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BVerfG zur „prozessualen Waffengleichheit“: Ohne Anhörung darf keine einstweilige Verfügung ergehen

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Wichtige Entscheidung aus Karlsruhe: Ein Gericht muss die Gegenpartei vor Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen eine Äußerung unter Umständen auch dann anhören, wenn aus Gründen der Eilbedürftigkeit keine mündliche Verhandlung durchgeführt wird.

Dies gebietet nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss v. 03.06.2020, Az. 1 BvR 1246/20) das grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG).

Eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin (LG Berlin, Beschluss v. 30.04.2020, Az. 27 O 169/20), der ein Streit zwischen zwei Polizeigewerkschaften zu Grunde lag, setzten die Verfassungsrichter durch einstweilige Anordnung außer Kraft.

Hintergrund

Im zugrundeliegenden Verfahren stritten zwei Polizeigewerkschaften um eine Äußerung, die im Rahmen der Vorbereitung der Personalratswahlen bei der Bundespolizei getroffen wurde. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und die DPolG Bundespolizeigewerkschaft (DPolG) wollten die Wahl aufgrund der Corona-Pandemie verschieben. Dies lehnte der Hauptwahlvorstand allerdings ab.

Die DPolG gab infolgedessen auf ihrer Homepage unter folgender Überschrift ein Statement ab: „Ohne Rücksicht auf Verluste – DPolG und BdK fassungslos! GdP-geführter Hauptwahlvorstand hält am Wahltermin fest und vergibt große Chance!“

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) mahnte daraufhin die DPolG mit anwaltlichem Schreiben ab. Zur Begründung führte sie an, dass es sich um falsche Tatsachenbehauptungen handle, da eine Verschiebung der Wahl rechtlich nicht zulässig gewesen sei und auch der Wahlvorstand nicht allein von der GdP geführt werde.

Die DPolG wies das Unterlassungsbegehren anwaltlich vertreten zurück und hinterlegte eine Schutzschrift beim allgemeinen elektronischen Register. Vorsorglich wies sie auf die bereits bestehende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hin, wonach sie in einem einstweiligen Verfügungsverfahren aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit angehört werden müsse (vgl. BVerfG, Beschluss v. 30.09.2018, Az. 1 BvR 1783/17).

Um die beanstandeten Äußerungen gerichtlich zu verbieten, stellte die GdP beim Landgericht Berlin Mitte April 2020 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Dieser Antrag ging inhaltlich über die Abmahnung hinaus. Zudem wurde er durch einen Hilfsantrag ergänzt.

Ohne vorherige Anhörung der DPolG erließ das Landgericht Ende April 2020 eine einstweilige Verfügung. Diese wies den ursprünglich gestellten Antrag der GdP zurück, gab aber ihrem Hilfsantrag in Teilen statt. Die DPolG widersprach der einstweiligen Verfügung. Die Richter bestimmten darauf Ende Mai einen Termin zur mündlichen Verhandlung für Anfang Juli 2020.

Fehlende Anhörung verstößt gegen prozessuale Waffengleichheit

Die DPolG erhob Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung und beantragte ihrerseits den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit Erfolg.

Das Bundesverfassungsgericht sah aufgrund der unterlassenen Anhörung eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG). Das Gericht müsse den Parteien die Möglichkeit einräumen, alles für seine Entscheidung Erhebliche vorzutragen und zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderliche Verteidigungsmittel selbstständig geltend zu machen. Somit sei der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, darauf Einfluss zu nehmen.

Entbehrlich sei eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Ein solcher Ausnahmefall bestehe nur in Eilfällen, da dann die Anhörung den Zweck der einstweiligen Verfügung vereiteln würde. Vorliegend ging das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass ein Eilfall nicht vorlag. Selbst die Corona-Pandemie rechtfertige es nicht von der Anhörung abzusehen.

Die fehlende Anhörung konnte nach Ansicht der Richter auch nicht durch den zwischen den Parteien erfolgten vorprozessualen Schriftwechsel ersetzt werden. Dies begründete das Gericht damit, dass die Anträge inhaltlich über die Abmahnung hinausgingen.

Bewertung der Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt mit seiner Entscheidung die Anforderungen, die an die prozessuale Waffengleichheit in äußerungsrechtlichen Eilverfahren zu stellen sind. Damit wird die Chance erhöht mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts erfolgreich gegen einstweilige Verfügungen vorzugehen. Die Kanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum Rechtsanwälte hat sich auf das Äußerungsrecht und auf die Abwehr einstweiliger Verfügungen im Besonderen spezialisiert. Gerne können Sie uns in diesem Zusammenhang kontaktieren.

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