Identifizierende Verdachtsberichterstattung über vermeintlich vorgetäuschte Eigenbedarfskündigungen

Verdachtsberichterstattung vorgetäuschte Eigenbedarfskündigung

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Investmentmöglichkeiten gibt es viele. Eine Möglichkeit könnte die Vermietung von Immobilien sein. Im Zuge dessen können Vermieter die Immobilie wegen Eigendarf kündigen ein durchaus rechtlich legitimes Mittel.

Doch auf große Freude stößt sie bei der Mieterschaft nicht. Im Clinch zwischen Eigentümern und Mietern können sich Mieterbündnisse formieren, welche ihren Unmut in Form von Protesten zum Ausdruck bringen. Da wo Proteste sind, können Berichterstattungen folgen. In der Regel werden sie dann in sozialen Medien oder im Fernsehen verbreitet. Juristisch interessant wird es insbesondere dann, wenn es sich um eine identifizierende Berichterstattung handelt, welche den Verdacht zum Ausdruck bringt, dass die ausgesprochenen Eigenbedarfskündigungen lediglich vorgeschoben seien.

Das Oberlandesgericht Köln hat sich in seinem Urteil vom 12.11.2020 (OLG Köln, Urteil v. 12.11.2020, Az.: 15 U 112/20) mit den Voraussetzungen einer zulässigen identifizierenden Verdachtsberichterstattung beschäftigt und den Verfügungsantrag der Kläger – den Verdacht über vorgetäuschter Eigenbedarfskündigungen durch Namensnennung der jeweiligen Verfügungskläger identifizierend zu berichten, zu verbieten – teilweise stattgegeben.

Schlechte Presse ist besser als gar keine Presse?

Nicht mit uns – so das Motto der Vermieter.  Sie haben mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Berichterstattung der Beklagten reagiert. Die Verfügungsbeklagte hat nicht gezögert und Widerspruch eingelegt. Die Folge? Die Sache landete vor dem Landgericht Köln. Mit dem Urteil vom 13.05.2020 (LG Köln, Urteil v. 13.5.2020, Az.: 28 O 333/19) hat das hiesige Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 09.09.2019 zurückgewiesen. Darauf haben die Verfügungskläger gegen das Urteil des Landgericht Köln vor dem Oberlandesgericht Köln Berufung eingelegt – mit Erfolg.

Identifizierende Verdachtsberichterstattung – ein schmaler Grad

Einerseits ist die Pressefreiheit eine wichtige Errungenschaft unserer Demokratie. Andererseits haben identifizierende Verdachtsberichterstattungen nicht zu unterschätzende Folgen für den Betroffenen.

Um den rechtlichen Zwiespalt besser hervorzuheben, haben sowohl das Landgericht Köln als auch das Oberlandesgericht Köln betont, dass eine identifizierende Verdachtsberichterstattung das Persönlichkeitsrecht sowie den guten Ruf des Betroffenen beeinträchtige. Ein mögliches Fehlverhalten, das öffentlich bekannt gemacht werde, sei dazu geeignet, die betroffene Person in den „Augen des Adressaten“ negativ zu beeinflussen.

Abgrenzung zwischen Meinungsfreiheit und Verdachtsberichterstattung

Zunächst sei aber festzustellen, ob überhaupt eine Verdachtsberichterstattung vorliege. Hierbei sei zwischen der bloßen Meinungsfreiheit und der Verdachtsberichterstattung abzugrenzen. Nach Auffassung des Oberlandesgericht Köln sei für die Abgrenzung maßgeblich, ob die Verdachtsäußerung über eine Tatsache den „Kern der Äußerung“ darstelle – erst dann liege eine Verdachtsberichterstattung vor.

Die Verfügungsbeklagte hatte vorgetragen, dass die Berichterstattung lediglich unstreitige Indiztatsachen vortrage sowie bewertende Meinungsäußerung der Mieter beinhalte, die wiederum bloße Kritik an den Geschäftspraktiken der Verfügungskläger ausübe.

„Verdeckte“ Verdachtsäußerung – kein Schlupfloch

Dem Vortrag des Verfügungsbeklagten – es handele lediglich um zulässige Wirtschaftskritik – ist das Oberlandesgericht aber nicht gefolgt. Nach Auffassung des Oberlandesgericht Köln sei im konkreten Fall zumindest eine „verdeckte“ Verdachtsäußerung dahingehend erfolgt, dass auf Grundlage der Fakten und Äußerungen der betroffenen Mieter jeweils nur „vorgeschobene“ Eigenbedarfskündigungen vorliegen könnten.

