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BGH zur Löschung alter Presseartikel aus Online-Archiven

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Immer wieder werden vor Gericht Fälle ausgetragen, in denen es in der einen oder anderen Variation um die Zulässigkeit einer sogenannten Verdachtsberichterstattung geht.

Insbesondere wenn die Presse identifizierbar über Tatverdächtige eines laufenden Ermittlungs- oder Strafverfahrens berichtet, folgt den betreffenden Mitteilungen nicht selten eine rechtliche Auseinandersetzung. Denn auf der einen Seite lassen die Journalisten bei ihren Recherchen und Berichten leider oft nicht die geltenden Sorgfaltspflichten beziehungsweise nicht die erforderliche Zurückhaltung und Rücksichtnahme walten und auf der anderen Seite ist der dabei stattfindende Eingriff in die Rechte der Betroffenen von nicht zu unterschätzender Intensität, so dass es nur verständlich und konsequent ist, dass die Letzteren im Regelfall den Rechtsweg suchen.

Veröffentlichungen im Internet sind “vogelfrei”

Erst recht stellt sich die Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen Berichterstattungen über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren zur Wehr zu setzen, wenn diese im Internet veröffentlicht werden. Denn in diesem Fall werden die Inhalte nicht nur einem unbegrenzten Leserkreis zugänglich gemacht, sondern werden auch – was heutzutage in Natur der Sache liegt – gerne von Dritten, insbesondere anderen Journalisten oder Bloggern übernommen und zu neuen (eigenen) Publikationen verarbeitet oder auch von interessierten Teilnehmern sozialer Netzwerke aufgegriffen und dort weiter verbreitet.

Hat also eine Veröffentlichung – was der Regelfall sein wird – den Weg ins Internet gefunden, erhöht sich deren Verbreitungsgrad um das Mehrfache, so dass sich auch das Eingriffspotential dadurch entsprechend vervielfacht, wie auch durch den Umstand, dass die Inhalte auf die beschriebene Art und Weise vielfach und auf Dauer im „Netzt“ archiviert werden und künftig von jedermann ohne nennenswerten Aufwand recherchierbar sind.

Gute Strafverteidigung bezieht auch das Presserecht mit ein

Vor diesem Hintergrund ist jeder Betroffene gut beraten, seinen Strafverteidiger möglichst frühzeitig nach einem kompetenten Presserechtler zu fragen oder sich anderweitig nach einem solchen zu erkundigen. Ist dies versäumt worden, stellt sich spätestens nach Verfahrenseinstellung oder gar Freispruch die Frage, wie man die zwischenzeitlichen Berichte und deren nachteiligen Auswirkungen auf den eigenen guten Ruf, mit denen man im Zweifel nachhaltig konfrontiert wird, beseitigen oder sie zumindest abmildern kann.

In Betracht kommende Möglichkeiten unterscheiden sich je nach den jeweiligen Umständen und müssen in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden. Neben dem Unterlassungsanspruch, mit dem sich im Grunde zugleich auch die Beseitigung erzielen lässt, kann beispielsweise ein Anspruch auf Richtigstellung in Betracht kommen. Über einen solchen Fall haben wir hier berichtet.

Was passiert mit Altmeldungen, wenn das Strafverfahren abgeschlossen ist?

Von besonderem Interesse ist ferner die Behandlung von Altmeldungen in Online-Archiven. Hierzu konnte kürzlich der Bundesgerichtshof Stellung beziehen (BGH, Urteil v. 16.02.2016, Az. VI ZR 367/15). Hintergrund des Verfahrens war eine Klage eines bekannten Fußballprofis, der, nachdem ein Ermittlungsverfahren gegen ihn nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden war, den Anspruch darauf geltend machte, dass die Beklagte es zu unterlässt, in deren Online-Archiv fünf das Ermittlungsverfahren behandelte Beiträge zum Abruf bereitzuhalten, soweit dort in identifizierbarer Weise (per Wort oder Bild) über ihn berichtet wird.

