LHR-Praxisfall: Der Mythos bösgläubige Markenanmeldung – entzaubert durch das OLG München

Der Fall, den das Oberlandesgericht München (OLG München, Urteil v. 27.11.2025, Az. 6 U 1787/25 e) jüngst zu entscheiden hatte, beginnt mit einer für das Markenrecht typischen Ausgangslage.

Eine eingetragene Marke wird von Drittunternehmen nicht nur online, sondern auch auf einer international ausgerichteten Fachmesse verwendet.

Die Markeninhaberin dokumentiert die Benutzung durch einen Testkauf und erwirkt zeitnah mehrere einstweilige Verfügungen, von denen eine noch während der Messe vollzogen wird.

Dass ein markenrechtlicher Unterlassungsanspruch unter diesen Umständen grundsätzlich besteht, war im Verfahren nicht ernsthaft angreifbar. Daher wurde versucht, die klare Sachlage durch sachfremde Elemente zu überlagern.

Der „große Auftritt“ auf der Messe und die anschließende LinkedIn-PR

Bei eindeutiger Sach- und Rechtslage versuchen Rechtsverletzer nicht selten, die Diskussion auf eine formale oder emotionale Ebene zu verschieben. Im vorliegenden Fall geschah dies ungewöhnlich systematisch.

Bereits vor der Messe kam es zu Kontaktaufnahmen mit unserer Kanzlei, in denen – sinngemäß – angedeutet wurde, der Ruf unserer Kanzlei könne Schaden nehmen, wenn wir die Mandantin weiter unterstützten. Auf der Messe selbst kam es sodann zu einem auffälligen Auftritt des gegnerischen Prozessbevollmächtigten, bei dem der Geschäftsführer unserer Mandantin mehrfach lautstark konfrontiert wurde. Teil des Auftretens war auch eine gezielte körperliche Annäherung und die Anfertigung eines Fotos, das später in den Gerichtsakten auftauchte.

Nach der Messe setzte sich diese Strategie in sozialen Medien fort. Unter Verwendung eines nur scheinbar anonymisierten Beschlusses wurde ein Parallelfall ausführlich dargestellt; unsere Mandantin und unsere Kanzlei waren eindeutig zu erkennen. Die dort geäußerten Missbrauchsvorwürfe waren inhaltlich identisch mit denen aus dem Schriftsatzvortrag – ergänzt um zusätzliche rhetorische Zuspitzungen.

Der Höhepunkt des schriftsätzlichen Vortrags war die unzutreffende Behauptung, unsere Mandantin habe ein „Lösegeld“ für die Übertragung der Marke verlangt.

Das Ziel war erkennbar: die Situation emotionalisieren, Druck erzeugen und ein Zerrbild eines vermeintlich „bösgläubigen“ Markeninhabers inszenieren.

Die Entscheidung der ersten Instanz

Das erstinstanzlich angerufene LG München hob die einstweilige Verfügung, denen zunächst erlassen hatte, mit der Begründung auf, es fehle an der Dringlichkeit.

Zwar stützte die Kammer die Entscheidung nicht ausdrücklich auf die Missbrauchsvorwürfe, ließ jedoch durchblicken, dass die geschilderten Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung eine Rolle spielten. Nach Auffassung des Gerichts sei „bei einer Gesamtschau der genannten Umstände“ die Dringlichkeitsvermutung widerlegt.

Diese „hemdsärmelige“ Bewertung erwies sich in der Beschwerdeinstanz jedoch als nicht tragfähig.

Dringlichkeit: klare Anforderungen und klare Grenzen

Das OLG München stellte fest, dass der Vortrag der Gegenseite zur angeblich früheren Kenntnis der Markeninhaberin nicht ausreichte, um die gesetzliche Dringlichkeitsvermutung zu erschüttern. Die wesentlichen Erwägungen:

Damit war die Annahme des Landgerichts, die Dringlichkeitsvermutung sei wegen der „Gesamtumstände“ entfallen, nicht haltbar. Die gesetzliche Vermutung blieb wirksam, der Antrag war rechtzeitig gestellt, der Unterlassungsanspruch bestand.

Das Gericht fand zudem klare Worte zu den Missbrauchsbehauptungen. Selbst überspitztes oder „unprofessionelles“ Verhalten des Rechteinhabers rechtfertigt nicht den Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs, solange keine substanzielle Schädigungsabsicht des Markeninhabers erkennbar ist. Das war im vorliegenden Fall nicht ansatzweise gegeben.

Der Einwand der bösgläubigen Markenanmeldung

Auch die Vorwürfe zu Missbrauch und Bösgläubigkeit griffen nicht durch. Das OLG bestätigte die ständige Rechtsprechung:

Weder konnte die Gegnerin eine relevante historische Benutzung eines eigenen Zeichens im Markt darlegen, noch überzeugende Indizien für eine Behinderungsabsicht aufzeigen. Der Einwand scheiterte bereits im Ansatz.

Lediglich der gesonderte Verwahrungsantrag scheiterte an einer fehlenden eigenständigen Dringlichkeitsdarlegung. Der markenrechtliche Unterlassungsanspruch blieb jedoch unberührt.

Der Fall bestätigt damit das, was wir im LHR-Magazin bereits ausführlich erläutert haben: Bösgläubigkeit bleibt ein eng begrenzter Ausnahmefall, nicht ein universelles Verteidigungsinstrument:

Was Markeninhaber aus diesem Fall mitnehmen sollten

Der Fall ist ein anschauliches Beispiel für die Dynamiken, die entstehen können, wenn die materiell-rechtliche Lage klar ist, der Verletzer aber versucht, durch kommunikative oder emotionale Maßnahmen das Verfahren in eine andere Richtung zu lenken. Das betrifft insbesondere:

Das Oberlandesgericht macht jedoch unmissverständlich deutlich:

Vor allem aber sendet die Entscheidung ein wichtiges Signal an Markeninhaber:

Wer seine Rechte strukturiert dokumentiert, prozessual sauber arbeitet und sich nicht von lautem Auftreten des Markenverletzers oder seiner Vertretung verunsichern lässt, setzt sich durch – auch dann, wenn die erste Instanz sich von der Dynamik des Verfahrens beeindrucken lässt.

Fazit

Die Entscheidung des OLG München zeigt eindrucksvoll, dass konsequente, sachorientierte Markenrechtsdurchsetzung auch in emotional aufgeladenen Verfahren erfolgreich ist.

Sie stärkt die Position derjenigen Markeninhaber, die sich nicht auf Ablenkungsmanöver einlassen, sondern die Rechtslage klar dokumentieren und geradlinig verfolgen.

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