Die Folge? Die „verdeckten“ Verdachtsäußerungen – wie in diesem Fall durch Aussagen der Mieter – seien als eigene Behauptung der Beklagten zu behandeln.

Abwägung widerstreitender Interessen – die journalistische Recherchepflicht

Eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist per se nicht unzulässig, aber um den rechtlichen Zwiespalt gerecht zu werden, bedürfe es einer umfassenden Abwägung widerstreitender Interessen. Hierbei sei insbesondere – im Hinblick auf Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB – zu beachten, dass der Berichterstatter seinen journalistischen Recherchepflichten nachkommen müsse.

Konkret müsse der Bericht einen „Mindestbestand an Beweistatsachen“ enthalten, welcher für den Wahrheitsgehalt spreche und ihr somit erst einen „Öffentlichkeitswert“ verleihe. Sowohl ein Mindestabstand an Beweistatsachen als auch ein öffentliches Interesse hätten zwar vorgelegen, dennoch sei die Verdachtsberichterstattung in dem konkreten Einzelfall unzulässig.

Der Grund?

Mangelende Ausgewogenheit der Berichterstattung

Zum einen sei die gebotene Konfrontation mit den Vorwürfen vor der Veröffentlichung inhaltlich unzureichend gewesen, mit der Folge, dass die konkrete Berichterstattung – für den durchschnittlichen Rezipienten – in einem wesentlichen Punkt nicht ausgewogen sei.

An dieser Stelle hat das Oberlandesgericht Köln den Fokus an eine ganz bestimmte Szene gerichtet:

In dem Beitrag habe eine Art „Lagebesprechung“ der Mieter B/P mit dem Mitglied des „Bündnisses“ in der Küche der Wohnung stattgefunden. Bei dieser „Lagebesprechung“ haben die Mieter besonders betont, dass sie die zwei Verfügungsklägerinnen nicht kennen würde und diese sich die Wohnung nie angesehen hätten. Diesen Punkt greife der Bündnisvertreter wiederum auf, verstärke die Aussage und deute diesen als wesentliches Indiz.

Doch wo liegt nun das Problem? Die Behauptungen seien nicht Gegenstand der Konfrontation gewesen. Mit der Folge, dass die Verfügungskläger – im Rahmen der Konfrontation – die Behauptungen in ihrer Stellungnahme nicht aufgreifen konnten.

Auch wenn dieser Aspekt bereits für die Unzulässigkeit der Verdachtsberichterstattung ausgereicht hätte, beschäftigt sich das Oberlandesgericht Köln im nächsten Schritt mit den Grundsätzen der Identifizierung der Betroffenen.

Anprangerung und Stigmatisierung im Rahmen der Abwägung

Zum anderen sei im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob durch die konkrete Berichterstattung eine unzulässige Anprangerung und Stigmatisierung des Betroffenen vorliege.

Auch wenn die Verfügungskläger nicht als prominent anzusehen seien, könne das Recht der Verfügungskläger dennoch im Rahmen der Abwägung hinter dem Öffentlichkeitsinteresse zurücktreten. Bereits hier bezweifelt der Senat, ob die ausgesprochenen Eigenbedarfskündigungen im konkreten Einzelfall überhaupt eine überragende Rolle einnehmen.

Die Argumentation des Senats:

Zwar bestehe ein „hoher Verdachtsgrad“ zu Lasten der Verfügungskläger im Rahmen der Abwägung.

Dennoch sei eine „Verbandlung“ zwischen Gesellschaften und einer natürlichen Person im Immobilienmarkt nicht untypisch. Ferner sei das Halten von Mehrparteienobjekten in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) mit dem Aussprechen von Eigenbedarfskündigungen für die Gesellschafter keine Besonderheit.

Erschwerend komme hinzu, dass die Verfügungsbeklagte – lange vor Feststehen des Wahrheitsgehalts der Verdachtsvorwürfe – in einer bundesweit mit hoher Verbreitungsgrad ausgestrahlter Sendung unter voller Identifizierbarmachung und „gebetsmühlenartiger Namenswiederholung“ den Boden für eine Anprangerung eines (angeblichen) Fehlverhaltens bereitet habe.

Praxishinweis

Das Urteil des Oberlandesgericht Köln zeigt, dass für die Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine zulässige identifizierende Verdachtsberichterstattung erfüllt sind, eine umfassende Abwägung erforderlich ist. Der erste Schritt ist bekanntlich der Wichtigste: Klicken Sie hierfür auf unseren Beitrag: „5 Tipps für Blogger & Journalisten“.

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