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Das Schmähgedicht oder Presserecht à la Böhmermann

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Weil der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wegen eines kritischen Beitrags über ihn in der Sendung „extra 3“ den deutschen Botschafter Martin Erdmann einbestellte, hagelte es zu Recht Kritik.

Der Beitrag war nach deutschem Recht eindeutig als Satire von der Presse- und Meingungsfreiheit gedeckt und stellte keine Persönlichkeitsrechtsverletzung gegenüber dem türkischen Präsidenten dar. Präsident Erdogan scheint aber diesbezüglich einen weitaus niedrigen Maßstab anzusetzen, als es das deutsche Recht tut. Das machen auch die unzähligen Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung in der Türkei deutlich. Seit seiner Amtseinführung wurden bereits 1845 solcher Verfahren eingeleitet.

Dass dieser satirische Wirkungstreffer nicht ihm selbst gelungen war, konnte ZDFneo-Moderator Jan Böhmermann offensichtlich nicht auf sich beruhen lassen. Und so veröffentlichte er einen eigenen Beitrag, der nun ebenfalls hohe Wellen schlägt.  Diesmal überschlägt sich die Welle aber nicht über Herrn Erdogan, sondern über Herrn Böhmermann selbst. Böhmermann hatte in seiner Sendung ein Gedicht über den türkischen Präsidenten mit dem prägnanten Titel „Schmähkritik“ vorgelesen. Die Bundeskanzlerin selbst ließ über ihren Sprecher verlauten, dass das Gedicht „bewusst verletzend“ sei, darüber habe sie auch schon mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu gesprochen.

Soviel politischer Druck war offenbar auch dem ZDF zuviel, der Beitrag wurde aus der Mediathek gelöscht. Die für ihr ganz eigenes Verständnis von Niveau bekannte Bild-Zeitung titelte sogar: „Böhmermann drohen drei Jahre Knast!„.

Angeblich habe ein internes juristisches Gutachten des Auswärtigen Amtes ergeben, dass Böhmermann sich nach § 103 StGB wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts strafbar gemacht habe. Und tatsächlich wurde dann auch prompt per Eilmeldung in den Medien berichtet, dass die Staatsanwaltschaft Mainz ein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann eingeleitet hat. Dazu sei kurz bemerkt, dass zwischenzeitlich bereits eine Vielzahl von Strafanzeigen gegen Böhmermann bei der Staatsanwaltschaft eingegangen sind und eine Staatsanwalt in diesem Fall von Amts wegen ein entsprechendes Ermittlungsverfahren einleiten muss.

Der den Strafanzeigen zugrunde liegende Straftatbestand existiert tatsächlich und sieht auch eine entsprechende Höchststrafe vor. Dass er im vorliegenden Fall aber tatsächlich zu einer Verurteilung Böhmermanns führen wird, darf hingegen durchaus bezweifelt werden. Im deutschen Presserecht gilt zunächst der folgende Grundsatz: Die Meinungsäußerungsfreiheit tritt gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht immer dann zurück, wenn eine Äußerung als „Schmähkritik“, als „Formalbeleidigung“ oder als Angriff auf die Menschenwürde anzusehen ist (vgl. BVerfG Beschl. v. 24.05.2006 – 1 BvR 49/00).

Das umstrittene Gedicht, in welchem Böhmermann den türkischen Präsidenten u. a. im Reim sortiert als „Ziegenficker“ bezeichnet, erfüllt auf den ersten Blick ohne Zweifel diese Voraussetzungen. Auf den zweiten Blick fällt dann auf, dass Böhmermann das Gedicht ja gerade „Schmähkritik“ genannt hat. Und vor, während und nach dem Verlesen des Gedichts mehrfach darauf hingewiesen hat, dass ein solches Gedicht wegen seines schmähenden und beleidigenden Charakters in Deutschland nicht erlaubt sei.

Dadurch unterscheidet sich sein Gedicht eindeutig von üblichen Schmähkritiken und Beleidungen, auch gegenüber Staatsoberhäuptern. Denn diese stellen im Normalfall tatsächlich die Kundgabe der eigenen, abwertenden und beleidigenden Meinung dar, die in so heftiger Art und Weise formuliert wird, dass sie eben nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt wird und einen Rechtsverstoß darstellt. Die im Titel des Gedichts genannte Schmähkritik umfasst damit gerade solche Äußerungen, die primär auf eine Herabsetzung der Person, nicht aber auf eine Auseinandersetzung in der Sache zielen (vgl. BVerfG Beschl. v. 17.09.2012 – 1 BvR 2979/10).

Und genau das ist beim Gedicht von Jan Böhmermann der springende Punkt. Jan Böhmermann setzt in seiner Rolle als Satiriker gerade nicht die Person Recep Tayyip Erdogan persönlich herab. Vielmehr weist er auf dessen dünnhäutige Reaktion nach dem Satire-Beitrag in der Sendung „extra 3“ hin, welchen der türkische Präsident verbieten lassen wollte. Dafür wählte Jan Böhmermann das Mittel der Abgrenzung. Sein Gedicht zeigte nicht nur dem türkischen Präsidenten auf, wann Äußerungen in Deutschland nach den rechtlichen Vorgaben – im Gegensatz zum „extra 3“-Beitrag – nicht mehr hingenommen werden müssen. In welchen Fällen also eine entsprechende Reaktion des türkischen Präsidenten verständlich und legitim gewesen wäre, weil es sich um eine massive Persönlichkeitsrechtsverletzung und strafrechtlich relevante Beleidigungen (in Versform) gehandelt hätte.

Damit zielte Jan Böhmermann zumindest nicht primär auf die Herabsetzung einer Person, sondern auf eine Auseinandersetzung in der Sache ab. Es war damit Böhmermanns Antwort auf Erdogans Versuch, die nach Art. 5 Abs. 1 GG  verfassungsmäßig geschützte Meinungsfreiheit einzuschränken.

Ob darüber hinaus die vielen einzelnen, schwerwiegenden Beleidigungen und Schimpfwörter aus dem Bereich der Fäkalsprache im Gedicht tatsächlich auch noch von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sind oder ein sogenannter Überschuß an an nicht mehr hinzunehmender Abwertung (vgl. BGH, GRUR 1977, 801) gegeben ist, kann durchaus kontrovers diskutiert werden. Wenn man aber bedenkt, dass Erdogan selbst als Politiker gerne äußerst hart austeilt, als das Gegenteil von „zimperlich“ und darüber hinaus gerade auch nicht als berühmter Verteidiger von Menschrechten gilt, muss er sich möglicherweise auch ein erheblich überhöhtes Maß an Kritik gefallen lassen. Das Mittel der Übertreibung ist in der Satire und auch der Kunst sehr geläufig. Und die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG springt der Meinunsgfreiheit in der Abwägung unterstützend beiseite.

Was auch immer man von Böhmermann und seinem Gedicht halten mag, ein Ziel hat er auf jeden Fall erreicht. Er steht wieder im Mittelpunkt der Diskussion. Und das scheint er dringend zu benötigen.

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