Die Entscheidung folgt den “Sedlmayr”-Urteilen aus den Jahren 2009 und 2010 nach, in denen der BGH davon ausging, dass es zulässig sei, über Täter schwerwiegender Straftaten zu berichten, auch wenn diese länger zurückliegen. Der Senat begründete dies mit der – auch damals schon lebensfremden – Annahme, dass der Archivierung eines Printartikels in einem Online-Archiv nur eine geringe Breitenwirkung zukomme, da das Auffinden des Artikels eine gezielte Suche des Nutzers voraussetze und nicht an eine Vielzahl von Personen „zur besten Sendezeit″ gerichtet sei.

Einige Zeit später entschied der BGH im Jahr 2012 (BGH, Urteil v. 30.10.2012, Az. VI ZR 4/12), dass ein Manager der Gazprom Germania GmbH sich nicht gegen das weitere Bereithalten einer Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen falscher Versicherung an Eides statt wehren könne, auch wenn dies gem. § 153a StPO unter der Auflage, einen bestimmten Geldbetrag zu zahlen, eingestellt worden war. Auch hier argumentiert der BGH unter anderem mit der geringen Breitenwirkung des lediglich passiven Mediums Internet.

Die wichtigsten Wertungen der BGH-Entscheidung

Die rechtlichen Wertungen, die der Senat nach Prüfung dieses Unterlassungsbegehrens im aktuellen Urteil festgehalten hat, führen wir auszugsweise wie folgt an:

„[…] die Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufes, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert […]. Dies gilt nicht nur bei aktiver Informationsübermittlung durch die Medien, wie es im Rahmen der herkömmlichen Berichterstattung in Tagespresse, Rundfunk oder Fernsehen geschieht, sondern auch dann, wenn – wie im Streitfall – den Beschuldigten identifizierende Inhalte lediglich auf einer passiven Darstellungsplattform im Internet zum Abruf bereitgehalten werden. […] […] Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. […] […] Im Rahmen der Abwägung ist von erheblicher Bedeutung, ob die Tatsachenbehauptungen in den angegriffenen Beiträgen im Zeitpunkt ihrer erstmaligen Veröffentlichung zulässig waren […].[…], müssen die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung erfüllt sein. […] […] Diese Grundsätze gelten auch für die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten. In diesem Verfahrensstadium steht lediglich fest, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, in der Regel ist aber nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. […] Besteht allerdings – wie im Ermittlungsverfahren – erst der Verdacht einer Straftat, so sind die Medien bei besonderer Schwere des Vorwurfs angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet […]. Dabei ist im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf “etwas hängenbleibt” […].

Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst “Öffentlichkeitswert” verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist […].

[…] Die bloße Tatsache der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens als solche genügt jedenfalls nicht für die Annahme des Vorliegens eines Mindestbestands an Beweistatsachen […]. Die Staatsanwaltschaft hat schon beim Vorliegen eines Anfangsverdachts Ermittlungen aufzunehmen (vgl. § 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) […]. Die Schwelle für die Annahme eines Anfangsverdachts liegt damit niedrig […]; es genügen schon entferntere Verdachtsgründe […], die eine geringe, wenngleich nicht nur theoretische Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer verfolgbaren Straftat begründen […]. So müssen die Ermittlungsbehörden auch auf völlig unbegründete, unter Umständen wider besseres Wissen in Schädigungsabsicht erstattete Strafanzeigen hin tätig werden […]. […] […] Für den Fall, dass – wie von der Revision geltend gemacht – die Wortberichte ursprünglich unzulässig gewesen sein sollten, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ihr Bereithalten in dem Online- Archiv der Beklagten unzulässig ist, soweit sie den Kläger weiterhin identifizieren.

