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Focus Markenrecht
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Selektive Vertriebssysteme – ein Überblick

Bestimmung, Vorgaben und Gefahren

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Der Online-Handel ist integraler Bestandteil der Vertriebsstruktur von Unternehmen und Händlern. Vielmehr noch: Der Online-Handel wächst stetig und rasant. Vor allem die jüngeren Generationen kehren dem stationären Einzelhandel immer mehr den Rücken zu und beschränken ihr Konsumverhalten ausschließlich auf digital Vertriebswege. Dabei profitieren sie insbesondere von standortunabhängigen und überregionalen bzw. länderübergreifenden Angeboten zu jeder Tageszeit. Vermutlich deshalb betrug allein im Jahr 2021 der Umsatz im Onlinehandel in der Weihnachtszeit rund 23,2 Milliarden Euro, was einem Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz von rund 18,2 Prozent entspricht (vgl. INSTITUT DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT Köln – IW Kurzbericht Nr. 100; 19.12.2022).

Aber auch für die Unternehmen und Händler ist der Vertrieb von Produkten auf unterschiedlichen Online Präsenzen ein wichtiges wirtschaftliches Standbein. So können Unternehmen und Händler mit geringem finanziellem und zeitlichem Aufwand Kundenbeziehungen pflegen, der logistische und finanzielle Aufwand für den Verkäufer ist erheblich geringer und auch Werbung über das Web erzielt schneller und einfacher eine relativ hohe Reichweite. Gleichwohl birgt die Fortentwicklung des Marktes und die damit einhergehenden (neueren) Vertriebssysteme auch neue Herausforderungen für Unternehmen. Produktpiraterie, Preisdumping und der Verkauf der eigenen Produkte über nicht autorisierte (Dritt)-Vertriebswege sind Probleme, mit denen Unternehmen konfrontiert werden. Zur Verhinderung und Eindämmung des Verkaufs von Produkten auf unbekannten bzw. nicht autorisierten Verkaufskanälen hat sich das Modell der selektiven Vertriebssysteme entwickelt.

Was sind selektive Vertriebssysteme?

Selektiven Vertriebssysteme sind nach der Legaldefinition des Art. 1 Abs. 1 lit. e VO 330/2010/ EU

Vertriebssysteme, in denen sich der Anbieter verpflichtet, die Vertragswaren oder -dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar nur an Händler zu verkaufen, die anhand festgelegter Merkmale ausgewählt werden, und in denen sich diese Händler verpflichten, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler zu verkaufen, die innerhalb des vom Anbieter für den Betrieb dieses Systems festgelegten Gebiets nicht zum Vertrieb zugelassen sind.

Es handelt sich demnach um solche Vertriebssysteme, bei denen aus Reputationsgründen die Produkte nur über anhand objektiver Kriterien ausgewählte Einzelhändler vertrieben werden dürfen. Es kommt demnach zu einer selektiven Auswahl der Vertriebspartner. Ein bekanntes Beispiel für ein solches selektives Vertriebssystem ist der Vertrieb von Luxusartikeln, der nur über autorisierte Fachgeschäfte erfolgt.

Selektive Vertriebssystemarten

Hinter einem selektiven Vertriebssystem steht ein komplexes Geflecht aus vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Hersteller und den autorisierten Wiederverkäufern. Vertraglich werden dabei Merkmale festgelegt anhand derer die Vertriebspartner und Vertriebskanäle ausgewählt und die Konditionen zum Weiterverkauf bestimmt werden. Es wird zwischen rein qualitativen Selektivvertriebssystemen (Auswahl der Händler ausschließlich nach objektiven und qualitativen Kriterien. Dient der Qualitätswahrung des Produkts. Dadurch mittelbare Beschränkung der Anzahl der Vertragshändler), qualifiziert qualitativen Selektivvertriebssystemen (noch zusätzliche für den Zweck der Qualitätssicherung nicht erforderliche Verpflichtungen) und quantitativen Selektivvertriebssysteme ( Anzahl der Wiederverkäufer unmittelbar und konkret beschränkt) unterschieden.

Der Ausgestaltung solcher Systeme sind jedoch Grenzen gesetzt. Diese Grenzen finden sich in dem kartellrechtlichen Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen (§ 1 GWB / Art. 101 AEUV). Da selektive Vertriebssysteme den bestimmten Produktmarkt stark einschränken können, gilt auch für diese das kartellrechtliche Behinderungsverbot.

Rechtliche Vorgaben

Zu Beginn ist zwischen kartellrechtlich zulässigen und kartellrechtlich unzulässigen Vertriebssystemen zu differenzieren. Ihre Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit beurteilt sich im Wesentlichen nach der Verordnung (EU) Nr. 330/2010. Ein solches zulässiges rein qualitatives Selektivvertriebssysteme liegt unter Berücksichtigung der mittlerweile in diesem Zusammenhang gefestigten Rechtsprechung dann vor, wenn:

  • das selektive Vertriebssystem wurde eingerichtet, um die Qualität der vertriebenen Produkte zu wahren und ihren richtigen Gebrauch sicherzustellen.
  • die Wiederverkäufer (Händler) werden anhand objektiver qualitativer Kriterien ausgesucht.
  • die festgelegten qualitativen Auswahlkriterien des selektiven Vertriebssystems sind beschränkt und gehen nicht über das erforderliche Maß hinaus.
  • Es kommt bei der Auswahl der potentiellen Händler zu keiner Diskriminierung.

