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Presseberichterstattung im Mordfall Lena

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Ich habe mich vertan...

Vor ein paar Tagen stand es für mich fest: Der Mörder von Lena ist der 17-jährige Berufsschüler aus Emden, der nur 500 Meter vom Parkhaus in Emden wohnt, in dem Lena missbraucht und getötet wurde.

Ich weiß noch, wie ich kurz eine Kontrollüberlegung anstellte. Denn ich habe mich, seitdem ich in der Kanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum bin, oft mit dem Thema der Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Presse in Ermittlungsverfahren befasst. Daher fragte ich mich, ob es sein kann, dass dieser 17-Jährige doch unschuldig ist und ob die Ermittler wirklich den richtigen Täter gefasst haben? Ich weiß aber noch, dass mir nach dem Lesen von sämtlichen Zeitungsartikeln und dem Hören von Nachrichten im Radio keine Zweifel blieben.

Schwere Folgen für den 17-Jährigen

Dennoch stellte sich später heraus: Der Verhaftete war nicht der Täter. Er wurde aus der Haft entlassen. Jetzt berichtet die Presse davon, dass der 17-Jährige zur Zeit gefährdet sei. Es habe Morddrohungen gegeben, er tauche vorerst mit seiner Familie unter und stehe unter Schock.

Fehler der Presse?

Die Presse könnte unter Umständen ihren Teil dazu beigetragen haben, dass dieser Junge vorerst ein anderes Leben führen muss.

Berichtet die Presse in Ermittlungsverfahren, muss sie Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht des vermeintlichen Täters nehmen. Sie darf Tatvorwürfe nicht als Tatsachen darstellen oder den Eindruck erwecken, der Beschuldigte sei bereits verurteilt. Je schwerer die Tatvorwürfe sind, umso gewissenhafter muss die Presse vorgehen. Die Presse kann sich dabei an die Aussagen der zuständigen Ermittler halten.

Anhand der folgenden Schlagzeilen von Bild.de lässt sich nachvollziehen, wie der falsche Eindruck bei mir erweckt wurde:

„Der Verdächtige ist 17 Jahre alt und wohnt nach BILD-Informationen nur 500 Meter vom Tatort entfernt in Emden(…) Angeblich soll ein Schüler der Polizei den entscheidenden Tipp zur Festnahme des Tatverdächtigen gegeben haben. Der 15-Jährige soll ihn auf dem von der Polizei veröffentlichten Parkhaus-Video am Gang erkannt haben“

http://www.bild.de/news/inland/kindesmord/parkhaus-mord-lena-festnahme-kein-gestaendnis-23373368.bild.html [Aufruf 01.04.2012]

Ein paar Tage später hieß es sogar:

„Der miese Kindermörder von Emden (Niedersachsen): Er missbrauchte die kleine Lena († 11), tötete sie und ließ ihre Leiche in einer Blutlache im Parkhaus liegen!

Die Kripo ist sicher: DER KILLER IST EIN SCHÜLER (17)!

Es wurde Haftbefehl erlassen, der mutmaßliche Killer sitzt in U-Haft.

Das Verbrechen soll der 17-Jährige zur Vertuschung einer Sexualstraftat begangen haben, so die Ermittler bei einer Pressekonferenz.

So kamen die Ermittler dem 17-jährigen Berufsschüler auf die Schliche: Am Dienstagabend hatte die Polizei die Überwachungsvideos des Parkhauses veröffentlicht, in dem Lenas Leiche gefunden worden war. Zu sehen: ein Mann, der über das Parkdeck zum Ausgang eilt.

Kurz darauf nahmen die Ermittler in einem Wohnhaus 500 Meter vom Tatort entfernt einen Jugendlichen fest.

Stundenlang verhörten sie den Schüler – die Schlinge zog sich zu!

Werner Brandt, Leiter der Mordkommission: „Er verstrickte sich bei der Vernehmung in Widersprüche.“ Die Ermittler konnten die Angaben des Verdächtigen, was er zum Tatzeitpunkt machte, widerlegen. Bedeutet: Er hat kein Alibi! Der 17-Jährige legte aber kein Geständnis ab.

Weitere Indizien hätten dann zur Festnahme geführt. Am Mittwochabend wurde der Schüler der Richterin vorgeführt. Sie erließ Haftbefehl wegen Verdacht des Mordes! U-Haft!“

http://www.bild.de/news/inland/news-inland/polizei-verhaftet-schueler-23385338.bild.html [Abruf am 01.04.2012]

Der durch die Presse vermittelte Eindruck

Ich fasse zusammen. Mein Eindruck am 28.03.2012 war: der Verdächtige wurde am Gang erkannt, die Kripo ist sich sicher, dass er der Mörder ist, man ist ihm auf die Schliche gekommen, der Killer ist der 17-Jährige Schüler, das Verbrechen soll der 17-Jährige zur Verdeckung begangen haben, die Schlinge zog sich zu, er verstrickte sich in Widersprüche und er hatte kein Alibi, es gibt weitere Indizien.

Es lässt sich zu Gunsten von Bild.de sagen, dass dort häufiger Wendungen im Konjunktiv auftauchten und ausgeführt wurde, dass gerade erst ein Ermittlungsverfahren laufe, der mutmaßliche Täter bloß verdächtig sei und man sich auf Aussagen der zuständigen Kriminalpolizei beziehe. Dass Bild.de dabei die Grenzen der zulässigen Verdachtsberichterstattung überschritten hat, lässt sich daher nicht unbedingt sagen. Zudem hat Bild.de ohne zu zögern bekanntgegeben, dass der 17-Jährige entlassen wurde, weil er unschuldig sei und die Berichterstattung somit umgehend korrigiert.

Fazit:

Man kann aber an dem Beispiel sehr gut erkennen, welche schweren Folgen ein Zeitungsartikel für einen Verdächtigen haben kann. Neben der ungerechtfertigten U-Haft, die der 17-Jährige zu verarbeiten hat, muss er sich jetzt vor einem aufgeheizten Mob in Deckung bringen und die übelsten Beschimpfungen ertragen. Dieser Fall ist ein Zeugnis dafür, wozu Verdachtsberichterstattung, sei sie zulässig oder unzulässig, führen kann. (jr)

(Bild: © rudall30 – Fotolia.com)

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