AG Erfurt: Persönlichkeitsrechtsverletzung mit Streitwert 0 €

Persönlichkeitsrechtsverletzung Streitwert

© viperagp – Fotolia.com

Manchmal verschlagen einen prozessuale Besonderheiten an Gerichte mit weniger Erfahrung in den von uns  gewöhnlicherweise bearbeiteten speziellen Rechtsgebieten.

Das ist meistens überhaupt kein Problem.

Das Gericht kennt das Recht…

Denn erstens bedarf es insbesondere bei eindeutigen Fällen gar keiner Vorkenntnisse in einem Rechtsgebiet, um einen Streit ordentlich entscheiden zu können. Der Richter muss sich dazu lediglich  ein wenig vorbereiten und in die einschlägigen Vorschriften einlesen. Schließlich gilt der Grundsatz „iura novit curia“ oder „Das Gericht kennt das Recht“. Danach dürfen die Parteien eines zivilrechtlichen Rechtsstreits die einschlägigen Rechtsnormen als bekannt voraussetzen.

…und falls nicht, fragt es nach

Zweitens räumen selbstbewusste Richter etwaige Wissenslücken in bestimmten Gebieten freimütig ein und lassen sich bestimmte Regelungen im Zweifel erklären.

Am AG Erfurt gehen die Uhren anders

Nicht so allerdings das AG Erfurt. Dort hatten wir für eine recht bekannte Mandantin Kosten für eine anwaltliche Abmahnung eingeklagt, die notwendig geworden war, weil auf einer Rechtsanwaltsseite unzutreffende Äußerungen zu Werbezwecken veröffentlicht worden waren.

Das wollte sich die Betroffene verständlicherweise nicht gefallen lassen. Der daraufhin verfassten Abmahnung wurde ein Streitwert von 50.000 € zugrunde gelegt. Ein Wert, der vor dem Hintergrund der Bekanntheit der Person und der Werbewirkung des Artikels auf der Rechtsanwaltsseite – für gewöhnlich – zwar diskutabel, dennoch aber völlig unspektakulär ist.

Der Unterlassungsanspruch als solcher stand nie ernsthaft im Streit. Diskutiert wurde jedoch angeregt darüber, ob die unwahre Tatsachenbehauptung so schwer wiege, dass sie Anwaltskosten von über 1.500 € rechtfertige.

Unsicher im Termin…

Die Richterin traute sich in der mündlichen Verhandlung nicht so recht, in der Sache Position zu beziehen. Sie merkte lediglich vorsichtig an, dass der Streitwert für die Angelegenheit ihrer Auffassung nach „etwas überzogen“ sei.  Da unterschiedliche Auffassungen  zur Angemessenheit von Streitwerten in Unterlassungsverfahren nichts Besonderes sind, ahnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts Böses.

…ohne jeden Zweifel im Urteil

Wir staunten aber nicht schlecht, als uns das klageabweisende Urteil im Volltext vorlag. Danach sollte die Klägerin schlicht gar nichts bekommen, denn der Wert des Unterlassungsanspruchs sei „0,00 €“.

Die richterliche Unsicherheit war bei der Abfassung der Begründung des Urteils offenbar vollständig verflogen. Denn dort war zu lesen:

Hinten anstellen!

Das Gericht kam offenbar nicht umhin, den Unterlassungsanspruch dem Grunde nach zu bejahen. Das wäre der zuständigen Richterin dann doch zu heikel gewesen. Sie wollte unserer Mandantin die Erstattung der Rechtsverfolgungskosten dennoch nicht gönnen. Sie musste sich somit eines Kunstgriffs bedienen und setzte den Wert des Unterlassungsanspruchs – nach dem sich die Anwaltsgebühren richten – einfach mit null an (stilistisch schön sind übrigens die beiden Nachkommastellen; da ist gleich klar: „S gibbt nüll gömma nischts“!).

So geht es aber natürlich nicht.

Unseres Erachtens konnte man bereits über die Schwere des Persönlichkeitsrechtseingriffs nicht ernsthaft streiten. Mit der streitgegenständlichen Behauptung wurde unserer Mandantin eine persönliche Beteiligung an einer, sagen wir einmal „suboptimal“ geführten Unternehmung unterstellt, die nicht vorlag.

Sogar in einfach gelagerten Fällen mit unbekannten Personen werden zudem zum Beispiel bereits Streitwerte von 3.000,00 € (AG Oschersleben, Beschluss v 27.1.2014, Az. 3 C 422/13), 10.000,00 € (OLG Saarbrücken, Beschluss v. 13.8.2010, Az. 5 W 198/10 – 74, LG Köln, Beschluss v. 13.2.2012, Az. 28 O 44/12) oder 15.000,00 € (LG Köln, Urteil v. 15.8.2012, Az. 28 O 199/12) angenommen.

Gilt nicht nur im Kölner Karneval: „Drei Mal null ist null ist null!“

Aber selbst wenn man den Wert von 50.000 € für überhöht halten wollte, ist eine Herabsetzung auf null schlicht Unsinn. Denn wenn eine rechtswidrige Beeinträchtigung und damit eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, hat diese auch einen wie auch immer gearteten Wert, der denklogisch den Wert von Nichts („Null“) übersteigen muss.

Abgesehen davon ist die Schlussfolgerung des Gerichts aus der eigenen Bewertung darüber hinaus auch noch falsch. Denn die Rechtsanwaltsgebührenordnung sieht für eine Angelegenheit mit einem Streitwert von „bis 500 €“ immerhin einen Betrag von 58,50 € vor. Ein Anwalt bekommt somit auch etwas, wenn sich der Anspruch gar nicht beziffern lässt, oder nur wenige Euro beträgt.

Hätte das Gericht diesen Betrag ausgeurteilt, wäre unserer Mandantschaft natürlich auch nicht viel weiter geholfen gewesen. Die Entscheidung wäre dann aber wenigstens nicht derart peinlich und gekünstelt, da offensichtlich ergebnisorientiert ausgefallen.

Mal sehen, was das Landgericht Erfurt von dem Fall hält.

Die mobile Version verlassen