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Fristverlängerung „vergessen“: Waffengleichheit im Verfügungsverfahren

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Fristverlängerung Waffengleichheit
Photo by Dimitri Karastelev on Unsplash

Ein Investor warb im Rahmen einer Präsentation mit bestimmten Unternehmen im Portfolio – das waren Kunden der Gegnerin. Die versuchte die Werbung gerichtlich zu untersagen.

Bei ihrem Antrag auf Erlass einer einstweilige Verfügung vereitelte sie nach Auffassung des Gerichts den Anspruch des Antraggegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs, weil sie ein Fristverlängerungsgesuch der Gegenseite nicht vorgelegt hatte. Das sei eine Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit, entschied das Kammergericht (KG Berlin, Beschluss v. 15.10.2021, Az. 5 W 133/21).

Wenn ein Verfahrensbeteiligter eine einstweilige Verfügung durch „Erschleichung“ erwirke, indem er den Anspruch des Antraggegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs vereitele, dann sei die Rechtsfolge stets die die Unzulässigkeit der Geltendmachung des Anspruchs im Eilverfahren, so die Richter.

In dem Verfahren vor dem Kammergericht versuchte die Antragstellerin der Gegnerin im Wege einer einstweiligen Verfügung zu untersagen, im Rahmen einer Investoren-Präsentation mit bestimmten Unternehmen ihres Portfolios sowie mit bestimmten Aussagen unter anderem zur Unternehmensgröße und Expertise zu werben. Das Landgericht Berlin wies den Antrag zurück. Gegen den Beschluss (LG Berlin, Beschluss v. 19.08.2021, Az. 52 O 253/21) erhob die Antragstellerin sofortige Beschwerde. Das Landgericht folgte dieser nicht und legte die Sache dem Kammergericht vor. In dessen Beschluss geht es am Ende weniger um die Zulässigkeit der Investoren-Präsentation selbst als um verfahrensrechtliche Fragen, Fristen und die Frage, wann ein Schriftstück einen Anwalt erreicht hat.

Fristverlängerungsantrag nicht vorgelegt

Im Verfügungsverfahren hatte die Antragstellerin einen Fristverlängerungsantrag der Antragsgegner nicht vorgelegt. Sie verteidigte sich damit, dies „schlicht versehentlich vergessen“ zu haben und mit hoher Arbeitsbelastung in der Ferienzeit. Die Antragsschrift habe erst nach mehrmaligen Rücksprachen mit dem Geschäftsführer der Antragstellerin am späten Abend eingereicht werden können.

Dringlichkeit noch gegeben?

Die Antragstellerin war der Auffassung, das Landgericht habe in unbegründeter Weise Zweifel an der Dringlichkeit ihres Antrages geäußert. Der Geschäftsführer der Antragstellerin habe die E-Mail mit der Präsentation am 28. Mai 2021 erhalten, aber erst am 31. Mai zur Kenntnis genommen. Es sei jedoch im Geschäftsleben nicht einmal ansatzweise ungewöhnlich, dass E-Mails gar nicht geöffnet oder zunächst nur überflogen werden. So sei es auch vorliegend der Fall gewesen. Der Zeitraum zwischen der Kenntnisnahme der Präsentation und der Abmahnung am 23. Juli 2021 sei nicht ungewöhnlich lang.

Präsentation mit wettbewerbsrechtlicher Relevanz

Die Antragstellerin habe schließlich Aussagen aus insgesamt 31 Folien auf wettbewerbsrechtliche Relevanz prüfen müssen, um die entsprechenden Abmahnungen zu versenden. Zudem habe sie umfangreiche Recherchen durchführen müssen, um Aussagen im Schriftsatz verifizieren zu können. Die Bearbeitungszeit sei deshalb nicht übermäßig lang gewesen.

Die Antragsgegner traten dem entgegen: Das Landgericht habe den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zu Recht als rechtsmissbräuchlich abgelehnt. Es sei unglaubhaft, dass bei Verfassung der Antragsschrift schlicht vergessen worden sei, dass zwei Tage zuvor am 27. Juli 2021 ein Fristverlängerungsgesuch eingegangen sei. Außerdem erwähne die Antragstellerin in ihrer Antragsschrift selbst, es habe keine Reaktion der Antragsgegner gegeben.

Zugang beim Anwalt persönlich, nicht in Kanzlei entscheidend

Das Kammergericht beschloss, dass die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. den §§ 922 Abs. 1 Satz 1, 936 Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft und auch gemäß § 569 Abs. 1 und 2 ZPO form- und fristgerecht eingelegt sei. Es liege ein unterzeichnetes Empfangsbekenntnis vom 27. August 2021 vor, deshalb sei nach § 174 Abs. 4 ZPO auch von einer Zustellung an diesem Datum auszugehen. Aus dem Umstand allein, dass das Empfangsbekenntnis der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegner das Datum 25. August 2021 trage, könne „nicht geschlossen werden, dass das Datum 27.08.2021 unzutreffend ist“, heißt es in dem Beschluss.

Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit

Für eine Zustellung nach § 174 Abs. 1 ZPO komme es nicht darauf an, wann die Postsendung in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin eingegangen ist, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem der Rechtsanwalt das Schriftstück in Empfang genommen habe (vgl. BGH, Beschluss v. 12.01.2010, Az. VI ZB 64/09).

Das Kammergericht entschied jedoch, die Antragstellerin gefährde mit ihrer sofortigen Beschwerde das Recht der Antragsgegner auf prozessuale Waffengleichheit. 

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