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Hat das LG Hamburg – einmal wieder – das Internet zerstört?

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Hat das LG Hamburg – einmal wieder – das Internet zerstört?
© Thomas Söllner – Fotolia.com

Mit einem Beschluss hat das LG Hamburg Webseitenbetreibern hohe Prüfpflichten bei Verlinkungen auferlegt. Die mediale Aufregung ist groß. Hat das LG Hamburg – einmal wieder – das Internet zerstört?

Diese – freilich nicht ganz erst gemeinte – These wird zurzeit von einigen Rechtsanwaltskollegen und –kolleginnen mit mit Hinblick auf eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts  Hamburg (LG Hamburg, Beschluss v. 18.11.2016, AZ. 310 O 402/16) aufgestellt.

Netzpolitk.org befürchtet eine „Verschärfung“ der Linkhaftung.

Golem.de  behauptet, das Hamburger Landgericht habe eine Prüfpflicht für Links „eingeführt“.

Wieder andere fordern die Abschaffung des Landgerichts Hamburg.

Der Heise-Verlag hat das Hamburger Gericht nach eigenen Angaben sogar “getrollt” und per E-Mail angekündigt, solange auf die Internetseite des Gerichts keine Links mehr setzen zu wollen, bis von dort schriftlich verbindlich bestätigt werde,

“dass sämtliche der im Rahmen Ihrer Webpräsenz verwendeten urheberrechtlich geschützten Inhalte in keiner Form und an keiner Stelle gegen die Vorgaben des Urheberrechts oder verwandter Gesetze verstoßen. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns diese verbindliche Erklärung schriftlich zukommen lassen. Dies gilt insbesondere für das Angebot unter http://justiz.hamburg.de/gerichte/landgericht-hamburg/ sowie sämtlichen Unterseiten.”

Der entsprechende Beitrag des Heise-Verlags hat über mittlerweile über 1000 Kommentare.

Was hat das Landgericht Hamburg getan?

Allein: Stimmt das alles? Ist die Aufregung um die Entscheidung des Landgerichts Hamburg berechtigt?

Hintergrund ist eine aktueller Beschluss des Landgerichts Hamburg, mit dem einem Webseitenbetreiber die Linksetzung zur einer anderen Internetseite verboten wird, weil dort ein Lichtbild ohne Zustimmung des Urhebers öffentlich zugänglich gemacht worden war.

Grundlage ist eine EuGH-Entscheidung

Gestützt wird die Entscheidung auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs jüngeren Alters (EUgH, Urteil v. 8.9.2016, Az. C‑160/15 – Sanoma Media Netherlands BV ./. Playboy). Der Oberste Gerichtshof der Niederlande hatte gefragt, unter welchen Voraussetzungen eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorliegt, wenn eine andere Person als der Urheberrechtsinhaber mittels eines Hyperlinks auf einer von ihr betriebenen Website auf eine von einem Dritten betriebene, für das allgemeine Internetpublikum zugängliche Website verweist, auf der das Werk ohne Zustimmung des Rechtsinhabers zugänglich gemacht worden ist.

Eine Online-Klatschseite hatte absichtlich auf rechtswidrige Bilder verlinkt

In dem betreffenden Sachverhalt hatte die niederländische Online-Klatschseite (GeenStijl.nl) mit einem Hyperlink in einem Bericht auf eine dritte Seite (Filefactory.com) verwiesen, auf der sich Nacktfotos befanden, die für den Playboy geschossen worden, aber dort zu diesem Zeitpunkt weder offline noch online veröffentlicht worden waren.

Der EuGH hatte eine “öffentliche Wiedergabe” der Fotos angenommen, die er an drei Voraussetzungen knüpft:

  • Zugänglichmachung des Werks gegenüber Kunden, die ohne dieses Tätigwerden das ausgestrahlte Werk grundsätzlich nicht empfangen könnten.
  • Bei den Kunden muss es sich für das Merkmal der „Öffentlichkeit“ um “recht viele Personen” handeln. Darüber hinaus muss die Veröffentlichung ein Publikum ansprechen, an das die Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatten, als sie die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubten
  • Als Drittes sei nicht unerheblich, ob die Veröffentlichung Erwerbszwecken dient.

Vor diesem Hintergrund stehe fest, dass die bewusste und Erwerbszwecken dienende Verlinkung der Klatschseite auf die ohne Erlaubnis zu der Website Filefactory veröffentlichten Lichtbilder, ihrerseits eine unzulässige öffentliche Wiedergabe darstelle, die zu unterlassen sei.

Mit anderen Worten: Wer durch eine Handlung zur einer Rechtsverletzung beiträgt, obwohl er dies wusste oder wissen musste, haftet.