[…] Eine abweichende Beurteilung wäre vorliegend nicht deshalb geboten, weil die Berichte vom 23. Januar 2012, 26. Januar 2012 und 11. Februar 2012 um den Zusatz in der Fußzeile ergänzt wurden, dass es sich um eine “Archivberichterstattung” handelt und das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger im April 2012 eingestellt wurde. So, wie schon mit den Berichten über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens vom 27. April 2012 zwangsläufig auch der dem Verfahren ursprünglich zugrunde liegende Verdacht transportiert und perpetuiert wurde, ist durch die nachträglich eingefügte Fußzeile bei den Berichten über die Einleitung und den Fortgang des Ermittlungsverfahrens dieser Verdacht nicht ausgeräumt worden. Denn beim Leser kann der Eindruck entstehen, dass der Kläger trotz der Verfahrenseinstellung “in Wahrheit” Täter der ihm vorgeworfenen Tat ist und lediglich die Strafverfolgung – zum Beispiel mangels ausreichender Beweise, wie in den Berichten vom 27. April 2012 erwähnt – nicht fortgeführt wurde […].[…] […] Für den Fall, dass – wie von der Revisionserwiderung geltend gemacht – die Wortberichterstattung ursprünglich zulässig gewesen sein sollte, könnte für die auch dann gebotene umfassende Abwägung der Grundrechtspositionen unter anderem von Bedeutung sein, welches Gewicht den Tatsachen zukam, die anfangs für eine Beteiligung des Klägers an einer Straftat sprachen.

[…] Im Grundsatz kann auch bei der Bildberichterstattung davon ausgegangen werden, dass eine von Anfang an unzulässige Meldung auch nicht als Altmeldung im Online-Archiv zum Abruf bereitgehalten werden darf.“

Über ein Ermittlungsverfahren darf nicht ohne Weiteres berichtet werden

Interessant ist vor allem, dass der BGH dankenswerterweise nochmals betont, dass ein Ermittlungsverfahren, das bereits wegen eines Anfangverdachts, also der bloßen Möglichkeit einer Straftat, eingeleitet werden muss, einerseits für sich genommen noch nicht ausreicht, um eine identifizierende Berichterstattung zu rechtfertigen, andererseits ein Bericht darüber für den Betroffenen dennoch sehr einschneidend ist, weil die Öffentlichkeit das gerade nämlich nicht weiss, so dass vom Vorwurf immer etwas “hängen bleibt”.

Grundvoraussetzungen einer Verdachtsberichterstattung

Neben der Tatsache, dass ein Ermittlungsverfahren tatsächlich und insbesondere auch wegen der genannten Straftaten geführt werden muss (hier arbeiten Journalisten häufig schon nicht sorgfältig und behaupten Ermittlungen, die nicht oder jedenfalls nicht so existieren) müssen Journalisten zusätzlich die folgende Punkte beachten:

  • Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst “Öffentlichkeitswert” verleihen.
  • Keine Vorverurteilung des Betroffenen
  • Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen
  • Vorgang von gravierendem Gewicht , dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist

Ein nachträglich eingefügter Einstellungshinweis genügt nicht

Ebenfalls selbstverständlich ist, dass ein nachträglich hinzugefügter Hinweis, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt sei, weder grundsätzlich ausreicht, ein weiteres Bereithalten der Berichterstattung im “Archiv” zu rechtfertigen, geschweige denn, eine von Anfang an unzulässige Berichterstattung im Nachhinein zu legitimieren.

Da das Berufungsgericht nicht alle erforderlichen Feststellungen getroffen hatte, hat der Bundesgerichtshof im Ergebnis die Sache an ihn zurückzuverweisen. Die Entscheidung des Rechtsstreits steht damit noch aus, wird jedoch unter Zugrundelegung der angeführten Beurteilungsmaßstäbe zu treffen sein. Wie immer, müssen hierzu zunächst alle relevanten Tatsachen zusammengetragen und überprüft werden.

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