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Mit Günther Jauch und Stern-TV in die 30-jährige Haftungsfalle

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Heute Abend war es wieder soweit. Nachdem letzte Woche der Vertreter der Musikindustrie, Rechtsanwalt Rasch und der Vertreter des „kleinen Mannes“ Rechtsanwalt Solmecke sich bei Günther Jauch in der Sendung Stern-TV über die „Abmahnwellen“ wegen illegaler Down- bzw. Uploads stritten, waren heute Abend ein Staatsanwalt, der laut Stern-TV die „Abmahnpraxis“ der Musikindustrie für ungerechtfertigt und ein IT-Experte, der die Gerichtsentscheidungen für nicht nachvollziehbar hält und natürlich wieder Rechtsanwalt Solmecke am Start.

Stern-TV greift das Thema nach eigenem Bekunden ein weiteres Mal auf, da die Reaktionen des Publikums überwältigend waren. Das ist nachvollziehbar. Denn wann bekommt man schließlich den Kampf Gut gegen Böse im Reality-Format geboten? Und dazu noch mit Happy End?

Mit der Präsentation von Aufsehen erregenden Zahlen wie 50.000 Abmahnungen pro Jahr und Kosten von bis zu 10.000,00 EUR pro Abmahnung erhitzt man dramaturgisch effektvoll die Gemüter, um dann ganz wie ein seriöses Verbrauchermagazin Lösungen anzubieten.

Stern-TV gewährt den „Opfern“ der Musikindustrie auf der hauseigenen Webseite unter Zusammenarbeit mit der Kölner Kanzlei Wilde & Beuger – natürlich kostenfreien – Rechtsrat in Gestalt einer „vorbeugenden Unterlassungserklärung“, die man ungefragt gegenüber der Musikindustrie abgeben solle. Wir berichteten. Damit spare man „zumindest die immensen Rechtsanwaltskosten“, denn man könne nach Eingang der Unterlassungserklärungen bei der Musikindustrie „nicht mehr kostenpflichtig abgemahnt werden“.

An der Zweckmäßigkeit einer solchen Vorgehensweise kommen einem Juristen erhebliche Zweifel. Denn abgesehen von dem Problem, dass man damit gegebenenfalls schlafende Hunde weckt (nicht ohne Grund sagte Rechtsanwalt Rasch in der letzten Sendung auf die Empfehlung Solmeckes, eine vorbeugende Unterlassungserklärung abzugeben, schlicht „gerne!“) wird völlig übersehen, dass eine solche Erklärung ausschließlich für so genannte „Störer“ in Betracht kommt, also nicht für Täter der Urheberrechtsverletzung. Der Täter haftet nämlich – wie auch auf der Stern-TV-Seite ausgeführt – neben Unterlassung auch auf Schadensersatz. Und der Schadensersatz umfasst selbstverständlich auch die Rechtsanwaltskosten, die schon bei der Bearbeitung des Falles in einem Stadium anfallen, in dem der Verletzer namentlich noch nicht bekannt ist und von der Staatsanwaltschaft womöglich erst ermittelt wird. Die Behauptung, dass man durch die Abgabe einer Unterlassungserklärung in jedem Fall die Rechtsanwaltskosten spart, ist also schlicht falsch. Genauso falsch wie der gestern mehrmals geäußerte Hinweis, dass „der Download“ nie strafbar sein könne.

Bezeichnenderweise hält es Stern-TV für notwendig, darauf hinzuweisen, dass man sich einen fachlich versierten Anwalt wenden solle, wenn man in Bezug auf die vorbeugende Unterlassungserklärung unsicher sei. Der Begriff Unsicherheit trifft das Gefühl beim Lesen der vorgefertigten Erklärung nicht ganz. Fassungslosigkeit wäre schon eher richtig.

Jemand, der sich auf dem Gebiet auskennt, würde die Betroffenen nämlich darauf hinweisen, dass die bei Stern-TV angebotene Unterlassungserklärung viel zu weitgehend gefasst sein dürfte.

Und dies in zweierlei Hinsicht:

Dass sich die Unterlassungsverpflichtung nicht nur auf konkrete einzelne Musikstücke sondern auf das gesamte Repertoire des jeweiligen Unternehmens bezieht, darauf weist Stern-TV wenigstens noch hin. Das ließe sich noch vor dem Hintergrund verschmerzen, dass man zum Zeitpunkt der Abgabe der vorbeugenden Erklärung nicht genau weiß, ob und in welchem Umfang die Musikindustrie von den illegalen Down- bzw. Uploads Kenntnis hat. Die Risiken, die von einer solchen Erklärung 30 Jahre lang ausgehen, sind dennoch immens und wiegen die Vorteile nicht auf.

Die Kinnlade fällt einem auf dem Gebiet des Wettbewerbs- bzw. Urheberrechts tätigen Anwalt jedoch spätestens herunter, wenn man liest, dass die vorformulierte Erklärung das Einverständnis des Schuldners enthält, bei mehreren Verstößen darauf zu verzichten, diese zu einem einzigen Verstoß mit nur der Verwirkung einer Vertragsstrafe zusammenzufassen. Denn nichts anderes bedeutet die für den Laien eher unverständliche Wendung „Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs“. Auf eine solche Verselbstständigung eines jeden Verstoßes hat der Gläubiger jedoch keinen Anspruch. Für den Schuldner ist sie auch nicht sinnvoll. Im Gegenteil. Die Rechtsprechung würde nämlich auch bei mehreren heruntergeladenen Liedern nicht von mehreren Verstößen, sondern im Rahmen einer „natürlichen Handlungseinheit“ grundsätzlich von einem Verstoß und somit auch nur von einer Vertragsstrafe ausgehen. Nicht jedoch dann, wenn der Schuldner auf diese Möglichkeit verzichtet, wie Stern-TV es vorschlägt. Um es einmal im Stil des Boulevardjournalismus auszudrücken: Beliebter Fernsehmoderator empfiehlt Millionen von Eltern Minderjähriger, der Musikindustrie 30 Jahre lang für jeden einzelne heruntergeladene Musikstück jeweils horrende Vertragsstrafen zu zahlen. Wenn das mal nicht Stoff für eine Stern-TV-Sendung wäre.

Vielleicht kann Stern-TV in Zukunft tatsächlich einmal über die Opfer dieser „Beratung“ berichten. Mich würde neben der Gesamthöhe der in der Zwischenzeit verwirkten Vertragsstrafen interessieren, wer dann in der Expertenrunde sitzen wird. Viele von uns leben dann schon gar nicht mehr. Die Unterlassungserklärung gilt schließlich 30 Jahre.

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