Der EuGH, der diese Voraussetzungen entwickelte (vgl. hierzu EuGH vom 6.12.2017 – C-230/16 – Coty Germany/Parfümerie Akzente), erläuterte somit, warum ein selektives Vertriebssystem erforderlich sein kann, um die Qualität der Produkte zu wahren. Es stellt somit klar, dass unter Qualität nicht nur die materiellen Produkteigenschaften gemeint sind, sondern auch der Prestigecharakter.

Werden jedoch Kriterien aufgestellt, die über das zur Wahrung der Qualität des Produkts erforderlich Maß hinaus gehen und handelt es sich demnach nicht mehr nur um rein qualitative Selektivvertriebssysteme, sondern tritt ein qualifizierender Aspekt hinzu ( bspw. weitere Verpflichtung zur Teilnahme an Werbemaßnahmen), so liegt in der Regel ein Verstoß gegen § 1 GWB / Art. 101 AEUV vor. Eine Freistellung vom gesetzlichen Verbot kann jedoch unabhängig von der Art des Produkts und der Art der Auswahlkriterien erteilt werden, wenn Anbieter und Abnehmer auf ihren jeweiligen Märkten einen Marktanteil von nicht mehr als 30% haben und das Recht der Vertragshändler an andere Vertragshändler oder Endverbraucher aktiv zu verkaufen nicht eingeschränkt ist.

Bei quantitativen Selektivvertriebssystemen kann ebenfalls eine solche Ausnahmeregelung greifen, wenn die vorstehenden Voraussetzungen vorliegen und keine wirtschaftlich sinnvolle Alternative zu einer zahlenmäßigen Beschränkung der zugelassenen Vertriebshändler besteht.

Die deutsche Rechtsprechung (vgl. OLG Frankfurt a. M., vom 22.12.2015 – 11 U 84/14) erweiterte den Anwendungsbereich von selektiven Vertriebssystem auf Produkte, bei denen nicht der Prestigecharakter, sondern ihre unterschiedlichen Gestaltungsformen maßgeblich sind. Denn dort sei „eine fundierte Beratung“ erforderlich, sodass der Hersteller auf ausgewählte Vertriebspartner zurückgreifen dürfte.

Konkrete Ausgestaltung

Folgende typische und in der Praxis oft verwendete vertragliche Regelungen finden sich unter anderem in den vorstehend beschriebenen Vertriebssystemarten:

  • gezielter Ausschluss von bestimmten Vertriebsplattformen: Mit solchen Vertragsklauseln gibt der Hersteller den Vertriebspartnern vor, seine Produkte und Waren auf einzelne von ihm bestimmte Internetplattformen (bspw. eBay oder Amazon) nicht anzubieten.
  • Preisdifferenzierung: unterschiedlich vorgegebene Preisgestaltung für den Verkauf von Waren über den stationären Handel als für den Online-Vertrieb.
  • Preisbindung für Online-Handel: Der Hersteller gibt konkrete Preisvorgaben für seine Produkte vor, sodass die im Internet nicht günstiger angeboten werden können als im stationären Handel.
  • Vorgabe über qualifizierte Fachhandelsbindung: Auferlegung weiterer Verpflichtungen wie zum Beispiel Mitwirkung an Werbemaßnahmen des Herstellers (sog. qualifiziert qualitative Selektivvertriebssysteme).
  • Sprunglieferungsverbot: Hersteller untersagt Großhändlern unmittelbar an und direkt an einen Endverbraucher zu verkaufen.
  • Verbot von Konkurrenzprodukten: Der Hersteller verbietet den Verkauf von sämtlichen Konkurrenzprodukten.
  • Vorgabe von geschultem Personal sowie Kundenservice.
  • Vorgaben zur räumlichen Gestaltung des Verkaufsraums (bspw. Mindestgröße Bereichs und Art und Weise der Produktpräsentation).

Regelungen die gegen das kartellrechtliche Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen verstoßen und damit unzulässig sind:

  • Verbot des Online-Vertriebs, wenn stationärer Verkauf existiert.
  • Ungleiche Vorgaben für den Online-Verkauf und den stationären Handel.
  • Begrenzung der Anzahl der Verkäufe übers Internet.
  • Verbot Produkte eines ganz bestimmten konkurrierender Anbieter zu verkaufen.
  • Das Verbot, den Markennamen für Suchmaschinenwerbung zu nutzen.

LHR-Service im Bereich der selektiven Vertriebssysteme

In der Vergangenheit hatten wir von LHR bereits häufig mit dem Schutz von Luxuswaren und Prestigegütern zu tun. In dieser Zeit hat sich ein fundiertes Knowhow auf dem Gebiet des Online-Vertriebs angesammelt. Gerne beraten wir Sie in diesem Zusammenhang und prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein selektives Vertriebssystem für Ihr Geschäftsmodell möglich und zulässig ist. Ebenso klären wir, welche Vereinbarungen und vertraglichen Bestimmungen Sie als Hersteller oder Händler gegenüber Ihren Geschäftspartnern treffen müssen und dürfen.

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