Exkurs: Störerhaftung

Dieser Satz kommt einigen sicherlich bekannt vor. Diese  – nach deutsche Maßstäben undogmatische – Beschreibung entspricht nämlich in weiten Teilen der vom Bundesgerichtshof entwickelten Störerhaftung:

Störer ist danach derjenige, der ohne Täter oder Teilnehmer zu sein, in irgendeiner Weise zur Verletzung eines geschützten Rechtsgutes beiträgt und zumutbare und im Einzelfall zu bestimmende Prüfungspflichten verletzt.

Der Umfang dieser Pflichten hängt wiederum vom Einzelfall ab. Diensteanbietern, die lediglich von Nutzern bereitgestellte Informationen unentgeltlich speichern, obliegen weniger Pflichten, als zB Anbietern von gewerblich betriebenen Diensten mit großem Verletzungspotential (vgl. zB. BGH, Urteil v. 15.08.2013, Az. I ZR 80/12 – File-Hosting-Dienst).

Man kann daher davon ausgehen, dass der niederländische Fall auch nach deutschen Grundsätzen ähnlich ausgegangen wäre. Denn die Klatschseite hatte die Verlinkung sogar erst einen Tag nach der Mitteilung des Rechteinhabers, dass die Lichtbilder entwendet worden waren und somit offensichtlich mit voller Absicht rechtswidrig verlinkt.

Das LG Hamburg hat Prüfpflichten überspannt

Der Hamburger Fall hatte insoweit Ähnlichkeiten mit dem Fall aus den Niederlanden, als dass sich auch dort auf einer professionell betrieben Internetseite eine Verlinkung auf eine Drittseite befand, auf der sich ein unerlaubt veröffentlichtes Lichtbild öffentlich zugänglich gemacht wurde.

Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Sachverhalten liegt jedoch darin, dass der Betreiber der niederländischen Internetseite auf die Nacktbilder seinen Kunden in vollem Bewusstsein präsentiert hatte, dass diese dort rechtswidrig veröffentlicht waren, während der Seitenbetreiber im Hamburger Fall demgegenüber für eine Rechtsverletzung schlicht keinerlei Anhaltspunkte hatte. Dann muss dieser aber natürlich – anders als das Landgericht Hamburg annimmt – auch nichts weiter prüfen, auch wenn er mit seiner Seite generell Geld verdient.

Die Kammer des Landgerichts Hamburg hat den Umfang der vom EuGH als “widerlegliche Verschuldensvermutung” gestalteten Prüfpflichten des Verursachers der Rechtsverletzung somit aus einem völlig anderen Sachverhalt unbesehen auf den eigenen Fall übertragen und diese damit offensichtlich weit überspannt.

Die Entscheidung des LG Hamburg ist schlichte Fehlentscheidung im Einzelfall

Bei dem Beschluss des Landgerichts Hamburg handelt es sich demnach nicht um eine Maßnahme zur Zerstörung des Internets sondern eine schlichte Fehlentscheidung im Einzelfall, die in der Praxis übrigens gar nicht so selten vorkommt und dann meist im Verlaufe des Rechtswegs korrigiert wird.

Diese Möglichkeit hat sich der Antragsgegner im vorliegenden Fall selbst genommen.

Einstweiliges Verfügungsverfahren war ein „Musterverfahren“

Beantragt wurde die einstweilige Verfügung vom Urheber offenbar im Rahmen eines explizit so bezeichneten “Musterverfahrens” von der Kanzlei Spirit Legal. Was damit genau gemeint ist, bleibt unklar. Da der Antragsgegner bereits eine Abschlusserklärung abgegeben und damit die zweifelhafte Entscheidung als endgültige Regelung anerkannt hat, ist damit vielleicht gemeint, dass der Rechtsstreit nur zum Zwecke der Veröffentlichung der gerichtlichen Entscheidung inszeniert wurde.

Das wäre dann ein pfiffiger Werbegag zugunsten der Kanzlei und ein unterhaltsamer Beitrag zur wichtigen Diskussion zum Spannungsfeld Internet und Urheberrecht.

Antragsgegner war nicht gut beraten

Falls es sich dabei jedoch um eine “echte” Auseinandersetzung gehalten haben sollte, muss man vor dem Hintergrund des oben Gesagten konstatieren, dass der Antragsgegner nicht gut beraten war. Die Entscheidung hätte wohl spätestens vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht keinen Bestand mehr gehabt.

Wie dem auch sei: Der mittlerweile initiierten – bisher nur mäßigen Zuspruch erhaltenden – Onlinepetition „Rette den Link! EuGH-Entscheid zur Linkhaftung kippen!“ bedarf es zur Rettung des Internets jedenfalls nicht.

UPDATE 4.1.2018:

Das Landgericht Hamburg hat seine Auffassung zwischenzeitlich revidiert und in einer aktuellen Entscheidung klargestellt, dass – so wie wir es schon vermutet hatten – nach der EuGH-Entscheidung auch wie vorher die Grundsätze der Störerhaftung gelten. Details lesen Sie hier: „Foto „gemopst“ ­ – LG Hamburg zum Framing von Produktbildern im Lichte der Vorgaben des EuGH„.

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