa unter Abzug des Gutscheinwerts vom Gesamtpreis der Leistung.

Eigentlich ganz klar: anrechenbar

Gegen die Entscheidung des Landgerichts legten die Schönheitschirurgen Berufung vor dem Oberlandesgericht Köln ein.

Nach ihrer Auffassung liegt eine irrführende und damit unlautere Handlung nicht vor. Eine geschäftliche Handlung ist gem. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UWG nämlich nur dann irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über den Anlass des Verkaufs wie das Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils. Der durch das gegenständliche Angebot angesprochene situationsadäquat aufmerksame Verbraucher versteht entgegen der Auffassung des Landgerichts das Angebot nicht falsch und wird dementsprechend auch nicht wettbewerbswidrig in die Irre geführt.

Im Gegenteil geht aus dem Angebot durch das in der Überschrift enthaltene Wort „anrechenbar“ eindeutig hervor, dass die für den Wertgutschein zu entrichtende Vergütung lediglich einen Anteil der nach erfolgter Behandlung zu entrichtenden Vergütung abdeckt und der potenzielle Käufer unter Umständen eine „Zuzahlung“ zu leisten hat. Durch das streitgegenständliche Angebot wird jedenfalls nicht der unzutreffende Eindruck erweckt, die Beklagten böten die gegenständliche Leistung zu einem Festpreis in Höhe des Gutscheinwerts an.

Wenn etwas nämlich ausdrücklich „angerechnet“ wird, bedeutet das immer, dass ein Rest von einer definierten Gesamtmenge, mit der zu rechnen ist, übrig bleibt, ein Rest, der mithin anderweitig zu entrichten ist. Einen anrechenbaren Gutschein zu erwerben, heißt eben nicht, das damit alles abgegolten wäre. Auch das Wesen eines Gutscheins sollte allgemein bekannt sein. Ebenso, dass es trotz der ökonomischen Nachteile eines Gutscheins gegenüber Bargeld (in Gestalt limitierter Konvertibilität) Motive geben kann,  einen Gutschein zu erwerben, etwa, um ihn diskret und ästhetisch ansprechend zu verschenken.

Das OLG Köln schloss sich den Ausführungen der Beklagten und Berufungskläger an. Der angerufene Senat wies in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass er beabsichtige, der Berufung stattzugeben. Daraufhin verzichtete die Wettbewerbszentrale auf ihre Ansprüche und es erging am 29.5.2020 ein Verzichtsurteil (Az. 6 U 285/19) zugunsten der Schönheitschirurgen.

(Offenlegung: Unsere Kanzlei hat die Kläger vor dem LG Köln und dem OLG Köln vertreten.)

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