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Kirchenfensterstreit im Schwabenländle: Urheberrechtserbe verklagt Evangelische Kirchengemeinde

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Die Kilianskirche in Heilbronn teilt das Schicksal vieler mittelalterlicher Kirchen in Deutschland: Im 11. Jahrhundert frühgotisch begonnen, wurde über die Jahrhunderte hinweg fortwährend an ihr herumgebaut. Nach einer Bombennacht im Zweiten Weltkrieg lagen 900 Jahre Architekturgeschichte urplötzlich in Trümmern. Der Wiederaufbau wurde nach Kriegsende umgehend in die Wege geleitet, doch bis zur Wiedereinweihung der evangelischen Kirche gingen fast 20 Jahre ins Land.

Um den Innenraum der Heilbronner Kilianskirche ist unlängst ein heftiger Streit entbrannt, weil die Kirchengemeinde den Künstlern Bernhard Huber und Xenia Hausner, den Auftrag erteilt hat, elf bislang unbemalte Kirchenfenster neu zu gestalten. Unter den Kirchgängern der Stadt stoßen vor allem die Entwürfe von Frau Hausner wegen ihrer ungewöhnlichen Bildsprache auf wenig Gegenliebe. Doch damit nicht genug: Der Fensterstreit von Heilbronn wird nun auch um eine juristische Facette bereichert.

Wie die Zeitung „Heilbronner Stimme“ berichtet, macht ein Kölner Kunsthistoriker vor dem Landgericht Stuttgart Unterlassungsansprüche gegen die Kirchengemeinde in Bezug auf die Umsetzung der Bildzyklen von Frau Hausner und Herrn Huber geltend. Hierzu fühlt er sich berufen, weil er der Enkel des Malers Charles Crodel ist, welcher von 1964 bis 1967 bereits einen Teil der im Krieg zerstören Glasfenster neu bemalte. Sein Argument: Die neuen Fenster würden das von seinem Großvater konzipierte Fensterwerk – und damit auch das Gesamtkunstwerk Kilianskirche – zerstören. Die Vorschrift, auf die er seine Ansprüche stützt, ist § 14 UrhG, wonach der Urheber (bzw. nach dessen Tod sein Erbe) das Recht hat, Entstellungen oder andere Beeinträchtigungen seines Werkes zu verbieten, die geeignet sind, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen an dem Werk zu gefährden.

Ob der Kläger mit seinen Ansprüchen durchdringt, ist zwar mehr als fraglich, aber theoretisch dennoch denkbar. Denn es ist anerkannt, dass eine Entstellung bzw. Beeinträchtigung eines Werks keinen Eingriff in dessen Substanz voraussetzt, sondern auch dann vorliegen kann, wenn die Interaktion zwischen dem Werk und seinem Umfeld nachhaltig gestört wird. Herr Dr. Steckner trägt diesbezüglich vor, die leeren Kirchenfenster, die nun bemalt werden sollen, hätten in der Gesamtkomposition seines Großvaters einen wichtigen Platz eingenommen, weil  durch ihre Farb- und Lichtwirkung das gotische Gotteshaus je nach Sonnenstand in eine „klösterliche Aura“ getaucht werde. In ähnlicher Weise ist auf Wikipedia zu lesen:

„Das Fensterwerk von Charles Crodel bestimmt die Lichtführung des gesamten Kirchenraums und bewirkt erst die räumliche Einheit von Langhaus und Hallenchor. Bereits der von der Turmhalle her Eintretende nimmt den Gesamtraum als Hallenkirche wahr und sieht, wie die Maßwerkfenster im Norden auf den Abendmahlchor und im Süden auf den Taufchor hinführen. Durch diese zweibahnige helle Lichtführung werden die großen Fensterabstände überbrückt und der Charakter des Langhauses als Predigtkirche betont“.

Ob die Einsetzung der neuen Glasfenster tatsächlich zu einer Beeinträchtigung des bestehenden Fensterbestandes führen würde, wird daher wohl nur durch ein umfangreiches Sachverständigengutachten geklärt werden können. Sollte sich im Rahmen dieses Gutachtens herausstellen, dass die seit 1967 bestehende Lichtwirkung lediglich ein Zufallsprodukt ist, weil die leeren Kirchenfenster nicht auf einen Geniestreich von Herrn Crodel, sondern allein auf damals leere Kassen der Kirchengemeinde zurückzuführen sind, dürfte die Argumentation des Klägers jedenfalls in ihren Grundfesten erschüttert sein.

Selbst wenn das Gericht zu dem Schluss kommen sollte, dass die Fenster von Frau Hausner und Herrn Huber zu einer Beeinträchtigung der Werke von Herrn Crodel führen, wäre damit im Übrigen noch nicht gesagt, dass deren Einbau auch verboten werden kann: Denn § 14 UrhG verlangt eine Interessenabwägung zwischen dem Integritätsinteresse des Urhebers und den Interessen des Sacheigentümers. Auch hier ließen sich sicherlich gewichtige Gründe finden, warum ein einzelner Künstler (bzw. dessen Erbe) nicht die Unveränderbarkeit des Gesamteindrucks eines Kircheninnenraums für sich in Anspruch nehmen kann, wenn dieser ohnehin über Jahrhunderte hinweg stets neu erfunden wurde.

Den Heilbronner Kirchgängern mag der Rechtsstreit gelegen kommen, ist doch damit der Einbau der ungeliebten Bildmotive bis auf weiteres vertagt. Ob die Heilbronner und der Kläger der Kirche mit ihrem Widerstand einen Gefallen tun, mag jeder selbst beurteilen. Aber mal unter uns: wo die Kirche Schritte in die Moderne wagt, sollte man ihr nicht mit fadenscheinigen Argumenten auch noch Steine in den Weg legen…  (ab)

(Bild: © steschum – Fotolia.com)

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