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Focus Markenrecht
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Klimaneutral oder klimaneutralisiert – das ist hier die Frage!

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Werbung klimaneutral
Photo by Markus Spiske on Unsplash

Der Klimawandel ist eines der beherrschenden Themen unseres Zeitalters. Klimaschutz ist wichtig, darin sind sich (fast) alle Menschen einig. Daher wundert es nicht, dass Unternehmen zunehmend damit werben, „klimaneutral“ zu sein. Doch: Was heißt das eigentlich? Kein CO2-Ausstoß bei der Produktion? Oder: Kompensation der Emissionen durch ausgleichende Klimaschutzmaßnahmen an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit? Also: „klimaneutralisiert“? Das ist ein Unterschied.

Zauberwort der Zwei-Grad-Wirtschaft

Das Zauberwort der Zwei-Grad-Wirtschaft ist auch Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. In einem Verfahren vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht ging es um einen Müllbeutel-Hersteller, der in seiner Werbung „klimaneutral“ als Markenzeichen einsetzte und damit dem Verbraucher suggerierte, die Ware sei tatsächlich klimaneutral produziert worden, was sie aber nicht war. Auch der Hinweis auf die vom Unternehmen unterstützten Klimaschutzprojekte reiche für eine wettbewerbskonforme Kundeninformation nicht aus. Stattdessen entstünde der Eindruck, der Hersteller würde sich als solcher mit dem Ehrentitel „klimaneutral“ schmücken, nicht nur einen bestimmten Müllbeutel als „klimaneutralisiert“ ausweisen wollen. Das war zumindest die Position der Vorinstanz.

OLG kassiert Entscheidung

Dieser erteilte das OLG im Berufungsverfahren eine Absage. Die Schleswiger Richter sahen keine Irreführung nach § 5 UWG. Der Verbraucher erkenne, dass es sich bei den „klimaneutralen“ Müllbeuteln um eine spezielle umweltfreundliche Produktlinie handle, die sich durch Angabe des Zauberworts gerade von der konventionellen Ware abhebe. Auch sei die Angabe „klimaneutral“ nicht dadurch irreführend, „dass der Verbraucher ohne nähere Erläuterungen nicht beurteilen kann, wie Klimaneutralität erreicht werde“, das sei im Grunde auch egal, zumal niemand ernsthaft glaube, „Müllbeutel wie die beworbenen könnten ohne jeden CO2-Ausstoß hergestellt werden“. Weiterhin seien Angaben dazu, wie die beworbene Klimaneutralität erreicht wird, „nicht […] als wesentliche Information anzusehen“ (OLG Schleswig, Beschluss vom 30.6.2022, Az.: 6 U 46/21).

Differenzierung tut Not

Das ist eine ziemlich verblüffende Auffassung, weil hier „klimaneutral“ und „klimaneutralisiert“ in Sachen ökologischem Wohlverhalten des Produzenten, das sich der Konsument mit dem Kauf des Produkts ja zu eigen machen will, gleichgesetzt werden. Es ist aber nur rechnerisch unerheblich, ob man CO2 gleich bei der Produktion einspart oder (etwa durch das Unterstützen von Baumanpflanzungen) nachträglich kompensieren hilft. In der Sache ist es ein Unterschied, nicht nur hinsichtlich des Zeitfaktors (Emissionen passieren jetzt, die Kompensation erst in zehn, zwanzig Jahren), sondern auch, weil die CO2-Wiederaufnahmekapazität des Ökosystems aufgrund des begrenzten Platzes für Aufforstungsprojekte limitiert ist. Auch die Hilfe zur direkten Einsparung von CO2 an einem anderen Ort (z.B. dort, wo das kostengünstiger möglich ist) kann – zumindest moralisch – nicht gleichgesetzt werden mit den oft kostspieligen Bemühungen um wirklich klimaneutrale Geschäftsprozesse hier bei uns in Deutschland, die zudem echte Innovationen hervorbringen, die im Zuge des Technologietransfers wiederum den Klimaschutz weltweit befördern können. Und genau das ist die Rolle der deutschen Wirtschaft beim Kampf gegen den Klimawandel. Das wird übersehen, wenn man „klimaneutral“ und „klimaneutralisiert“ synonym verwendet.

Eindeutige Labels nötig

Bei den konkreten Bezeichnung muss also stärker differenziert werden. Das Problem bei gleichklingenden und ähnlich aussehenden Labels, deren Voraussetzungen und Bedingungen nicht gleich sind, ist ihre Wertlosigkeit. Wenn alles „bio“ oder „klimaneutral“ ist, dann ist es am Ende eben gar nichts. Die Verbraucher ertrinken in einer Flut an wohlfeilen Öko-Gütesiegeln, die nicht wirklich etwas aussagen. Sie brauchen Klarheit, etwa eine quantitative Angabe (z.B. die Höhe der CO2-Emission bei Produktion der erworbenen Wareneinheit), um vergleichen und wirklich umwelt- und klimafreundlich konsumieren zu können. Und genau das wollen viele Menschen.

Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.

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