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BVerfG: Angebliches Vergewaltigungsopfer soll Kachelmann trotz Freispruch weiter Vorwürfe machen dürfen

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Beschluss Bundesverfassungsgericht Kachelmann
© kamasigns – Fotolia.com
[:de]Am 31. Mai 2011, hatte das Landgericht Mannheim den Wettermoderator Kachelmann nach einem aufsehenerregenden Prozess von den Vorwürfen seiner Ex-Geliebten Claudia D. freigesprochen.

Zwei Wochen später gab Claudia D. der Bunten ein Interview und sagte dort unter anderem:

„Wer mich und ihn kennt, zweifelt keine Sekunde daran, dass ich mir diesen Wahnsinn nicht ausgedacht habe.“ Sie betonte außerdem ausdrücklich: „Es war aber so!“

Auf Kachelmanns Klage hatten ihr das Landgericht Köln (LG Köln, Urteil v. 30.5.2012, Az. 28 O 1065/11) und Oberlandesgericht Köln (OLG Köln, Urteil v. 6.11.2012, Az. 15 U 97/12) diese und andere Äußerungen untersagt. Eine Nichtzulassungsbeschwerde hatte der Bundesgerichtshof unter dem 30.7.2013 zurückgewiesen.

Bundesverfassungsgericht hebt OLG Köln auf

Das Bundesverfassungsgericht hat auf eine Beschwerde von Claudia D. hin die Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben, den Beschluss des BGH für gegenstandslos erklärt und die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG Köln dorthin zurückverwiesen (BVerfG, Beschluss v. 10.3.2016
1 BvR 2844/13).

Begründung: Recht auf „Gegenschlag“

Begründet hat der Senat seine Entscheidung mit der Meinungsfreiheit, die nicht zuletzt die Freiheit umfasse, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen. Dabei könne insbesondere bei Vorliegen eines unmittelbar vorangegangenen Angriffs auf die Ehre eine diesem Angriff entsprechende, ähnlich wirkende Erwiderung gerechtfertigt sein. Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, muss eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert.

Vorausgegangen waren Äußerungen Kachelmanns in einem Interview 

Hintergrund dieser Erwägung waren Äußerungen, die Kachelmann und seine Anwälte unmittelbar nach dem (zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftigen) Freispruch tätigten. Kachelmann sagte in einem Zeitungsinterview einer Woche nach der Gerichtsentscheidung insbesondere das Folgende:

„(…) vor Gericht hatte mir mein Verteidiger … geraten zu schweigen. Was sollte ich auch mehr sagen als die kurze Wahrheit: „Ich war es nicht!“ und: „Ich habe keinem Menschen Gewalt angetan!“ (…) Ich hätte an jedem Prozesstag hundertmal aufstehen und sagen müssen: „Das ist gelogen!“ Was soll ich über lügende Zeuginnen sagen, (…)“

„Ich weiß, ich habe mich mies benommen. Ich habe Menschen verarscht. Es gibt keine Entschuldigung dafür. Aber das, was die Nebenklägerin mit mir gemacht hat, als sie sich den Vorwurf der Vergewaltigung ausdachte – das ist keine Verarsche. Das ist kriminell. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. (…) Ich habe keinen Sprung in der Schüssel. Viel interessanter wäre doch zu erfahren, was psychologisch in der Frau vorging, die mich einer Tat beschuldigt, die ich nicht begangen habe. Die Nebenklägerin soll ja nach dem Urteil in einem Nebenraum des Gerichts erheblich randaliert haben.“

Das Bundesverfassungsgericht hat darin einen Anlass für einen berechtigten „Gegenschlag“ durch Claudia D. gesehen und die Äußerung insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Freispruch noch nicht rechtskräftig war und diese keine weiteren, der Öffentlichkeit nicht ohnehin schon bekannten Behauptungen enthielt, anders als die Instanzgerichte für zulässig gehalten.

Umfang der Entscheidung

Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Beschluss keinen Freibrief dafür darstellt, die Vorwürfe beliebig zu wiederholen. Die Entscheidung bezieht sich auf die konkrete in der konkreten Situation gemachten Äußerungen.

Die Begründung des Beschlusses ist sprichwörtlicher (Gegen-)Schlag ins Gesicht

Die Entscheidung dürfte aber auch falsch sein. Kachelmann soll sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgericht die öffentliche Aufrechterhaltung der Vorwürfe durch das vermeintliche Opfer insbesondere deswegen gefallen lassen müssen, weil er – nach 4 Monaten Untersuchungshaft und über einem Jahr Ermittlungen, einem Zeitraum, in dem er einerseits zur Sache schwieg und andererseits sein gesamtes Leben in der Presse öffentlich gemacht wurde – letztendlich sein Schweigen brach und sich zu den Vorwürfen und entsprechend auch zum angeblichen Opfer – genauso öffentlich – äußerte.

Für einen letztendlich rechtskräftig freigesprochenen Angeklagten ist diese Entscheidung ein sprichwörtlicher (Gegen-)Schlag ins Gesicht.

Aber nicht nur das. Die Entscheidung dürfte aus den oben genannten Gründen insbesondere in Gestalt der Abwägung der sich gegenüberstehenden Grundrechte, Meinungsfreiheit auf der einen und Persönlichkeitsrecht auf der anderen Seite, auch falsch sein. Nach einem im Rechtsstaat dafür vorgesehenen Strafverfahren erzielten Freispruch muss die Meinungsfreiheit des vermeintlichen Opfers, das in dem Strafprozess sogar als Zeugin ausgiebig Gelegenheit hatte, seine Sicht der Dinge zu schildern, gegenüber der Unschuldsvermutung des  – mittlerweile sogar freigesprochenen (!) – Betroffenen zurücktreten. Wäre das anders, könnte man auf einen förmlichen Strafprozess vollständig verzichten und die Vorwürfe von der geneigten Öffentlichkeit diskutieren, prüfen und einem Urteil zuführen lassen.

Jedenfalls darf die Tatsache allein, dass sich der Freigesprochene nach einem derart öffentlich geführten Prozess, schließlich öffentlich äußert, nicht dazu führen, dass genau die Vorwürfe, die sich als strafprozessual als haltlos erwiesen haben, wiederholt werden dürfen.

Der Beschluss kann vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angriffen werden

Da die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Herrn Kachelmann in seinem Persönlichkeitsrecht nach Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzen dürfte, hätte eine Individualbeschwerde nach Art. 34, 35 EMRK vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht Aussicht auf Erfolg. Diese müsste 6 Monate nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgericht eingelegt werden.

Es steht zu hoffen, dass Herr Kachelmann diesen Schritt nun auch noch geht. (la)

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