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OLG Hamm zur Wettbewerbswidrigkeit unverbindlicher Lieferfristen

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Kürzlich haben wir auf das aktuelle Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen hingewiesen, das die Angabe „voraussichtliche Versanddauer“ als wettbewerbswidrig verboten hat.

Auch das OLG Hamm hat in seinem Urteil vom 18.09.2012 – I-4 U 105/12 – über die Rechtmäßigkeit von vertraglichen Lieferungsbedingungen, aber auch über andere praxisrelevante Fragen des Wettbewerbsrechts zu entscheiden.

Verstoß gegen das Vertragsstrafeversprechen

Der Auslöser für den Rechtsstreit war eine Abmahnung der Klägerin aus dem Jahr 2010, mit der sie wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche in Bezug auf die folgende Klausel der Beklagten geltend gemacht hat:

„Angaben über die Lieferfrist sind unverbindlich, soweit nicht ausnahmsweise der Liefertermin verbindlich zugesagt wurde.“

Die Beklagte gab diesbezüglich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab und verpflichtete sich darin, für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung eine Vertragsstrafe in Höhe von 3.500 Euro zu zahlen.

Die gerügte Klausel hat die Beklagte gestrichen. Unter der Rubrik „Lieferbedingungen“ hat sie stattdessen unter anderem wie folgt formuliert:

„Angegebene Lieferfristen stellen nur einen Richtwert dar und gelten daher nur annähernd vereinbart (Zirka-Fristen).“

Die Klägerin sah in dieser Regelung einen Verstoß gegen die abgegebene Unterlassungserklärung und nahm die Beklagte auf Zahlung der versprochenen Vertragsstrafe in Anspruch.

Diesen Anspruch bejahte das OLG Hamm mit folgender Begründung:

„Unterlassungserklärungen sind nach den auch sonst für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen auszulegen. Maßgeblich ist danach der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB). […] Wendet man diese Grundsätze an, so ergibt sich, dass die neue Klausel zwar nicht identisch ist mit der alten Klausel. Jedoch stellt sich die neue Klausel als kerngleich mit der alten Klausel dar.

Mit der Abmahnung vom 16.12.2010 wollte die Klägerin erreichen, dass die Beklagte in Zukunft keine Klausel mehr verwendet, in der die tatsächliche Lieferzeit in ihr Belieben gestellt wird. […]

Die neue Klausel stellt diese Beanstandung gerade nicht ab. […] Zwar wird in der Klausel das Wort „vereinbart“ genannt. Jedoch wird diese Formulierung unmittelbar zuvor mit dem Wort „annähernd“ eingeschränkt. Hinzu kommt, dass nach der Klausel die angegebenen Lieferfristen nur als annähernd vereinbart „gelten“ sollen. Hier wird also lediglich mit einer Fiktion gearbeitet. Eine weitere Einschränkung erfährt die Regelung dadurch, dass die angegebenen Lieferfristen „nur einen Richtwert“ darstellen sollen.

Für eine verbindliche Regelung könnte allenfalls der Klammerzusatz mit dem Wortlaut „(Zirka-Fristen)“ sprechen. […] [Diese Frage kann jedoch dahingestellt bleiben], weil letztlich nicht davon ausgegangen werden kann, dass hier Zirka-Fristen vereinbart worden sind. Allein der Klammerzusatz „Zirka-Fristen“ kann die vorangegangenen deutlichen Einschränkungen der Verbindlichkeit nicht dahingehend korrigieren, dass hier letztlich doch verbindliche Fristen vereinbart werden sollen. Der Klammerzusatz einerseits und der vorangegangene Text andererseits stehen letztlich in einem unauflösbaren Widerspruch zueinander. Eine eindeutige Vereinbarung verbindlicher Lieferfristen ist nicht erkennbar.“

Doppelte Vertragsstrafe wegen gleichzeitiger Verwendung bei eBay und im eigenen Online-Shop

Die damit verwirkte Vertragsstrafe war nach Feststellungen des Gerichts zu verdoppeln, da die Beklagte die neue Klausel parallel bei eBay und im eigenen Online-Shop verwendet und dementsprechend zweimal gegen die abgegebene Unterlassungserklärung verstoßen hat:

„Die Beklagte hat diese Klausel auf zwei verschiedenen Verkaufsforen, zum einen in ihrem Onlineshop […] und zum anderen  bei eBay, verwendet. Grundlage hierfür waren zwei Handlungsentschlüsse. Die Beklagte hat sich jeweils über unterschiedliche Vertriebskanäle an verschiedene Käuferkreise gewendet. Es liegen damit zwei Verstöße gegen die Unterlassungsverpflichtung vor.“

Die angesetzte Vertragsstrafe in Höhe von jeweils 3.500 pro Verstoß hat das Gericht als „noch moderat“ bewertet. Auch den Umstand, dass die Klägerin die Beklagte wegen zwei nachfolgender Angebote ebenfalls auf Zahlung der Vertragsstrafe – und damit auf insgesamt 21.000 Euro – in Anspruch genommen hat, hat das Gericht nicht beanstandet:

„Auch wenn die Vertragsstrafenforderung vom 05.04.2011 in Höhe von wiederum zweimal 3.500,- €, mithin 7.000,- €, zum dritten Mal erhoben wurde, kann angesichts des schon renitenten wettbewerbswidrigen Verhaltens der Beklagten noch nicht davon ausgegangen werden, dass hier eine Aufsummierung von Vertragsstrafen erreicht wird, die mit dem Gerechtigkeitsgedanken im allgemeinen nicht zu vereinbaren ist.“

Wettbewerbswidrigkeit unverbindlicher Lieferfristen

Der des Weiteren geltend gemachte Unterlassungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der neuen Klausel „Angegebene Lieferfristen stellen nur einen Richtwert dar und gelten daher nur annähernd vereinbart (Zirka-Fristen)“ hatte ebenfalls Erfolg:

„[Nach § 308 Nr. 1 BGB] ist eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, durch die sich der Verwender nicht hinreichend bestimmte Fristen für die Erbringung einer Leistung vorbehält. § 308 Nr. 1 BGB will verhindern, dass die Leistungszeit mehr oder weniger in das Belieben des AGB-Verwenders gestellt wird […]. Der Kunde muss in der Lage sein, das Fristende selbst zu erkennen oder zu errechnen […]. Genau dies ist mit der hier in Rede stehenden Klausel nicht möglich.“ 

Die fragliche Klausel ist damit unwirksam und geeignet, einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG auszulösen (was im Rahmen der Prüfung der Verwirkung der Vertragsstrafe erst mal ohne Belang war):

„Bei § 308 Nr. 1 BGB handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG. Ob und inwieweit das UWG eine lauterkeitsrechtliche Kontrolle der Verwendung unwirksamer AGB oder sonstiger unwirksamer Vertragsklauseln ermöglicht, war in der Vergangenheit streitig. Schon aufgrund des Gebots richtlinienkonformer Auslegung des UWG am Maßstab der UGP-Richtlinie ist dies aber nach jetzigem Recht uneingeschränkt zu bejahen […].“

(pu)

(Bild: © javier brosch – Fotolia.com)

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